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Hintergrund: Eine Partei stagniert: Grüner wird es nicht

Hintergrund

Eine Partei stagniert: Grüner wird es nicht

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    Die Umfragewerte stagnieren in der Corona-Krise: Die Grünen um Robert Habeck und Annalena Baerbock suchen eine neue Strategie.
    Die Umfragewerte stagnieren in der Corona-Krise: Die Grünen um Robert Habeck und Annalena Baerbock suchen eine neue Strategie. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt lieferte unfreiwillig eine gute Zusammenfassung der Lage ihrer Partei. „Die Corona-Pandemie macht uns nach wie vor große Sorgen. Wir sind alles andere als über den Berg“, erklärte die Abgeordnete am Mittwoch zum Auftakt der Grünen-Fraktionsklausur in Berlin. Göring-Eckardt meinte natürlich die Situation in Deutschland, ihre Sätze passen aber auch gut auf die Partei. Die Pandemie hat deren Höhenflüge ausgebremst. Sie stürzt nicht ab, sucht aber ihren Kurs.

    Vor Corona hatte es noch danach ausgesehen, als ob die Grünen schneller als gedacht wieder Regierungsverantwortung übernehmen könnten. Nach der Wahl der neuen SPD-Doppelspitze wurde die Bundespolitik um den Jahreswechsel herum heftig durcheinandergewirbelt. Eine Auflösung der Großen Koalition lag in der Luft und die Umfragewerte der Grünen gingen durch die Decke. Auf einmal lag die einstmalige Öko-Partei fast gleichauf mit der Union. Mit zunehmender Ausbreitung von Covid-19 gingen die Werte der Grünen allerdings wieder zurück, bei rund 19 Prozent pendelten sie sich ein.

    Ein immer noch beachtlicher Wert, der etwa doppelt so hoch ist wie das Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017. Doch die Partei steckt in einem Dilemma: Im Winter und Frühjahr gingen viele Wählersympathien von der Union zu den Grünen über. Mit Ausbruch der Pandemie setzte eine Rückwanderung ein. „Viele der Wähler, die von der Union zu den Grünen abgewandert sind, sind ja nicht deren Stammwähler geworden. Sie sehen jetzt die Chance, von den Grünen wieder wegzugehen“, erklärte der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner.

    Die Probleme der Partei liegen nicht nur in der Pandemie

    Dass die Grünen den Spannungsbogen nicht dauerhaft halten konnten, liegt aber nicht nur an Corona. Die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck wollen aus der einstigen Ökobewegung eine „Bündnispartei“ machen. Beide geben sich offen für Koalitionen mit allen Parteien außer der AfD. Sie möchten die „Breite der Gesellschaft“ ansprechen. Doch das macht es gleichzeitig schwierig, ein eigenes Profil zu gewinnen.

    Geführt werden die Grünen von zwei Vorsitzenden, die hohe Anerkennung genießen, manchmal aber den nötigen Biss vermissen lassen. Wer in Deutschland mal Minister oder sogar Kanzler werden will, sollte schon wissen, welche Aufgaben die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) hat. Eine Zuständigkeit für Handwerkerrechnungen, wie sie Co-Chef Robert Habeck jüngst bei der BaFin verortete, gehört jedenfalls nicht dazu. Habeck zeigte schon Wissenslücken bei der Pendlerpauschale. Co-Chefin Annalena Baerbock sprach kürzlich vom Rohstoff „Kobold“, meinte aber Kobalt. Alles nicht schlimm, aber bedenkenswert.

    Nur 29 der Deutschen halten einen grünen Kanzler für generell wünschenswert

    Auftritte wie diese können dazu beitragen, dass die Regierungsambitionen der Grünen nicht mit dem nötigen Ernst betrachtet werden. Lediglich 29 Prozent der Wahlberechtigten bejahen laut einer aktuellen Forsa-Umfrage die Frage, dass eine grüne Kanzlerin oder ein grüner Kanzler überhaupt gut für Deutschland wäre. 38 Prozent fänden es schlecht, weitere 23 Prozent sind der Auffassung, das wäre ohne besondere positive oder negative Folgen. Selbst unter den Grünen-Anhängern würden nur zwei Drittel eine grüne Kanzlerschaft begrüßen.

    Da schwingt Angst vor der eigenen Courage mit und die rührt aus den Jahren 1998 bis 2005 her, als die Grünen zusammen mit der SPD das Land regierten. Diese Zeit war von heftigen Debatten begleitet, die Parteiführung und Mitglieder mussten sich etwa zum Krieg in Afghanistan verhalten. Als die Wähler die Grünen 2005 dann ernüchtert vor die Tür setzten, ging die Sinnsuche weiter. Die Ökos versuchten, sich neben ihrem ureigenen Gebiet der Umweltpolitik stärker in Bereichen wie der Steuer- oder der Sozialpolitik zu profilieren. Mit nur mäßigem Erfolg, wie viele Wahlen auf Bundes- und Landesebene danach zeigten. Unter Baerbock und Habeck, flankiert vom erfahrenen Fraktionsspitzen-Duo Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, haben die Grünen aus den Fehlern gelernt.

    Die Themenpallette ist heute weit größer als nur Ökologie und Klima

    Wirtschafts- und außenpolitische Themen sind mittlerweile ebenso gut abgedeckt wie die Klima- und Umweltpolitik. Bei ihrer Fraktionsklausur plauderten sie mit Madeleine Albright, die einstmals die amerikanische Amtskollegin des deutschen Außenministers und Ur-Grünen Joschka Fischer war. Im Wirecard-Skandal haben Grünen-Abgeordnete viel dazu beigetragen, dass die Suche nach den Schuldigen läuft.

    Ob es allerdings dazu reichen wird, wieder auf Augenhöhe mit der Union zu kommen, wie es vor der Corona-Pandemie der Fall war? Aus eigener Kraft wohl nicht, dazu sind die überwiegend von westdeutschen Bildungseliten getragenen Grünen zu wenig Volkspartei. Andererseits braucht es das am Ende gar nicht. Denn derzeit ist auch eine grün-rot-rote Koalition mit SPD und Linken denkbar. Die meisten Grünen-Anhänger wären laut Forsa-Umfrage ohnehin dafür.

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