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Hintergrund: Was will die Türkei in Syrien?

Hintergrund

Was will die Türkei in Syrien?

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    Zwischen Misstrauen und Partnerschaft: US-Vize-Präsident Joe Biden (links) besuchte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch in Ankara.
    Zwischen Misstrauen und Partnerschaft: US-Vize-Präsident Joe Biden (links) besuchte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch in Ankara. Foto: dpa

    Die türkische Militärintervention in Syrien markiert eine neue und möglicherweise gefährliche Phase in dem mehr als fünf Jahre andauernden Konflikt. Ankara schickt Panzer ins Nachbarland und meldet damit Ansprüche an, über die Zukunft Syriens mitzureden. Damit wiederum könnte Präsident Recep Tayyip Erdogan den USA in die Quere kommen.

    Schon lange beklagt die Türkei die Unterstützung der Amerikaner für die Kurdengruppe PYD in Syrien, die Washington als wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) betrachtet. Die

    Der türkische Vorstoß könnte die Lage in Syrien weiter verschärfen

    Der Doppelschlag Ankaras gegen den IS und die Kurden könnte die nach mehreren Terroranschlägen in jüngster Zeit ohnehin angespannte Lage in der Türkei weiter verschärfen. Beobachter rechnen nicht nur mit Vergeltungsanschlägen des IS in der Türkei. Auch militante Kurden könnten verstärkt zuschlagen. Die türkische Intervention treibt in Syrien einen Keil in einen etwa 90 Kilometer breiten Korridor zwischen zwei Herrschaftsgebieten der PYD.

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    Vor einigen Wochen hatten die Kurdenkämpfer die Erlaubnis erhalten, den Euphrat Richtung Westen zu überqueren, um bei der Vertreibung des IS aus der Stadt Manbidsch zu helfen. Die Kurden machten jedoch keinen Hehl aus ihrer Absicht, nach der gewonnenen Schlacht gegen den IS in der Region zu bleiben. Das wiederum will Ankara unbedingt verhindern. Die Türkei fürchtet ein großes, zusammenhängendes Kurdengebiet direkt an der eigenen Grenze. Auch deshalb überquerten türkische Panzer am Donnerstag die Grenze in Richtung Syrien – mit dem Segen der Amerikaner. Das US-Militär meldete, die Kurdenkämpfer hätten sich wieder über den Euphrat nach Osten zurückgezogen.

    Beobachter erwarten, dass die Türken trotzdem auf längere Zeit in Syrien bleiben wird. Der Nachrichtensender CNN-Türk berichtet, Ankara wolle die Situation zum Anlass nehmen, um die seit langem geforderte „Schutzzone“ im Norden Syriens einzurichten – diese würde sich zwischen den beiden von der PYD kontrollierten Gebieten erstrecken. Präsident Erdogan, der am Mittwoch den amerikanischen Vize-Präsidenten Joe Biden empfing, hat nun einen Fuß in der Tür, um bei Verhandlungen über die Zukunft Syriens mitzuentscheiden. Damit macht die Türkei den ohnehin komplizierten Syrien-Konflikt noch unübersichtlicher.

    Das Machtspiel um Syrien geht in eine neue Runde

    Aus Sicht der USA könnt ein stärkeres Engagement der Türkei in Syrien Vorteile haben – solange es sich tatsächlich in erster Linie gegen den IS wendet. Wenn Ankara aber nun den Konflikt mit den syrischen Kurden sucht, wird es schwierig.

    Das sind die Kurden

    Die Kurden sind ein Volk von rund 25 bis 30 Millionen Menschen ohne eigenen Staat. Ihr Siedlungsgebiet im Nahen Osten ist mit rund 500.000 Quadratkilometern etwa so groß wie Frankreich und erstreckt sich über mehrere Staaten.

    Die meisten Kurden leben in der Türkei (mindestens 12 Millionen), im Irak (knapp 5 Millionen, im Iran (rund 5,5 Millionen) und in Syrien (bis zu 1,3 Millionen). Weitere Kurden siedeln in Armenien und Aserbaidschan.

    In der Türkei kämpft die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seit 1984 mit blutigen Angriffen und Bombenanschlägen für einen eigenen Staat oder zumindest für Autonomie. In dem Konflikt starben bislang bis zu 40.000 Menschen.

    Die EU stuft die PKK als Terrorgruppen ein. Im Zuge der EU-Beitrittsgespräche gab Ankara den Kurden mehr kulturelle Rechte, Zugeständnisse für mehr Autonomie blieben aber aus. Immer wieder kommt es zu Angriffen kurdischer Extremisten auf türkische Sicherheitskräfte.

    Der Nordirak gilt als PKK-Rückzugsgebiet. Mehrfach griff die türkische Armee dort vermutete Kurdenstellungen an. Seit 1991 ist die Region weitgehend autonom. Nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein 2003 wurde offiziell der Zusammenschluss der drei Nordprovinzen zur "Autonomen Region Kurdistan" erklärt.

    Der Präsident und die Regierung der Autonomen Region Kurdistan" haben ihren Sitz in der Stadt Erbil. In den Schulen wird auf kurdisch unterrichtet, die Region hat eine eigene Flagge und eigene Streitkräfte. Die Truppen der Peschmerga sollen etwa 130.000 bis 200.000 Mann zählen.

    Die syrischen Kurden leben überwiegend im Norden des Landes entlang der Grenze zur Türkei. Teile der Kurden schlossen sich dem Widerstand gegen Präsident Baschar al-Assad an, andere halten zu ihm. Seit 2014 kämpfen kurdische Volksschutzeinheiten (YPG) vorrangig gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).

    Die Volksschutzeinheiten sind mit der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) verbunden. Beide stehen wiederum der kurdischen PKK nahe.

    Russland und der Iran, die Schutzherren des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad, könnten eine türkische Dauerpräsenz als Angriff auf ihre eigenen Interessen in dem Bürgerkriegsland sehen. Einige Erdogan-Anhänger in der Türkei fordern bereits jetzt, die türkischen Truppen sollten gleich auch die schwer gebeutelte nordsyrische Metropole Aleppo und anschließend die Hauptstadt Damaskus einnehmen.

    Gleichzeitig wird ein weiteres Problem zwischen den ausländischen Mächten deutlich, die in Syrien mitmischen: Sie wollen zwar alle den IS besiegt sehen, sind aber grundverschiedener Ansicht darüber, welche Gruppen jene syrischen Gebiete kontrollieren sollen, aus denen die Dschihadisten zurückgedrängt werden. Das Machtspiel um Syrien geht in eine neue Runde.

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