Wer verstehen will, wie Corona die Arbeit im Europäischen Parlament verändert, findet Antworten in der Gemeinde Wildenberg in Niederbayern. Dort versucht der Chef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber, den Laden mithilfe von Videokonferenzen und Smartphone am Laufen zu halten. Der CSU-Politiker hat sich nach einem Kontakt mit einer infizierten Person in Quarantäne begeben. Genau wie seine oberbayerische Kollegin Angelika Niebler.
Die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier sitzt ebenfalls zu Hause. Sie hat sich mit dem Virus angesteckt. Während in Brüssel gerade über die Megaprojekte Corona-Hilfspaket, Brexit oder Klimaziele entschieden werden muss, haben sich die meisten Parlamentarier notgedrungen auf ihre Heimatländer verstreut. Dabei gibt es viele drängende Fragen, vor allem wenn es darum geht, was mit den Milliarden passiert, die Europa für den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Krise zugesagt hat. Manfred Weber jedenfalls hat Gesprächsbedarf.
Europäer waren zu Beginn der Krise gelähmt
„Das Milliardenpaket im Juli war ein Befreiungsschlag für Europa. Zu Beginn der Krise hatten wir massiv aufkeimenden Nationalismus und Egoismus und ein Scheitern der EU erlebt“, sagt er unserer Redaktion – natürlich im Videointerview. Er erinnert daran, wie gelähmt die Europäer zu Beginn der Krise waren. „Wir haben in Bergamo die Särge gesehen, aber kaum ein Mensch ist auf die Idee gekommen, Italiener bei uns im Krankenhaus aufzunehmen, obwohl noch ausreichend Betten frei waren. Heute sehen die Leute angesichts des Hilfspakets: Europa steht wieder zusammen.“
Bevor aus dem 750-Milliarden-Euro-Fonds allerdings auch nur ein Cent ausbezahlt wird, hat das Europäische Parlament ein Wörtchen mitzureden. Und hier kommt Weber ins Spiel, der die größte Fraktion anführt. Von Niederbayern aus sendet er ein klares Signal an die EU-Mitgliedstaaten: „Bei den Beratungen um die europäischen Hilfen wurde überwiegend darauf geachtet, die Gelder schnell bereit zu stellen und nicht, wofür sie verwendet werden. Die Staats- und Regierungschefs dürfen Europa nicht nur zu einem Geldautomaten machen.“ Der CSU-Politiker ärgert sich über die Mentalität bei EU-Verhandlungen: „Wenn Staats- und Regierungschefs sich treffen, geht es für einige vor allem um die Frage, wie viel Geld sie für ihr Land herausschlagen können. Nach dem Motto: Wir holen in Brüssel das Geld ab und schauen dann selbst, was wir damit machen.“
Weber: Gelder sollen in Zukunftsprojekte fließen
Weber knöpft die Zustimmung seiner durchaus mächtigen Fraktion aber an strenge Bedingungen. „Wir wollen sicherstellen, dass die Mittel in Zukunftsprojekte wie etwa den Ausbau der Wasserstofftechnologie fließen. Außerdem dürfen nur Länder Geld bekommen, in denen der Rechtsstaat funktioniert. Das ist für uns im Europäischen Parlament die rote Linie, um die Auszahlung freizugeben“, stellt er klar.
Wenn es darum geht, wie Corona die Welt verändern wird, spielt aber nicht nur Geld eine Rolle. Auch die Erkenntnis, wie abhängig Europa sich durch die globale Vernetzung gemacht hat, treibt viele Menschen um. Gerade im Medizinbereich wurde das schon nach wenigen Wochen mit dem Virus sichtbar. Schutzmasken fehlten, Medikamente gingen aus, weil es zu wenige Hersteller gibt oder diese in Ländern produzieren, die ihre Grenzen dicht gemacht hatten. Für die CSU-Politikerin Niebler kann es daraus nur eine Konsequenz geben: „Wir müssen wieder eigenständiger und widerstandsfähiger werden, wir dürfen uns, zum Beispiel bei der Herstellung von Arzneimitteln nicht abhängig von anderen Ländern machen“, appelliert sie und nennt ein konkretes Beispiel: „Was es heißt, wenn 90 Prozent der Produktion eines Standardmedikaments wie Paracetamol in Indien stattfinden, hat sich ja im Frühjahr gezeigt. Indien verhängt einen Ausfuhrstopp und schon kommt es bei uns zu Engpässen.“
Corona-Krise: Europa arbeite bereits wieder besser zusammen
In einigen Bereichen hat Europa schon umgesteuert. Wir arbeiten heute schon ganz anders zusammen als vor der Corona-Krise“, sagt der Augsburger Europa-Abgeordnete Markus Ferber. Im März habe jedes Land noch seine Masken für sich selber gehortet, das sei heute ganz anders. Etwa, wenn es um die gemeinsame Erforschung eines Impfstoffes oder die gegenseitige Unterstützung in der ärztlichen Versorgung geht. „Dass wir heute selbstverständlich Intensivpatienten aus Tschechien in Bayern behandeln, ist ein Signal, dass wir eine Lernkurve hinter uns haben“, findet Ferber.
Doch in Brüssel hat er erlebt, wie schnell die Lage wieder außer Kontrolle geraten kann. Belgien ist eines der Länder, in denen die Zahl der Infizierten gerade am sprunghaftesten ansteigt. Dass es wieder nötig werden könnte, die Grenzen zu schließen, glaubt Ferber nicht. „Das würde ich momentan ausschließen. Natürlich wird es aber Einschränkungen geben. Ausflüge zum Vergnügen gehen momentan einfach nicht, aber der freie Warenverkehr und dienstliche Reisen müssen möglich bleiben.“
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