Saffie-Rose Roussos hat die Sängerin Ariana Grande geliebt, wie so viele Kinder und Teenager. Deshalb durfte sie am Montagabend mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester aus Leyland, gut 50 Kilometer nordwestlich von Manchester, zum Konzert fahren. Es muss ein tolles Erlebnis für das hübsche Mädchen gewesen sein. Jetzt ist Saffie tot. Sie war acht Jahre alt.
Saffie ist wahrscheinlich das jüngste Todesopfer des abscheulichen Anschlags von Manchester. Unter den mindestens Toten und Verletzten sind etliche Kinder und Jugendliche. Ariana Grande, 23, gilt als Teeniestar. Eine Serie im Kinder- und Jugendsender Nickelodeon machte sie berühmt. Die meisten der 21000 Besucher des Konzerts waren Kinder und Jugendliche. Haben die Terroristen ganz bewusst dieses Ziel gewählt, um möglichst viele junge Opfer zu töten?
Terroristen zielen immer häufige auf "weiche Ziele"
Terror-Experten wie Malte Roschinski halten das durchaus für möglich. „Der Schock ist größer, wenn es Kinder und Teenager trifft“, sagt er. Fest steht: Waren früher vor allem militärische und politische Einrichtungen und Repräsentanten im Visier, so zielt die Logik der Terroristen immer häufiger auf Zivilisten und sogenannte „weiche Ziele“.
Schon in Nizza, wo ein Lkw in die Menschenmenge raste, hatte der Attentäter keine Rücksicht darauf genommen, ob Kinder in der Menge sind. Doch der Anschlag von Manchester dreht die Schraube der Perfidie noch eine Umdrehung weiter. Angesichts des großen Vorbereitungsaufwands für den Anschlag muss dem Attentäter auch bewusst gewesen sein, dass ein Ariana-Grande-Konzert ganz viele Kinder und Jugendliche besuchen werden. Die britische Premierministerin Theresa May sagte schon Dienstagmittag, es sei eine „neue Kategorie der Feigheit“ erreicht. Absichtlich habe man auf unschuldige, wehrlose Kinder und junge Menschen gezielt.
Der Islamwissenschaftler Navid Kermani spricht mit Blick auf die Serie von Attentaten der vergangenen Jahre von einem eiskalten Kalkül: Es sei die „propagandistische Logik“ des Täters, „dass er mit seinen Bildern eine immer höhere Stufe des Horrors zündet, um in unser Bewusstsein zu dringen“. Dabei sind die Medien willige und unfreiwillige Helfer: Aus Paris, Brüssel, Nizza, Manchester und Berlin lieferten Handy-Kameras live Szenen der Gewalt und der Panik. Internet und Fernsehen verbreiteten die Aufnahmen weiter.
Genau darauf sind die Schergen des Islamischen Staats (IS) aus. „Der IS will ein Schlachtfeld produzieren, mit grausam zugerichteten Toten“, sagte der Terror-Experte Ulf Brüggemann von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik dem Focus. Das Entsetzen soll möglichst groß sein. Für dieses Ziel kommen Konzerte, Fußballspiele oder andere Massenveranstaltungen infrage, die schwierig zu schützen sind. Durch die Serie von Anschlägen in Europa versucht der IS dem Westen zu signalisieren, dass er den Kampf gegen die Dschihadisten nicht gewinnen kann und einen hohen Preis für die Kriege im Irak und in Syrien zahlt. Nach dieser brutalen Logik verübt der IS also immer grauenhaftere Anschläge, um den Westen zu stoppen.
Mit dem Attentat könnte eine neue Dimension des Terrors erreicht sein
Der Islamische Staat setzt bei dieser Strategie auch sehr stark auf die Wirkung in den sozialen Medien. Die Bilder und Nachrichten von Toten und panischen Menschen verbreiten sich rasend schnell weltweit. Was läge aus dieser menschenverachtenden Sichtweise näher, als ein Anschlagsziel auszuwählen, das tausende Teenager mit Smartphones und hoher Affinität zu sozialen Medien garantiert?
Es spricht also sehr viel dafür, dass mit dem Attentat in Manchester eine neue Dimension des IS-Terrors erreicht ist. Andererseits geht es den Dschihadisten darum, überhaupt eine Gelegenheit für Anschläge zu finden. Im Fall Manchester liegt der Schluss nahe, dass der Attentäter die Manchester-Arena ausgekundschaftet hat. Vielleicht hat er eine Sicherheitslücke entdeckt.
Das könnte der Schlüssel zu der Tatsache sein, dass die Bombe nach dem Konzert detonierte. Bei einer Veranstaltung mit vielen minderjährigen Besuchern holen Eltern ihre Kinder nach der Show ab. Womöglich ist der Terrorist mit ihnen auf das Gelände gelangt. Die Sicherheitskontrollen sind nach dem Ende eines Konzerts meist laxer.
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