Die Staatsanwaltschaft Hannover hat am Donnerstagabend den Anfangsverdacht der Vorteilsannahme gegen Bundespräsident Christian Wulff bejaht und eine Aufhebung der Immunität beantragt. Nur so kann sie ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen das Staatsoberhaupt einleiten. Die Behörde sieht bei dem früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten (CDU) einen Anfangsverdacht auf Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung. Der Bundestag muss nun über eine Aufhebung der Immunität Wulffs entscheiden. Was genau verbirgt sich hinter diesem Status?
Bundestag muss Aufhebung der Immunität zustimmen, wenn Strafverfolgung eingeleitet werden soll
Ebenso wie jeder Bundestagsabgeordnete genießt der Bundespräsident strafrechtliche Immunität, die im Grundgesetz garantiert ist. Das bedeutet, dass er wegen einer "mit Strafe bedrohten Handlung" nur dann verfolgt werden darf, wenn der Bundestag vorher zustimmt (Artikel 46) - es sei denn, dass er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird. Bereits die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist ohne die Genehmigung ansonsten nicht zulässig.
Einfache Mehrheit des Bundestagsplenums notwendig
Der Antrag auf Aufhebung der Immunität muss also von der Staatsanwaltschaft beim Bundestag gestellt werden. Im Parlament gibt es dafür einen speziellen Immunitätsausschuss. Die generelle Genehmigung, die der Bundestag für Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete erteilt hat, gilt jedoch nicht für den Bundespräsidenten. Deshalb muss der juristischen Kommentarliteratur zufolge das Plenum des Bundestags entscheiden - mit einfacher Mehrheit, teilt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann auf der Kurznachrichtenplattform Twitter im Internet aktuell mit.
Ex-Bundespräsident Herzog: "Immunität steht im Interesse des Amtes, nicht der Einzelperson"
Wie der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog in einem Grundgesetz-Kommentar schreibt, besteht die Immunität "nicht im Interesse der Einzelperson (...), sondern ausschließlich im Interesse ,des Amtes' beziehungsweie im öffentlichen Interesse". Dahinter stehe der Gedanke, "dass ein so wichtiger Funktionsträger nicht durch (...) Freiheitsentziehungen oder durch die Überziehung mit beliebigen Strafverfahren an der Ausübung seiner Rechte und Pflichten gehindert werden soll".
Von der Frage der strafrechtlichen Immunität zu unterscheiden, ist die Anklage des Bundespräsidenten vor dem Bundesverfassungsgericht durch den Bundestag oder den Bundesrat. Dieses Verfahren dient letztlich dazu, den Präsidenten aus dem Amt zu entheben, wenn er im Zusammenhang mit der Ausübung seines Amtes gegen die Verfassung oder gegen ein Bundesgesetz verstößt.
Immunitätsausschuss des Bundestags könnte schon am Montag, 27. Februar, entscheiden
Der Immunitätsausschuss des Bundestags wird sich womöglich noch in diesem Monat mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft befassen. Thomas Strobl, Vorsitzender des Ausschusses, sagte der Zeitung "Die Welt" (Freitagsausgabe): "Wenn ein solcher Antrag bei uns einginge, würden wir diesen im Ausschuss beraten und dem Plenum des Bundestages eine Beschlussempfehlung geben, ob die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben wäre." Die nächste Sitzungswoche im Bundestag beginnt am Montag, den 27. Februar. Der Immunitätsausschuss tagt normalerweise immer am Donnerstag. Er kann aber auch auf den Montag vorgezogen werden - was in der gegenwärtigen Situation um Christian Wulff wahrscheinlich ist.
Amtsenthebung nur durch Bundesverfassungsgericht möglich
Wesentlich höhere Hürden gäbe es indes für eine etwaige Amtsenthebung Wulffs. Denn eine Abwahl des Staatsoberhauptes ist nicht möglich. Lediglich das Bundesverfassungsgericht könnte seine fünfjährige Amtszeit gegen den Willen des Amtsinhabers vorzeitig beenden. Artikel 61 des Grundgesetzes legt fest, dass Bundestag oder Bundesrat das Staatsoberhaupt vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen können, wenn es gegen das Grundgesetz oder ein anderes Bundesgesetz verstoßen hat. Der Antrag auf Erhebung einer Anklage muss von mindestens einem Viertel der Mitglieder einer der beiden Kammern gestellt werden.
Beschlossen ist die Anklage aber erst, wenn in einer der beiden Kammern zwei Drittel der Mitglieder dafür stimmen. Erst wenn dies geschehen ist, befasst sich das höchste deutsche Gericht mit der Anklage. (mit dpa und afp)