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Hintergrund: Warum Annalena Baerbock Kanzler-Kandidatin werden könnte

Hintergrund

Warum Annalena Baerbock Kanzler-Kandidatin werden könnte

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    Grünen-Chefs Annalena Baerbock, Robert Habeck: Im politischen Berlin ist seit langem bekannt, über welches politische Talent die verheiratete Mutter zweier Töchter verfügt.
    Grünen-Chefs Annalena Baerbock, Robert Habeck: Im politischen Berlin ist seit langem bekannt, über welches politische Talent die verheiratete Mutter zweier Töchter verfügt. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Geht es nach den aktuellen Umfragen, haben die Grünen gute Chancen, den nächsten Bundeskanzler zu stellen. Doch während in Öffentlichkeit und Medien fast einhellig vom charismatischen Parteichef Robert Habeck als möglichem Nachfolger für Angela Merkel die Rede ist, könnte es auch ganz anders kommen. Denn in den grünen Führungszirkeln halten viele Habecks Co-Chefin Annalena Baerbock für die noch bessere Kandidatin. Die 39-Jährige tritt zunehmend aus dem Schatten Habecks, profiliert sich als Sachpolitikerin und gewinnt, zumindest in der Funktionärsriege der Partei, viele Herzen.

    Das Thema birgt viel Zündstoff: Bisher herrscht zwischen Baerbock und Habeck, zumindest nach außen, schönste Harmonie. Und es ist ja gerade diese Eintracht an der Spitze, die die einst chronisch zerstrittene Partei befriedet und zum aktuellen, nie gekannten Höhenflug geführt hat. In der Wählergunst haben sich die Grünen, die im Bundestag nur die kleinste Fraktion stellen, inzwischen fest als zweitstärkste Kraft hinter der Union etabliert. Die SPD wurde deutlich abgehängt. So eng ist die Ökopartei CDU und CSU auf den Fersen, dass neben einer schwarz-grünen sogar eine grün-schwarze Koalition möglich scheint. Im Moment würde es auch für eine grün-rot-rote Bundesregierung reichen, mit einem grünen Kanzler an der Spitze.

    Grünen-Chefin Annalena Baerbock genießt den ungeteilten Respekt der Fraktionskollegen

    Die „K-Frage“ ist also längst nicht mehr nur theoretischer Natur. Wird etwa Robert Habeck in Interviews nach einer grünen Kanzlerkandidatur gefragt, fallen seine Antworten längst nicht mehr so pampig aus wie noch vor einigen Wochen. Und auch die politische Konkurrenz wittert Gefahr. Auffällig etwa, wie heftig CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gegen Habeck austeilt. Als „Käpt’n Iglo der Grünen“ und „selbst ernannten Küstenkavalier“ verspottete er Habeck etwa beim Politischen Aschermittwoch.

    Womöglich arbeitet sich Söder am Falschen ab. Denn während alle Augen auf dem telegenen Frauenliebling aus Schleswig-Holstein ruhen, schärft Annalena Baerbock zunehmend ihr politisches Profil. In der Bundestagsfraktion, der Habeck nicht angehört, rollen manche genervt die Augen, wenn der Schriftsteller und Philosoph sich wieder einmal in schön klingenden, aber wenig präzisen Aussagen ergeht. Baerbock dagegen, selbst Abgeordnete, hat den fast ungeteilten Respekt der Fraktionskollegen.

    Die gebürtige Hannoveranerin, die in Hamburg und an der renommierten London School of Economics Politikwissenschaft und öffentliches Recht studierte, sei in ausnahmslos allen Politikfeldern versiert, heißt es. Fraktionsmitglieder loben gerade auch den außenpolitischen Sachverstand Baerbocks, die von 2005 bis 2008 Büroleiterin der Brandenburger Europaabgeordneten Elisabeth Schroedter war. 2005 war sie auch in die Partei eingetreten, für die sie dann 2013 als Spitzenkandidatin der brandenburgischen Grünen in den Bundestag einzog.

    Als Annalena Baerbock dann Anfang 2018 zusammen mit Habeck Parteivorsitzende wurde, war oft von der „Frau an seiner Seite“ die Rede. Doch im politischen Berlin war da längst bekannt, über welches politische Talent die verheiratete Mutter zweier Töchter verfügt. Manche belächeln ihre oft schreiend bunten, auffälligen Kleider, doch die sorgen immerhin dafür, dass sie im dunkelblau-grau-schwarzen Anzugseinerlei der männlichen Politiker sichtbar bleibt. Trotz ihrer eher geringen Körpergröße wirkt Baerbock im Gespräch mit Wirtschaftsgrößen oder ausländischen Staatschefs wie Frankreichs Emmanuel Macron auf Augenhöhe.

    Annalena Baerbock stammt laut eigenen Angaben aus einem "Hippiehaushalt"

    Dabei stammt die Grünen-Chefin eigenen Angaben zufolge aus einer Art „Hippiehaushalt“ in einem kleinen Dorf bei Hannover. Ihre Eltern nahmen sie oft zu Friedens- oder Anti-Kernkraft-Demos mit. Ideologisch unbeweglich oder gar dogmatisch ist sie aber nicht. Sie kann strategische Allianzen schmieden, die weit über die Grenzen der eigenen Partei hinaus reichen.

    Das zeigte sich zuletzt etwa, als sie sich im Bundestag gegen die weitreichenden Organspende-Pläne von CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stellte. Baerbock organisierte ein breites Gegen-Bündnis, dem auch Politiker von Linkspartei, SPD, FDP und CDU/CSU angehörten. Bei der entscheidenden Bundestagssitzung legte Baerbock eine leidenschaftliche Rede hin, am Ende gewann ihre Gruppe die Abstimmung klar.

    „Würden die Funktionäre entscheiden, würde Annalena das Rennen machen“, sagt ein hochrangiges Mitglied der Grünen-Bundestagsfraktion. An der Parteibasis aber sehen die Dinge nach ihrer Einschätzung ganz anders aus: „Es ist unglaublich, wie präsent Robert bei den Leuten im ganzen Land ist, wie umgänglich er ist, wie gut er ankommt.“ Für die Kanzlerkandidaten-Frage ein wichtiger, vielleicht entscheidender Vorteil für Habeck. Denn gemäß der Grünen-Tradition werden wichtige Fragen meist von den Mitgliedern entschieden. Eine Insa-Umfrage stützt diese Einschätzung: 46 Prozent der Grünen-Wähler halten Robert Habeck für den am besten geeigneten Kanzlerkandidaten der Partei, 19 Prozent bevorzugen Baerbock.

    Vorteil Annalena Baerbock: Grüne wollen Frauen fördern

    Es gibt aber noch ein anderes ungeschriebenes Gesetz bei den Grünen, das eher für Baerbock spricht. Von Anfang an hat es sich die Partei auf die Fahnen geschrieben, Frauen zu fördern. Für hohe Ämter gilt das Prinzip Doppelspitze, der mindestens eine Frau angehören muss. Zwei Frauen gehen auch, aber keinesfalls zwei Männer. Im Amt des Bundeskanzlers ist eine Doppelspitze nicht möglich, die Grünen müssten sich also auch für eine Person als Spitzenkandidat/-in entscheiden.

    Und anders als einst Joschka Fischer sticht Robert Habeck keinesfalls als alternativlose Führungsfigur heraus. Bei zwei als ungefähr gleich stark empfundenen Kandidaten wäre nicht auszuschließen, dass am Ende der feministische Aspekt entscheidet. So könnte Druck auf Robert Habeck entstehen, Annalena Baerbock freiwillig den Vortritt zu lassen. Zumal die CDU, möglicherKoalitionspartner und gleichzeitig größter Konkurrent im Rennen ums Kanzleramt, nach Lage der Dinge wohl einen männlichen Bewerber für die Nachfolge von Angela Merkel ins Rennen schicken wird. Viele bei den Grünen finden, dass es ihrer Partei gut zu Gesicht stünde, eine weibliche Alternative anzubieten.

    Auf den zweiten Blick spricht also gar nicht so wenig dafür, dass statt Habeck am Ende Annalena Baerbock, in jungen Jahren Leistungssportlerin auf dem Trampolin, zum Sprung ins Kanzleramt ansetzt.

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