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Im Rausch der Tiefe: 25 Jahre nach der Entdeckung: Auf den Spuren der Titanic

Im Rausch der Tiefe

25 Jahre nach der Entdeckung: Auf den Spuren der Titanic

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    Der Untergang des Luxusliners "Titanic" im 200 Millionen Dollar teuren Film des US-Regisseurs James Cameron.
    Der Untergang des Luxusliners "Titanic" im 200 Millionen Dollar teuren Film des US-Regisseurs James Cameron. Foto: tm

    Ein Sturm ist angekündigt. Aber das Unwetter bleibt auf sicherer Distanz. Das US-amerikanische Forschungsschiff Knorr kreuzt durch den Nordatlantik, 750 Kilometer südöstlich Neufundlands. Im Inneren der Knorr sitzen sechs Männer im "Van", dem mit Bildschirmen und Tastaturen bestückten Kontrollzentrum. Unentwegt starren sie auf die verschwommenen Bilder, die von dem in mehr als 3000 Meter Tiefe schwimmenden Unterwasserfahrzeug Argo auf die Monitore überspielt werden. Nur der graue, weitgehend strukturlose Atlantikboden ist zu sehen. "Wie halten wir uns heute Nacht wach?", fragt der junge Ingenieur Bill Lange. Die Männer schlürfen heißen Kaffee.

    Es ist der 1. September 1985. Um 0 Uhr hat die Schicht unter Leitung des Franzosen Jean-Louis Michel ihren Dienst angetreten. Kurz vor eins endet die Unaufgeregtheit. "Da ist etwas", sagt einer, "Trümmer", ein anderer. Die Kameras der Argo erfassen Wrackteile. Die Männer an den Bildschirmen wollen es zunächst nicht glauben. Auch die Sonargeräte identifizieren Trümmer.

    Dann taucht aus dem Dunkeln ein Gebilde auf, das sie als Dampfkessel identifizieren. Sie greifen zu Büchern, vergleichen Fotos mit dem, was sie auf dem Schirm sehen. Es ist der Dampfkessel des Schiffs, um das sich Legenden ranken, das 73 Jahre zuvor gesunken und nach dem viele Jahre vergeblich gesucht worden war. Das Wrack der Titanic, die als unsinkbar galt, auf ihrer Jungfernfahrt aber nach einer Kollision mit einem Eisberg im eisigen Atlantik unterging und 1500 Menschen den Tod brachte, ist gefunden.

    Jetzt, 25 Jahre später, ist Bill Lange wieder am Ort der Tragödie. Der 51-jährige Ingenieur von der Woods Hole Oceanographic Institution in Massachusetts ist an Bord der "Jean Charcot", die am 23. August St. John's in Neufundland verlassen hat und an der Unglücksstelle vor Anker ging. RMS Titanic Inc. in Atlanta, das die Bergungsrechte an der Titanic besitzt, hat das Schiff gechartert und Experten von mehreren Organisationen zusammengerufen. Sie sollen ein Bild von den Resten der Titanic und dem Trümmerfeld erstellen. Es ist die achte Expedition von RMS Titanic Inc. zum Wrack. "Wir wollen durch die Erstellung eines dreidimensionalen Modells die Titanic virtuell bergen und der Nachwelt erhalten", sagt Präsident Chris Davino.

    Als Spezialist für Unterwasserfotografie spielt Bill Lange eine wichtige Rolle. Sein Bart ist grauer als vor 25 Jahren, aber seine Aufgabe gleicht der von 1985. Damals arbeitet er an der Ausrüstung des Unterwassergerätes Argo mit Kameras. "Wir hatten eine Live-Video-Übertragung vom Meerboden. In Echtzeit sahen wir, was die Kameras erfassten. Das war ein großer technologischer Fortschritt", so Lange.

    RMS Titanic Inc. hat inzwischen mehr als 5000 Gegenstände geborgen. Unterwasserfahrzeuge mit Greifarmen haben Teller und Tassen, Besteck, Schmuck, Vasen, Taschen, Teile des Innenausbaus der Titanic und ein größeres, mehrere Tonnen wiegendes Rumpfteil ans Tageslicht befördert. Das Unternehmen hat gemeinsam mit "Premier Exhibitions" die Bergungsrechte und Anspruch auf die geborgenen Gegenstände, wie jetzt wieder ein Gericht bestätigte. Auf Ausstellungen werden die Artefakte gezeigt.

    In der Stille und Dunkelheit der Tiefsee verfällt das glorreiche Schiff mehr und mehr. Zahlreiche Tauchgänge verschiedenster Expeditionen geben davon Zeugnis. Untersuchungen des Rumpfes zeigen, dass der Eisberg der Titanic nicht eine große Wunde zufügte - die Rede war oft von einem bis zu 90 Meter langen Riss -, sondern mehrere kleine Verletzungen, die insgesamt eine Fläche von nur 1,2 Quadratmetern hatten. Durch sie strömten wegen des Drucks gewaltige Wassermassen in die Titanic. Menschliche Überreste waren schon bei den ersten Tauchgängen nicht mehr gefunden worden. Falls Menschen in die Tiefe gerissen wurden, dann hat das Meer sie in den Jahren bis zur Entdeckung des Wracks verschlungen.

    Mikroben haben die Eisenteile zersetzt. Die Holzteile vom Deck und das durch Fotografien und Hollywood-Filme bekannte Treppenhaus der ersten Klasse sind bereits weitgehend verfallen. "Es ist ein Rennen gegen die Zeit", sagt Davino. Mehrere Millionen Dollar kostet das jetzige Unternehmen. Diesmal sollen keine Gegenstände geborgen werden. Als archäologische Stätte soll das Wrack vermessen und fotografiert werden. Die Wissenschaftler an Bord wollen zudem einen Überblick bekommen, wie stark der Zerfall voranschreitet.

    Doch die Expedition ist seit Anfang der Woche unterbrochen. Anders als vor 25 Jahren stürmt es nun richtig. Da der Hurrikan Danielle nahe am Ort der Titanic-Katastrophe vorbeiziehen könnte, hat die Besatzung das Gebiet verlassen. Von Gerd Braune

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