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Hintergrund: EU-Parlamentarier wollen Straßburg aufgeben

Hintergrund

EU-Parlamentarier wollen Straßburg aufgeben

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    Das EU-Parlament in Straßburg – nach dem Willen der Mehrheit der Abgeordneten finden dort in absehbarer Zeit keine Sitzungen mehr statt.
    Das EU-Parlament in Straßburg – nach dem Willen der Mehrheit der Abgeordneten finden dort in absehbarer Zeit keine Sitzungen mehr statt. Foto: Hildenbrand, dpa

    Der europäische Wanderzirkus geht am Montag wieder auf die Reise: 751 Abgeordnete plus Mitarbeiter, Dolmetscher, Journalisten und Mitarbeitern von Fraktionen sowie andere Helfer des Parlamentes wechseln von Brüssel nach Straßburg. Insgesamt rund 5000 Personen. Die Akten reisen auf acht Lastwagen hinterher. Am Donnerstag dann wird der ganze Tross wieder nach

    Gleich zwei EU-Agenturen sollen in den kommenden Monaten aus London auf den Kontinent geholt werden. Neben der Europäischen Bankenkontrolle (Eba) ist dies vor allem die wenig bekannte, aber gewichtige Europäische Arzneimittelbehörde (EMA). Über 900 hochqualifizierte Experten arbeiten dort, unterstützt von weiteren 95 lokalen Mitarbeitern. Rund 1000 Pharma-Firmen, Anwaltskanzleien und Consulting-Experten haben sich im Umfeld angesiedelt. Schließlich ist die EMA für die Zulassung neuer Medikamente zuständig. Ein echter Zukunftsmarkt und finanzieller Selbstläufer dazu. Denn die EMA bestreitet ihren Haushalt aus den Zulassungsgebühren der antragstellenden Unternehmen. Rund 40 Städte aus fast allen EU-Staaten, darunter auch sieben deutsche, haben sich als neue Standorte beworben. Doch das

    Hinter den Kulissen arbeiten Volksvertreter aller Fraktionen inzwischen an einem Deal, mit dem sie Frankreichs neuen Staatspräsidenten Emmanuel Macron überzeugen wollen, die historische Straßburg-Vereinbarung endlich aufzugeben. Dann könnte das Parlament dauerhaft in Brüssel tagen, dafür könnte die EMA nach Straßburg in die dortigen Gebäude ziehen. Für die Hotels, Taxi-Unternehmen und Zulieferer der elsässischen Region, die bisher von den Politikern leben, wäre das wohl ein lukratives Geschäft. Denn im Gegensatz zum Abgeordnetenhaus hat die EMA durchgehend geöffnet und zieht auch noch jährlich bis zu 36000 Fachleute aus dem Pharma-Bereich an. Für Straßburg also ein äußerst einträglicher Tausch.

    Weithin unbeachtet von der Öffentlichkeit beauftragten die 751 Volksvertreter der 28 Mitgliedstaaten bereits Ende April ihren Geschäftsführer mit der Ausarbeitung eines konkreten Plans und ersten Vorgesprächen. Offen äußern will sich bislang niemand, weil man verhindern möchte, dass der französische Parlamentswahlkampf mit einem solchen EU-Thema überlagert werden könnte.

    Doch die Chancen stehen offenbar gut. Sogar französische Abgeordnete unterstützen das Gegengeschäft. Auch das niederländische Parlament hat bereits eine zustimmende Resolution gefasst. Im Berliner Kanzleramt, so wird in Brüssel kolportiert, stehe man dem Vorhaben positiv gegenüber – übrigens aus sehr pragmatischen Gründen: Wenn Großbritannien aus der Union ausscheidet, werden die EU-Beiträge für alle steigen. Es sei denn, man verständigt sich auf strikte Einsparungen. Da könnten die 200 Millionen Euro, die der Wanderzirkus im Jahr kostet, schon ein Anfang sein. Und wohl auch ein deutliches Signal Richtung Bürger: Die EU schnallt den Gürtel enger. Denn die Frankreich zugesicherten zwölf Sitzungen pro Jahr ziehen viele praktische Probleme nach sich. Für nur 48 Parlamentstage in zwölf Monaten müssen die Straßburger Bauten ständig beheizt werden. Die Wasserversorgung wird ständig in Betrieb gehalten, weil sich sonst Bakterien in den Zuleitungen bilden.

    Für Macron, so sagten Abgeordnete gegenüber unserer Zeitung, brächte die Zustimmung zu dem Deal sogar einen Prestigegewinn. Denn er könnte schnell den Erfolg verbuchen, eine der wichtigsten EU-Agenturen nach Frankreich geholt und der strukturschwachen Region Elsass ein Geschenk gemacht zu haben.

    Das letzte Wort haben allerdings die Staats- und Regierungschefs. Sie müssen einstimmig eine Änderung des Parlamentssitzes Straßburg beschließen und dann auch die EU-Verträge ändern. Das ist allerdings eine Operation, die die meisten Staatenlenker bis heute scheuen.

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