Der berüchtigte iranische Wächterrat hat sich selber übertroffen. Das Wahlgremium hat eifrig unliebsame Kandidaten aussortiert – von rund 600 Männern, die bei den Präsidentschaftswahlen am Freitag antreten wollten, fanden nur sieben Gnade vor den Wächtern. Überrascht von dieser Praxis ist die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur nicht: „Frei nach westlichen Maßstäben waren Wahlen im Iran auch vorher schon nicht. Der Unterschied ist, dass der Wächterrat diesmal alle aussichtsreichen Kandidaten aussortiert hat, die moderat sind“, sagt die Professorin an der Universität Köln im Gespräch mit unserer Redaktion.
Tatsächlich traf der Ausschluss von der Wahl zwei sehr prominente Politiker – Frauen dürfen generell nicht antreten. Darunter der frühere Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der von 2005 bis 2013 amtierte. Die Amtszeit des Hardliners gilt Gegnern des Regimes als besonders dunkles Kapitel in der Geschichte des Iran. Erbost kündigte er nach der Entscheidung des Wächterrates an, die Wahl boykottieren zu wollen. Ebenfalls nicht zugelassen wurde Ex-Parlamentspräsident Ali Laridschani, der als Teil des Establishments gilt. Laridschani verlangte umgehend eine Begründung für seine Aussortierung. Bedingung für eine Zulassung ist, dass Politiker den Werten der islamischen Revolution gerecht werden – dass Laridschani und Ahmadinedschad dies offensichtlich abgesprochen wird, sorgte für Diskussionen und vor allem Spekulationen im Iran.
Islamwissenschaftlerin Amirpur: Man will sicherstellen, dass Raissi die Wahl gewinnt
„Man wollte einfach sicherstellen, dass der Konservative Ebrahim Raissi, der auch als möglicher Revolutionsführer gehandelt wird, die Wahl gewinnt“, sagt Amirpur, die aktuell mit ihrem fulminanten Buch über den Gründer der Islamischen Republik, Ayatollah Ruhollah Khomeini („Khomeini. Der Revolutionär des Islams. Eine Biografie“, Verlag C.H. Beck), für Furore sorgt. Bei den Wahlen von 2013 hatte Raissi gegen den scheidenden, als moderat geltenden Präsidenten Hassan Ruhani, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf, keine Chance. Diesmal hat er weit bessere Karten, obgleich er als Jurist eine Mitverantwortung für Massenhinrichtungen von Oppositionellen Ende der 80er Jahre hat.
Auch der leitende Redakteur des Onlinemagazins Iran Journal, Farhad Payar, glaubt, dass der neue Präsident Raissi heißen wird. „Wenn es knapp werden sollte, wird das Regime schon einen Weg finden, Raissi als Sieger aus den Wahlurnen zu zaubern“, sagt Farhad Payar unserer Redaktion.
Hintergrund könnte sein, dass der mächtigste Mann im Land, der 81-jährige oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei, als schwer krank gilt. Farhad Payar kann sich Raissi als Nachfolger vorstellen. Es gebe hinter den Kulissen aber wohl auch Überlegungen, statt eines Revolutionsführers einen mehrköpfigen Revolutionsrat zu installieren. „Da geht es im Hintergrund um den fast schon mafiaähnlichen Einfluss mächtiger Familien, die untereinander in Konkurrenz stehen. Sicher ist, dass Chamenei dabei ist, seine Nachfolge zu ordnen“, erklärt Payar. Allerdings könnte das Regime mit solchen Ränkespielen die Abneigung einer Mehrheit der Bevölkerung noch vertiefen.
Wahl im Iran: Es wird mit einer geringen Wahlbeteiligung gerechnet
„Ich rechne mit einer geringen Wahlbeteiligung, weil die Leute fast keine Wahl haben“, sagt Amirpur, die iranische Wurzeln hat. Nach Umfragen wollen nur gut 30 Prozent der fast 60 Millionen Stimmberechtigten ihre Stimme abgeben. Vor vier Jahren waren es mehr als 70 Prozent. Amirpur: „Ich halte Schätzungen, dass rund 80 Prozent der Bevölkerung dem Regime ablehnend gegenüberstehen, für realistisch. Allerdings sind viele der 20 Prozent, die es stützen, von Privilegien abhängig und oft auch hochgerüstet. Ich bin sehr skeptisch, dass sich das in absehbarer Zeit ändert.“ Zudem seien viele der 80 Prozent Tag für Tag damit beschäftigt zu überleben, die Familie zu ernähren. „Die Lage ist katastrophal.“
Auch die Enttäuschung über die Amtszeit von Ruhani sorgt für Resignation. Die Erkenntnis lautet: Gegen die religiösen Führer ist eine wirkliche Reform des Irans nicht möglich – weder politisch noch ökonomisch. Unabhängig davon, ob der scheidende Staatschef tatsächlich bereit war, das Land durchgreifend zu verändern.
Die schlechte Stimmung im Land wird auch ein Präsidenten Raissi nicht ignorieren können. Amirpur glaubt nicht, dass er kleineren Lockerungen, wie „Cafés, Konzerte, Musik oder Händchenhalten in der Öffentlichkeit, die Ruhani erreicht hat, wieder einkassieren wird. Man kann ja nicht alles verbieten“. Zumal die Unzufriedenheit in der Vergangenheit immer wieder zu Massendemonstrationen und Unruhen gegen das Regime geführt hatte. „Der Aufstand vom November 2019 entzündete sich ohne Vorwarnung. Im Iran kann man nie genau wissen, was am nächsten Tag passiert. Was wäre, wenn sich auch Anhänger von Ahmadinedschad oder Laridschani gegen die Führung des Iran wenden würden?“, fragt Payar.
Gleichzeitig dürfte auch den Ayatollahs nicht verborgen geblieben sein, dass die religiöse Bindung der Iraner viel geringer geworden ist. Das belegen Umfragen. Amirpur fällt dazu ein Satz des iranischen Philosophen Abdolkarim Soroush ein: „Der Islam war so tief in den Herzen der Iraner verwurzelt, dass nur eine islamische Revolution diese Wurzeln herausreißen konnte.“ Der Iran sei heute weit säkularer als beispielsweise die Türkei.
Was könnte die Wahl im Iran für den Atomdeal bedeuten?
International wird spekuliert, was es für die Verhandlungen um einen neuen Atomdeal bedeuten würde, wenn Raissi auf Ruhani folgt. Amirpur glaubt weder, dass er ein Abkommen boykottieren werde, noch, dass die iranische Führung derzeit tatsächlich die Entwicklung einer Atombombe plant. Amirpur: „Sie nutzen diesen Punkt als Druckmittel für Verhandlungen. Die Regierung ist pragmatischer, als viele im Westen denken. Sie weiß, dass sich die Anrainerstaaten bei einer nuklearen Bedrohung gegen den Iran verbünden würden.“ Auch sei dem Regime klar, dass es im Falle eines militärischen Konflikts mit Israel „schnell weg vom Fenster wäre“.
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