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Holocaust-Gedenken: Antisemitismus an KZ-Gedenkstätten: Wenn Besucher die Maske fallen lassen

Holocaust-Gedenken

Antisemitismus an KZ-Gedenkstätten: Wenn Besucher die Maske fallen lassen

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    Schreckensort – das Tor des früheren Konzentrationslagers Dachau.
    Schreckensort – das Tor des früheren Konzentrationslagers Dachau. Foto: Andreas Gebert, dpa

    Die verstörenden Fälle sind nicht an der Tagesordnung, aber es gibt sie: Besucher von KZ-Gedenkstätten entpuppen sich als Leugner des Holocausts, machen antisemitische Witze, pöbeln Personal an, das einschreiten will.

    So wie der rechtsextreme Aktivist Nikolai Nerling aus Berlin, der im Februar 2019 im ehemalige KZ in Dachau Zweifel an der Vernichtung der Juden äußerte, um dann eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte, die ihn zur Rede stellte, zu beschimpfen. Jugendliche soll Nerling, der bis April 2019 einen eigenen Youtube-Kanal betrieben hatte, gewarnt haben, dass sie nicht alles glauben sollten, was ihnen hier erzählt werde.

    KZ-Gedenkstätten: Verstörende Vorfälle häufen sich

    Im Oktober kam es zu einem weiteren Vorfall, nachdem eine Schulklasse das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald besucht hatte. Auf der Rückfahrt spielten drei 14-jährige Schüler mit ihren Handys antisemitische Lieder ab und grölten dabei lauthals mit.

    Der Januar 2020 steht im Zeichen der Befreiung der Konzentrationslager vor 75 Jahren. Gedacht wird der Opfer des Nazi-Rassenwahns – in Israel, in Polen und natürlich auch in Deutschland: „Wir dürfen nicht aufgeben. Wir dürfen nicht nachlassen. Deutschland darf hier nicht versagen“, sagte der israelische Präsident Reuven Rivlin am Mittwoch im Bundestag. Ein Appell, der besorgt und beschwörend zugleich klang.

    Die Zahl der antisemitischen Übergriffe steigt deutlich an

    Tatsächlich steigt die Zahl antisemitischer Übergriffe deutlich an. Der Terroranschlag in Halle mit zwei Todesopfern sorgte weltweit für Schlagzeilen. Ressentiments gegen Juden werden heute immer häufiger öffentlich geäußert – oft in den sozialen Netzwerken. „Es ist nicht überraschend, dass es auch an Schülerinnen und Schülern nicht spurlos vorbeigeht, wenn sich in der gesamten Gesellschaft die Grenzen des Sagbaren nach rechts verschieben“, sagt Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen in der Lüneburger Heide. Bedingt werde dies auch durch Vorstöße aus Reihen der AfD und anderer Rechtspopulisten, sagt Wagner.

    Die Verwaltung der Gedenkstätten ist Ländersache. Zwischenfälle mit rechtsextremem Hintergrund werden bundesweit noch nicht zentral erfasst. Die KZ-Gedenkstätte Buchenwald in Thüringen führt Buch über derartige Ereignisse. Leiter Volkhard Knigge musste 2018 eine Verdoppelung rechtsradikaler Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr erleben. Immerhin habe man die Zahl im Jahr 2019 wieder drücken können, allerdings nur durch verschärfte Wachmaßnahmen.

    Wagner bemüht sich um eine Einordnung: „Es stehen nicht jeden Tag eine Gruppe Neonazis oder eine indoktrinierte Schulklasse in der Gedenkstätte. Aber es gibt eine qualitative Veränderung, eine Radikalisierung in den Auftritten.“ In Gästebücher werde zum Beispiel geschrieben, dass man in bestimmten Situationen Lager brauche, etwa wenn man zu viele Ausländer habe.

    In Dachau werden die Rundgangsleiter speziell vorbereitet

    In der KZ-Gedenkstätte Dachau bemüht man sich, die Rundgangsleiter mit speziellen Schulungen auf Besucher, die rechtsextreme Thesen äußern, vorzubereiten. Dies sei ein wesentlicher Punkt in der Ausbildung, teilte die Pressestelle der Gedenkstätte mit, die jährlich rund 900.000 Besucher zählt. Konkrete Zahlen über Zwischenfälle mit rechtsextremem Hintergrund liegen für die Gedenkstätte nahe München, in der in der Nazizeit mehr als 41.500 Menschen ermordet wurden, nicht vor.

    Das Phänomen beschäftigt längst Holocaust-Forscher in Europa und Übersee. Ende November trafen sich 200 Experten aus aller Welt in München zu einem Kongress des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ). Viele der Wissenschaftler zeigten sich alarmiert durch antisemitische Übergriffe und Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien.

    Einer der Referenten, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen, Axel Drecoll, ging auf die Frage ein, wie man sich gegen Pöbler und Holocaust-Leugner zur Wehr setzen kann: „Das ist nicht einfach. Aber wir haben Hausordnungen und juristische Mittel. Denn jede Art der Holocaust-Leugnung ist eine Straftat.“ Es sei allerdings in den meisten Fällen schwierig, Menschen mit einem festgefügten rechtsextremen Weltbild argumentativ beizukommen. (mit dpa)

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