Und dann gibt es da diesen einen Moment, in dem das Gezanke über passende und vor allem unpassende Auftritte von Politikerinnen und Politikern im Katastrophengebiet in seiner ganzen Kleingeistigkeit entlarvt wird. Es ist ein Moment, in dem zwei Frauen Hand in Hand durch die Trümmer laufen, die auch deshalb so populär sind, weil sie sich selbst nicht so wichtig nehmen.
Angela Merkel ergreift instinktiv den Arm von Malu Dreyer. Die Bundeskanzlerin gibt der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz Halt - den sie nicht nur aufgrund der schockierenden Szenen in den vom Hochwasser verwüsteten Orten braucht, sondern auch, weil sie seit vielen Jahren gegen eine schwere Krankheit kämpft.
Malu Dreyer schafft es trotz der Krankheit bis ganz nach oben
In den Sozialen Netzwerken, in denen der Ton normalerweise ein paar Umdrehungen aggressiver ist als im realen Leben, wird dieser kurze Augenblick gefeiert. Viele Menschen sind gerührt. Die beiden Politikerinnen reden nicht nur davon, dass die Menschen in einer solchen Krise zusammenhalten müssen, sie tun es im wahrsten Sinne des Wortes. Parteibücher und Wahlkampf spielen keine Rolle, wenn es um die Schicksale von so vielen Menschen geht, die Angehörige oder ihr Zuhause verloren haben, die noch um vermisste Familienmitglieder bangen. Dreyer versucht, den Betroffenen Kraft zu geben und gerät dabei selbst an die Grenzen ihrer körperlichen Kräfte.
Die SPD-Politikerin leidet an Multipler Sklerose (MS), einer chronischen Erkrankung des zentralen Nervensystems. Ihr Körper wird immer schwächer. Lange stehen kann sie nicht. Für längere Wege weicht sie auf den Rollstuhl aus. Bei ihrem Besuch in dem von der Flut so hart getroffenen Ort Schuld, bewegt sie sich zum Teil mit einem Elektro-Dreirad. Obwohl ihr das Laufen schwer fällt, will sie vor Ort sein. 1995 wurde die Krankheit entdeckt, lange bevor Dreyer Landesministerin und 2013 sogar Ministerpräsidentin wurde. Sie ließ sich nicht aufhalten, auch wenn sie manchmal Unterstützung braucht.
Größer könnte der Kontrast zu Armin Laschet in diesem Moment kaum sein
Wie in Nordrhein-Westfalen stellen sich auch in Rheinland-Pfalz die Fragen, ob man die Menschen besser vor der Flut hätte schützen können. Warum die Warnsysteme nicht mehr Leben gerettet haben. Welche Lehren die Regierenden aus dieser Katastrophe ziehen werden. Aber Malu Dreyer versteht es besser als Armin Laschet, Empathie zu zeigen und den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl zu geben, dass es ihr tatsächlich wichtig ist, diese Fragen zu beantworten.
Sie stellt sich auf einer Pressekonferenz auch der Wut und der Ohnmacht der Menschen vor Ort. Größer hätte der Kontrast zu den Bildern des Kanzlerkandidaten Laschet nicht ausfallen können, der tags zuvor mit Parteifreunden gescherzt und herzlich gelacht hatte, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über die menschlichen Tragödien hinter der Flutkatastrophe sprach.
Viele hätten sich Malu Dreyer sogar als SPD-Chefin gewünscht
Bei der Landtagswahl im März holte Malu Dreyer ein für SPD-Verhältnisse heutzutage phänomenales Ergebnis und wurde im Amt bestätigt. Alle Experten waren sich damals einig, dass es vielmehr die Person als die Partei war, die da gewählt wurde. Die Rheinland-Pfälzer schätzen Dreyer als moderierende "Landesmutter". Viele Sozialdemokraten hätten sich die 60-Jährige auch als Parteichefin gewünscht. Oder sogar als Kanzlerkandidatin? Dazu wird es nicht kommen. Auch wenn sie selbst ihre Krankheit nur ganz selten öffentlich thematisiert, scheint Malu Dreyer zu spüren, dass ihre Kräfte endlich sind. Nicht nur in der momentanen Situation.