Nach den Missbrauchsvorwürfen gegen den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein haben Medienberichte über sexuelle Belästigung auch im Europaparlament die EU-Abgeordneten in Zugzwang gebracht.
Über eine Stunde lang diskutierten sie an diesem Mittwoch und kamen fraktionsübergreifend zu dem Schluss: Die Vorwürfe und die bestehenden Beschwerdemöglichkeiten im Parlament müssen von externen Experten überprüft werden. Am Donnerstag soll über eine entsprechende Resolution abgestimmt werden.
"Wir auch", hatten mehrere Abgeordnete und Mitarbeiter am Montag an EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani geschrieben. Sie griffen damit den Hastag #MeToo auf, der sich im Zusammenhang mit dem Weinstein-Skandal in den sozialen Netzwerken verbreitet hatte. Frauen berichten unter dem Stichwort von ihren Erlebnissen mit sexuellen Übergriffen.
"Auch wir sind entweder Opfer oder Zeugen von Missbrauch geworden, von sexistischen Kommentaren und Verhaltensweisen, von sexueller Belästigung und Übergriffen an diesem Arbeitsplatz, durch Abgeordnete oder Mitarbeiter", heißt es in der E-Mail an Tajani.
Der hatte sich schon am Montag "schockiert" gezeigt angesichts der Vorwürfe und "ganz harte Sanktionen" versprochen. Änderungsbedarf oder die Notwendigkeit unabhängiger Untersuchungen sah er aber nicht: "Man sollte das nicht in externe Hände geben." Das EU-Parlament habe doch bereits seit 2014 ein Gremium, an das sich Opfer wenden könnten. Wie zum Beweis hielt Tajani einen bunten Zettel in die Höhe: Das sei ein Leitfaden mit Ansprechpartnern. "Wir werden sehen, wie viele Personen sich melden." Viele Beschwerden gebe es bisher nicht.
Mehr Rückmeldungen sammelte derweil das Brüsseler Online-Magazin "Politico". Über 30 Berichte von Vergewaltigungen, Übergriffen und Belästigungen im Zusammenhang mit dem EU-Parlament habe man mittlerweile von Betroffenen bekommen.
Sozialdemokraten, Linke und Grüne hatten für eine Beschwerdestelle nur für Fälle sexueller Belästigung plädiert, konnten sich damit aber zunächst nicht durchsetzen. Das bereits existierende Gremium befasst sich etwa auch mit Mobbing. Die Vorsitzende Elisabeth Morin-Chartier von der christdemokratische EVP-Fraktion lehnte einen speziellen Ausschuss ab. "Weil zwischen sexueller Belästigung und psychologischer Belästigung die Grenze sehr, sehr subtil ist."
Als erster von wenigen Männern auf der Rednerliste ergriff der Deutsche Udo Bullmann das Wort. Er sprach von einer "zwingend notwendigen Debatte". "Es geht um mehr als individuelles Fehlverhalten". Der SPD-Abgeordnete prangerte eine "Kultur der Zulässigkeit von Übergriffen" an, die immer etwas "mit dümmlichen Dominanzverhalten" zu tun habe. Dem müsse "eine Kultur des Respekts" entgegengesetzt werden - im Parlament, in Europa.
Wie geht es jetzt weiter? EU-Kommissarin Cecilia Malmström bat die Abgeordneten zum Schluss der Debatte: "Bitte lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Arbeit nach der Abstimmung morgen nicht aufhört." Die Österreicherin Angelika Mlinar (Liberale) gab als Ziel einen neuen Hashtag aus: #notme.