Die Debatte lief schon eine Stunde, als sich der Hauptbetroffene zu Wort meldete. Nicht persönlich und auch nicht per Twitter, denn sein Account ist seit Freitag gesperrt. Donald Trump veröffentlichte eine Pressemitteilung, die auch in einen Tweet gepasst hätte: "Angesichts der Berichte über weitere Demonstrationen fordere ich, dass es keine Gewalt, keine Gesetzesverstöße und keinen Vandalismus geben darf."
Auf diese Erklärung hatten viele Republikaner im Repräsentantenhaus gewartet. Sie stützte ihre Reden, in denen die Gewalt beim blutigen Putschversuch am vorigen Mittwoch zwar verurteilt, zugleich jedoch jede Verbindung zum Präsidenten bestritten und der Impeachment-Vorstoß der Demokraten als angebliches Gift für die Aussöhnung des Volkes diffamiert wurde. Doch am Ergebnis der Abstimmung änderte Trumps Versuch, seine Hände in Unschuld zu waschen, nichts: Mit 232 zu 197 Stimmen wurde am späten amerikanischen Mittwochnachmittag eine Impeachment-Anklage wegen "Anstiftung zum Aufruhr" beschlossen.
Erstmals wird gegen einen US-Präsidenten zweimal ein Impeachment beschlossen
Damit ist Trump nicht nur der erste Präsident der US-Geschichte, gegen den zweimal ein Impeachment beschlossen wird. Anders als in der Ukraine-Affäre findet der Vorstoß zur Amtsenthebung dieses Mal überparteiliche Unterstützung. Auch zehn republikanische Abgeordnete stimmten für die Anklage. Eine Handvoll weitere Republikaner klangen so, als hätte ihnen nur der letzte Mut gefehlt, gegen den übermächtigen Möchtegern-Diktator aufzustehen. Der eigentliche Prozess findet nun im Senat statt. Der kommt jedoch erst am 19. Januar zusammen - einen Tag vor dem Ende von Trumps Amtszeit. Die mögliche Amtsenthebung wird also weitgehend symbolisch sein, hätte aber praktische Konsequenzen. So würden Trump seine Pensionsbezüge gestrichen, und er dürfte kein zweites Mal für das höchste Amt im Staat kandidieren.
Die Sitzung des Parlaments fand in einer gespenstischen Atmosphäre statt. In demselben Plenarsaal hatten sich viele Abgeordnete vor einer Woche unter den Bänken versteckt, während der gewalttätige Mob gegen die Türen donnerte. "Ich war im Parlament und habe um mein Leben gefürchtet", berichtete Terri Jewell, eine demokratische Abgeordnete aus Alabama: "An diesem Haus klebt Blut". Nachdem die Polizei am 6. Januar völlig überfordert war, sind die Sicherheitsvorkehrungen inzwischen auf ein bislang unbekanntes Niveau verschärft worden. Das Kapitol ist von zwei kilometerlangen Sperrgittern weiträumig eingezäunt und gleicht einem Feldlager mit Tausenden Soldaten der Nationalgarde.
"Wir wissen, dass der Präsident der Vereinigten Staaten diesen Aufruhr, diese bewaffnete Rebellion gegen unser gemeinsames Land angestachelt hat", sagte Nancy Pelosi, die demokratische Parlamentschefin: "Er muss gehen. Er ist eine eindeutige und aktuelle Gefahr für die Nation, die wir alle lieben". Tatsächlich hatte Trump wochenlang die Stimmung im Land mit der Verschwörungslüge aufgeheizt, das Wahlergebnis sei zugunsten seines Gegenkandidaten Joe Biden manipuliert worden. Dann hatte er republikanische Abgeordnete aufgerufen, die Zertifizierung des Ergebnisses zu verweigern. An dem entscheidenden Tag schickte er morgens einer großen Gruppe fanatischer Anhänge mit den Worten "Kämpft wie der Teufel" auf den Weg zum Kapitol. Bei der anschließenden Schlacht kamen fünf Menschen ums Leben. Mindestens 58 Polizisten wurden teils schwer verletzt.
Impeachment gegen Trump wohl erst nach der Amtsübergabe
Die Demokraten haben den Impeachment-Antrag in Rekordgeschwindigkeit eingebracht. Bemerkenswert ist, dass mit Liz Cheney die dritthöchste Republikanerin im Repräsentantenhaus die Amtsenthebung unterstützte. "Es hat nie einen größeren Verrat durch einen Präsidenten der Vereinigten Staaten an seinem Amt und seinem Eid auf die Verfassung gegeben", urteilte die Tochter des einstigen Vizepräsidenten Dick Cheney. Die 54-jährige Abtreibungsgegnerin gehört zum konservativen Flügel der Republikaner. Sie vertritt den Bundesstaat Wyoming, wo Trump 69,9 Prozent der Stimmen holte. Interessant ist auch die Positionierung von Fraktionschef Kevin McCarthy, einem der bislang loyalsten Unterstützer Trumps. McCarthy stimmte zwar gegen das Impeachment, kritisierte aber, Trump hätte "den Mob sofort verurteilen müssen, als er sah, was sich da abspielte".
Ob es nun tatsächlich zur formalen Amtsenthebung Trumps kommt, hängt vom Senat ab. Dort müssten 17 Republikaner mit den Demokraten stimmen. Ausgeschlossen scheint das nicht mehr, seit Mehrheitsführer Mitch McConnell die Abstimmung freigegeben hat und selbst versteckte Sympathien für das Impeachment äußertre. Intern soll er erklärt haben, dass der die Amtsenthebung verdiene. Ein solcher Schritt, so wird der mächtige Strippenzieher zitiert, würde es auch den Republikanern erleichtern, ihre Partei vom Erbe des übermächtigen Rechtspopulisten "zu säubern".
McConnell will das anstehende Amtsenthebungsverfahren gegen Trump allerdings erst nach dessen Ausscheiden in der kommenden Woche starten. McConnell teilte am Mittwochabend (Ortszeit) mit, angesichts der knappen Zeit sei es nicht möglich, ein solches Verfahren noch vor der Vereidigung des künftigen Präsidenten Joe Biden am kommenden Mittwoch zum Abschluss zu bringen. "Das ist keine Entscheidung, die ich treffe; das ist ein Fakt", erklärte McConnell in einer Mitteilung, die er auf Twitter verbreitete. Angesichts dieser Realität sei dem Land am meisten gedient, sich zunächst auf eine sichere und geordnete Amtsübergabe zu konzentrieren.
Der demokratische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Adam Schiff, sagte, es könne womöglich ein politisches "Erdbeben" im Senat geben, das zur Mehrheit für ein Impeachment führen könnte. Schiff bezog sich auf einen Bericht der New York Times, wonach McConnell intern erkennen ließ, dass er ein Impeachment-Verfahren gegen Trump für gerechtfertigt halte. Unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen aus McConnells Umfeld schrieb die Zeitung, dieser sei froh, dass das Verfahren angestoßen sei. Das könne es seiner Partei erleichtern, sich von Trump zu lösen.
Trump meldet sich in einer Videobotschaft zu Wort
Bei der Sitzung im Repräsentantenhaus bezeichnete die demokratische Vorsitzende der Kammer, Nancy Pelosi, Trump als eine "Gefahr für das Land". Der Republikaner habe "inländische Terroristen" angestachelt, um sich gegen seine Wahlniederlage zu wehren.
Auch der Minderheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, sagte zwar: "Der Präsident ist nicht ohne Schuld." Der Präsident trage Verantwortung für den Angriff auf den Kongress durch einen aufrührerischen Mob. Es sei aber falsch, ihn deswegen in den letzten Tagen seiner Amtszeit des Amtes zu entheben. Dies würde die politische Spaltung des Landes nur verstärken, warnte er.
Kurz nach der Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens wandte sich Trump mit einem Aufruf zur Versöhnung an die Nation. "Ich verurteile eindeutig die Gewalt, die wir in der vergangenen Woche gesehen habe", sagte Trump in einer gut fünfminütigen Videobotschaft, die das Weiße Haus veröffentlichte. "Gewalt und Vandalismus haben überhaupt keinen Platz in unserem Land."
Er rief die Bevölkerung dazu auf, Spannungen abzubauen, Gemüter zu beruhigen und zum Frieden im Land beizutragen. Trump war bemüht, sich von seinen Anhängern zu distanzieren, die das Kapitol erstürmt hatten. Mit Blick auf Berichte über mögliche weitere gewalttätige Proteste in der Hauptstadt Washington und anderen Teilen des Landes in den nächsten Tagen rief Trump zum Gewaltverzicht auf. Das Amtsenthebungsverfahren erwähnte er in dem Clip nicht. (mit dpa)
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