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Hintergrund: Peinliche Stille beim Koalitionsgipfel im Flüchtlingsstreit

Hintergrund

Peinliche Stille beim Koalitionsgipfel im Flüchtlingsstreit

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    Sonntagsarbeit in der Regierungszentrale: Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Weg zum Koalitionsgipfel.
    Sonntagsarbeit in der Regierungszentrale: Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Weg zum Koalitionsgipfel. Foto: Rainer Jensen, dpa

    „High Noon“ im Kanzleramt. Um zwölf Uhr mittags kommt es am Sonntag zum mit Spannung erwarteten Showdown in der Regierungszentrale im Spreebogen. Erst trifft sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Vier-Augen-Gespräch mit dem CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, das deutlich länger dauert als ursprünglich geplant, nach knapp zwei Stunden kommt auch noch SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel hinzu.

    Es ist, wie es der Zufall will, die gleiche Konstellation wie im legendären Western „High Noon“ aus dem Jahre 1952: Bei brütender Mittagshitze tragen zwei Männer und eine Frau den Konflikt zwischen Gut und Böse, zwischen richtig oder falsch offen aus. Nur dass dieses Mal die Rollen anders verteilt sind: Das Duell findet nicht zwischen den beiden Männern, dem Town-Marshal Will Kane und dem Gangsterboss Frank Miller, statt, sondern zwischen der CDU-Chefin Merkel und dem CSU-Vorsitzenden Seehofer, die sich nun schon seit genau einem Jahr, seit der Öffnung der Grenzen für die Flüchtlinge, einen zermürbenden Streit liefern: um den richtigen Kurs in der Flüchtlingspolitik, die Zukunft der Union und ein Konzept im Umgang mit der AfD.

    Horst Seehofer will in den "Gewinnermodus"

    Formal ist die Kanzlerin in der stärkeren Ausgangsposition. Sie steht noch immer an der Spitze der Regierung und weiß die stärkeren Bataillone hinter sich. Doch der Chef der Schwesterpartei kommt an diesem Sonntag mit breiter Brust nach Berlin, entschlossen, nicht klein beizugeben, sondern Merkel zu zwingen, sich öffentlich zu einem Kurswechsel zu bekennen.

    Ihm hat der Vorstand seiner Partei bei einer Klausur am Wochenende demonstrativ den Rücken gestärkt und sich unter anderem für eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen sowie ein Burka-Verbot ausgesprochen, was die Kanzlerin ablehnt. Zum anderen aber ist Merkel nach der schweren CDU-Niederlage in ihrer politischen Heimat Mecklenburg-Vorpommern angeschlagen.

    „Ich möchte raus aus dem Verlierermodus, hin zum Gewinnermodus“, gibt Seehofer als Parole aus, die Union müsse endlich die Ängste, Sorgen und Forderungen der Menschen ernst nehmen und eine Politik machen, die von den Bürgern akzeptiert werde. „Und neues Vertrauen, das ja auch die Kanzlerin möchte, schaffen Sie nur auch mit einer neueren und besseren

    Besonders aufmerksam registriert Seehofer, dass auch der Koalitionspartner SPD auf Distanz zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin geht und selbst SPD-Chef Sigmar Gabriel auf einmal eine Obergrenze fordert, wenn auch keine starre. Merkel und die CDU dagegen bleiben hart – eine feste Obergrenze kann es nicht geben. Nicht nur, weil dies auf dem letzten CDU-Parteitag in Karlsruhe im Dezember so beschlossen wurde, sondern auch, weil sie rechtlich wie praktisch kaum durchsetzbar wäre.

    Weil sich Merkel und Seehofer bei ihrem Vier-Augen-Gespräch nicht auf eine gemeinsame Position einigen können, gleichzeitig aber kein Interesse an einer weiteren Eskalation des Konflikts haben, klammern sie das heiße Eisen Flüchtlingspolitik beim Dreiergipfel mit Gabriel aus. Auf dem Verhandlungstisch liegen ohnehin zahlreiche weitere zwischen den drei Regierungsparteien umstrittene Themen wie der gleiche Lohn für Frauen und Männer, die Angleichung der Ostrenten an das Westniveau, die Neuregelung der Erbschaftsteuer sowie die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen – auch das sind allesamt Themen mit hohem Konfliktpotenzial.

    Merkel, Seehofer und Gabriel wissen, dass sie bei allen Differenzen in der Sache doch ein Bild der Arbeitsfähigkeit der Großen Koalition aussenden müssen, schließlich dauert die Legislaturperiode noch fast ein Jahr. So einigen sie sich auf einen groben Fahrplan für den Herbst – für die strittigen Sachthemen sollen „in den kommenden Wochen“ Lösungen gefunden werden, heißt es hinterher.

    Im Western „High Noon“ reichen ein paar Kugeln, um den Konflikt zu klären. Nach wenigen Minuten ist Miller tot, Kane und seine frisch angetraute Frau können die Stadt siegreich verlassen. Im Kanzleramt dagegen bleibt der Großkonflikt zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel auch nach dem gut viereinhalbstündigen Treffen ungelöst. Wortlos verlassen Seehofer und Gabriel die Regierungszentrale. Das Feuer lodert weiter, die Auseinandersetzung zwischen Seehofer und Merkel geht in eine neue Runde. Es gilt, nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel: Anfang Oktober wollen sich die drei Parteichefs wieder treffen.

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