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Hintergrund: Was nun, Frau Nahles? Die SPD liegt am Boden

Hintergrund

Was nun, Frau Nahles? Die SPD liegt am Boden

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    Andrea Nahles steht in in der SPD schwer unter Druck.
    Andrea Nahles steht in in der SPD schwer unter Druck. Foto: John Macdougall, afp

    Stille. Einfach nur Stille. Nach Bekanntgabe der ersten Prognosen regt sich im Willy-Brandt-Haus nicht einmal Enttäuschung oder Zorn. Kein Fluch ist zu hören. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat ein weiteres Wahlfiasko erlebt und ist bei der Europawahl erstmals bei einer bundesweiten Abstimmung hinter die Grünen auf den dritten Platz zurückgefallen. Im linken Lager ist die SPD nach 150 Jahren nur noch die Nummer zwei. Selbst in ihrer Hochburg hat es nicht mehr gereicht. Der CDU ist das geglückt, was ihr noch nie geglückt war: Sie ist den Hochrechnungen zufolge in der Hansestadt an der SPD vorbeigezogen.

    Andrea Nahles wird von Martin Schulz attackiert

    Sofort steht Parteichefin Andrea Nahles wieder im Feuer. Beim obligatorischen Auftritt vor den Anhängern der Partei gelingt es ihr immerhin, anders als bei früheren Niederlagen, die Fassung zu bewahren. „Ich sage Kopf hoch, SPD.“ Und an die Grünen gerichtet: „Wir nehmen die Herausforderung an.“

    Die Herausforderung für die 48-Jährige liegt aber zunächst einmal im eigenen Lager. Sie wird von ihrem Vorgänger Martin Schulz attackiert, der 2017 die Bundestagswahl vor die Wand gefahren hatte. Schulz will ihr den Fraktionsvorsitz abjagen, wie mehrere Abgeordnete bestätigen. Er hat nichts zu verlieren. Entweder ihm gelingt die Rache gegen Nahles, die ihn nach der vergeigten Wahl kalt abservierte, oder er geht nach dieser Legislaturperiode in den Ruhestand.

    Bisher allerdings hat er keine Mehrheit in der Fraktion hinter sich. Unterstützung bekommt der frühere Präsident des EU-Parlaments immerhin von Sigmar Gabriel, der personelle Konsequenzen nach den neuerlichen Tiefschlägen fordert und dabei voll auf Nahles zielt. Gabriel und Schulz haben sich nach der Bundestagswahl zwar verkracht. Nun aber eint die beiden ehemaligen Parteivorsitzenden der Ärger über die amtierende Vorsitzende. Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

    Ohne Frage hat Nahles Fehler gemacht. Die Neuausrichtung der Partei soll erst Ende des Jahres abgeschlossen sein – zwei Jahre nach dem Desaster bei der Bundestagswahl. Die soziale Frage mobilisiert so wenig wie bei der Bundestagswahl – was nach zehn Jahren Aufschwung nicht überrascht. Im Wahlkampf blieb noch dazu Spitzenkandidatin Katarina Barley blass. Bei der Kommunikation mit den jungen Wählern über die neuen Online-Medien agieren die Sozialdemokraten außerdem ähnlich unbeholfen wie die CDU. Generalsekretär Lars Klingbeil hat sich als Netzpolitiker einen Namen gemacht, bringt aber sein Können bislang nicht zur Geltung. Dazu kommen die anhaltend schlechten Beliebtheitswerte der Parteivorsitzenden. Mehrfach hat Andrea Nahles versucht, sich zu ändern und zu mäßigen. Gelungen ist es ihr nicht.

    Stimmung bei der CDU ist nicht euphorisch, aber auch nicht unzufrieden

    Für Annegret Kramp-Karrenbauer, ihre Kollegin von der CDU, ist es der erste Wahlabend als Parteivorsitzende. Früh schon ist klar, dass die Union erstmals bei einer bundesweiten Wahl unter 30 Prozent stürzt, obwohl sie mit dem CSU-Politiker Manfred Weber doch einen aussichtsreichen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten ins Rennen geschickt hat. Das könnte jetzt die Diskussion darüber anheizen, wie sinnvoll das duale System der CDU mit Angela Merkel an der Regierungsspitze und Kramp-Karrenbauer an der Parteispitze eigentlich noch ist.

    Das Ergebnis bei der Wahl entspreche nicht dem Anspruch der Union als Volkspartei, räumt „AKK“ denn auch ein. Die Union habe aber ihr Wahlziel erreicht, stärkste Kraft zu werden. Im Konrad-Adenauer-Haus lichten sich nach den ersten Ergebnissen trotzdem schnell die Reihen. Die Stimmung ist nicht euphorisch, aber auch nicht unzufrieden. Verstärkt wird das durch das gute Abschneiden in Bremen. Annegret Kramp-Karrenbauer kann sich auf die Fahnen schreiben, die erste CDU-Chefin zu sein, unter deren Regie die Partei in der Hansestadt die Dominanz der SPD gebrochen hat.

    Zu viel Freude will bei den Schwarzen allerdings nicht aufkommen, denn das Ergebnis der Roten wirft mehr Fragen auf, als manchem Funktionär der Union lieb ist. „Wir haben kein Interesse an einem Koalitionspartner, der sich selber demontiert“, sagt ein CDU-Präside, der sich um die Zukunft der Koalition sorgt. In der Tat hatten viele Spitzenpolitiker der Union schon vor diesem Sonntag vor einem Fiasko für die SPD gewarnt. Denn bei den C-Parteien hat sich die Lage nach der Aufregung, die im Schatten des CDU-Parteitags aufkam, wieder beruhigt. Friedrich Merz stürzt Annegret Kramp-Karrenbauer? Löst Annegret Kramp-Karrenbauer vorzeitig Bundeskanzlerin Angela Merkel ab? Von solchen Szenarien wolle man bei CDU und CSU im Moment nichts wissen. Die Zielrichtung ist (zumindest derzeit), mit Angela Merkel im Kanzleramt und der SPD als Partner bis zum Ende der Wahlperiode durchzuregieren.

    Für die SPD ist der Wahl-Sonntag ein Desaster

    Das schlechte Abschneiden der Sozialdemokraten an diesem Sonntag könnte diese Pläne allerdings durchkreuzen. Generalsekretär Klingbeil spricht von einem „enttäuschenden Ergebnis“ Für die Sozialdemokraten sind die Zahlen ein Desaster. Bis zuletzt hatten sie gehofft, zumindest in ihrem Stammland Bremen die Stellung zu halten. Klingbeil warnt zwar vor „Schnellschüssen“ bei der Analyse der Wahlergebnisse. Der drohende Machtverlust in der Hansestadt wird aber der ohnehin schon angeschlagenen Vorsitzenden Nahles angelastet werden. Da spielt es schon fast keine Rolle mehr, dass die Partei bei der Europawahl noch viel schlechter abgeschnitten hat.

    Die SPD hat noch ein paar Tage Zeit, um den Pfad in ihre politische Zukunft zu festigen. Ein Treffen der Regierungsparteien an diesem Montag im Kanzleramt soll einer ersten Bestandsaufnahme dienen. Die CDU kommt am nächsten Sonntag zu einer Vorstandsklausur zusammen. Auch hier wird man übers Personal sprechen und die Planung für die zweite Regierungshälfte festzurren. So lange hätte die SPD mindestens Zeit, sich zu sortieren. Das gilt aber nur, wenn sie die Nerven behält und nicht unter dem Druck des Wahldebakels zerbricht.

    CSU-Chef Markus Söder jedenfalls lässt es sich nicht nehmen, noch am Sonntagabend seinen Finger in eine offene Wunde der SPD zu legen. Alte Maßstäbe, sagt er, dürften jetzt nicht mehr gelten. „Die große Herausforderung der Zukunft ist die intensive Auseinandersetzung mit den Grünen.“ Wer will, kann daraus auch eine Drohung an die SPD heraushören: Wenn ihr euch nicht bewegt, machen wir eben mit den Grünen weiter.

    In unserem Podcast "Bayern-Versteher" analysieren wir die Wahl – und sprechen unter anderem über die bröckelnde Macht der Volksparteien. Hier können Sie reinhören:

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