Ein Mann hinter einem Grenzzaun winkt mit beiden Armen und ruft etwas, das nicht zu verstehen ist. Er steht im Niemandsland zwischen der Türkei und Griechenland – keines der beiden Länder will ihn haben: Ein Video auf der Internetseite der türkischen Zeitung Hürriyet vom Montag zeigt nach Angaben des Blattes, welche Folgen der Beginn der Abschiebung ausländischer Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat aus der Türkei haben kann. Der Mann am Grenzzaun ist demnach ein amerikanischer IS-Anhänger, den die Türkei in Syrien aufgegriffen hatte und am Montagmorgen deportierte. Doch Griechenland will ihn nicht ins Land lassen.
Die Türkei schiebt den ersten IS-Extremisten nach Deutschland ab
Allein Deutschland soll in dieser Woche zehn mutmaßliche IS-Mitglieder zurücknehmen, die in türkischer Haft sitzen oder in Syrien gefasst wurden. Der erste Bundesbürger sollte noch am Montag abgeschoben werden, ebenso ein Däne. Für Donnerstag ist die Deportation von sieben weiteren Deutschen vorgesehen, die in türkischer Haft sitzen. Auch für zwei weitere Deutsche, zwei Iren und elf Franzosen, die von türkischen Truppen in Syrien gefasst wurden, wird laut dem Ministerium die Deportation vorbereitet. Die Abschiebungen betreffen damit vor allem Europa: In 24 der 25 bisher bekannten Fällen geht es um IS-Verdächtige aus der EU. Was aus dem US-Bürger im Niemandsland werden soll, blieb am Montag unklar.
Mit den Abschiebungen reagiert die Türkei auf die Weigerung vieler Staaten, IS-Mitglieder aus ihren Ländern wieder aufzunehmen. Innenminister Süleyman Soylu hatte in den vergangenen Wochen den Versuch europäischer Länder kritisiert, eine Rückführung zu vermeiden, indem sie IS-Kämpfern die Staatsbürgerschaft entziehen. Allein Großbritannien hat nach Medienberichten mehr als hundert Staatsbürgern die Pässe entzogen, weil sie sich Terrorgruppen im Ausland angeschlossen hatten. Soylu betonte, die Betroffenen würden trotz Ausbürgerung in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt. Laut dem Innenministerium in Ankara war der Amerikaner – also jener Mann, der laut „Hürriyet“ im Niemandsland strandete – der erste IS-Anhänger, der deportiert wurde.
Die Bundesregierung in Berlin erklärte, nach der erwarteten Abschiebung am Montag sollten am Donnerstag sieben und am Freitag dann noch einmal zwei deutsche Staatsangehörige ankommen. Es handele sich um insgesamt drei Männer, fünf Frauen und zwei Kinder, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Bei zwei der Frauen gebe es Anhaltspunkte, dass sie sich in Syrien aufgehalten hätten. Bei den anderen Deutschen könne dies ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Noch sei aber nicht klar, ob es bei allen von ihnen einen Bezug zum IS gebe. Bei dem Verdächtigen, der bereits am Montag aus der Türkei nach Deutschland abgeschoben werden solle, gebe es keinen IS-Zusammenhang.
Welche IS-Kämpfer die Türkei abschiebt, ist noch nicht bekannt
Laut Informationen der Deutschen Presseagentur sollen mindestens zwei der Frauen aus dem Lager Ain Issa in Syrien ausgebrochen sein. Vier der fünf Frauen, darunter eine Hamburgerin, sollen in der vergangenen Woche in der Türkei festgenommen worden sein.
Nach türkischen Regierungsangaben saßen bisher 16 deutsche IS-Mitglieder in der Türkei in Haft. Vier weitere Deutsche wurden nach Beginn der türkischen Militärintervention in den vergangenen Wochen in Syrien gefasst und dort interniert. Wenn nun wie angekündigt zehn Bundesbürger abgeschoben werden, wären noch zehn weitere in türkischen Gefängnissen oder Internierungslagern in Syrien.
Unter den deutschen IS-Häftlingen in der Türkei ist der Deutsch-Chinese Benjamin Xu aus Berlin, der 2014 in der Türkei drei Menschen erschossen haben soll und eine lebenslange Haftstrafe absitzt. Ob Xu unter den Bundesbürgern ist, die diese Woche abgeschoben werden sollen, war nicht bekannt.
Insgesamt sitzen rund 800 ausländische IS-Mitglieder in türkischer Haft. Zudem hat die Türkei in Syrien fast 300 ausländische IS-Kämpfer und Familienangehörige festgenommen. Schon seit Jahren schicken die türkischen Behörden zudem verdächtige Ausländer gleich nach der Einreise in ihre Heimatländer zurück, wenn sie einen Bezug der Betroffenen zum IS vermuten. Bisher sind laut türkischen Regierungsangaben auf diese Weise rund 7600 Menschen in insgesamt 102 Länder zurückgeschickt worden.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Deutschland braucht Informationen über abgeschobene Islamisten
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