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Hintergrund: Ein Geheimdienstexperte verrät, wie weit der Arm Erdogans reicht

Hintergrund

Ein Geheimdienstexperte verrät, wie weit der Arm Erdogans reicht

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    Das Referendum in der Türkei findet am 16. April statt.
    Das Referendum in der Türkei findet am 16. April statt. Foto: Ozan Kose, AFP

    In Deutschland lebende Türken werden vom türkischen Geheimdienst in einem Umfang bespitzelt, der den

    An der türkischen Botschaft und den elf Konsulaten sind laut Schmidt-Eenboom 13 MIT-Offiziere sogar offiziell akkreditiert. Sie befehligen nach seinen Informationen eine Truppe von rund 400 hauptamtlichen Geheimdienstlern in Deutschland, von denen jeder wiederum zwei bis drei Agenten führe. Darüber hinaus gebe es noch eine Schar von Zuträgern, die etwa Informationen über regierungskritische Landsleute sammeln und weitergeben. Bis zu 6000 Personen dürfte das türkische Spitzelnetz in Deutschland umfassen, schätzt Schmidt-Eenboom.

    Die Überwachungsmaschinerie sei auch deshalb so riesig, weil rund 1,4 Millionen in Deutschland lebende Türken in ihrer Heimat wählen dürfen. In den Blick des MIT geraten sie etwa, wenn sie eine türkische Bankfiliale oder ein Reisebüro besuchen. „Als Mitarbeiter getarnte Spione schnüffeln dann nicht selten Geldströme und Reisebewegungen aus“, sagt Schmidt-Eenboom.

    In Deutschland gibt es rund 800 Ditib-Moscheen

    Wie die jüngsten Fälle wieder deutlich machen, wird auch unter dem Deckmantel der Religion spioniert. Der MIT stehe in enger Verbindung zum Moscheeverband Ditib, der der türkischen Religionsbehörde und damit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan untersteht. Die Ditib unterhält rund 800 Moscheen in Deutschland. Offenbar haben aus der Türkei entsandte Imame gezielt gläubige Muslime in Deutschland ausgespäht und etwa Kritiker der Regierung Erdogan nach Ankara gemeldet. Betroffene müssten fürchten, bei Reisen in die Heimat verhaftet zu werden, sie würden bedroht, ihre Geschäfte boykottiert.

    In Zeiten, in denen die Türkei noch als befreundete Nation und EU-Beitrittskandidat galt, hätten die deutschen Behörden dem MIT laut Schmidt-Eenboom weitgehend freie Hand gelassen, teils auch mit dem türkischen Dienst kooperiert: „In den achtziger Jahren waren es vor allem Mitglieder und Sympathisanten der auch in Deutschland verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die überwacht wurden.“

    Doch 2013 gerieten, so Schmidt-Eenboom, auch Deutsch-Türken ins Visier des MIT, die die „Gezi-Park-Proteste“ gegen die Politik Erdogans unterstützten. Und der gescheiterte Putschversuch im Juli 2016 habe nicht nur zu einer riesigen Entlassungs- und Verhaftungswelle in der Türkei geführt, sondern auch zu einer neuen Dimension der Überwachung von Türken im Ausland. Im Visier stehen vor allem Sympathisanten der sogenannten Gülen-Bewegung, die von offizieller türkischer Seite für den versuchten Umsturz verantwortlich gemacht wird. Westliche Geheimdienste aber glauben nicht, dass der Putsch vom Gülen-Netz ausging.

    Der BND warnte Betroffene

    Zwar sieht auch Schmidt-Eenboom in den Anhängern des Islam-Predigers Fethullah Gülen „keine lupenreinen Demokraten“. Gülen verfolge dasselbe Ziel wie sein ehemaliger Verbündeter und heutiger Rivale Erdogan, nämlich die Umwandlung der Türkei in eine islamische Republik. Die Gülen-Bewegung, die auch in Deutschland Schulen und Nachhilfezentren betreibt, stehe aber nicht unter Terrorismusverdacht.

    Im Zusammenhang mit dem Referendum, mit dem Erdogan versucht, eine Art absoluter Macht in der Türkei zu erlangen, habe der MIT seine Auslandsaktivitäten ausgeweitet: auf alle, die auch nur leise Kritik an der türkischen Regierung äußern, sagt Schmidt-Eenboom.

    Offenbar vor diesem Hintergrund hat sich der Bundesnachrichtendienst zu einem in der diskreten Welt der Geheimdienste ungewöhnlichen Schritt entschieden. Als der MIT dem BND im Februar eine Liste mit den Daten von rund 360 in Deutschland lebenden angeblichen „Terroristen“, meist Gülen-Anhänger, überreichte, warnte die deutsche Seite die Betroffenen. Und leitete Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Spione ein.

    Mehr zum Türkei-Referendum lesen Sie in unserem News-Blog.

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