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Hintergrund: Die streitende Kirche

Hintergrund

Die streitende Kirche

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    „In der Kurie finden manche, dass es in Deutschland zu viele Nörgler gibt.“ Vatikan-Experte Marco Politi
    „In der Kurie finden manche, dass es in Deutschland zu viele Nörgler gibt.“ Vatikan-Experte Marco Politi Foto: dpa

    Wenn Papst Benedikt XVI. am Donnerstag nach Berlin kommt, wird ihm „ein eisiger Wind entgegenwehen“. Da ist sich der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke sicher. Doch er ist ebenso überzeugt davon: „Er bringt uns die Glaubensfreude.“

    Es hat sich etwas geändert im Verhältnis der Deutschen zum ersten deutschen Papst seit fast 500 Jahren. Glaubensfreude? „Wir sind Papst“? Vergangen und vorbei, scheint es. Einer Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge sind zwar 63 Prozent der Deutschen stolz darauf, dass der Papst ein Deutscher ist. Aber nicht einmal alle deutschen Katholiken freuen sich auf den inzwischen dritten Besuch Benedikts in seinem Heimatland.

    Und das liegt vor allem an dem Zustand, in dem sich die deutsche katholische Kirche nach dem Krisenjahr 2010 befindet. Ein Riss geht durch die Bischofskonferenz, durch die Bistümer und die Pfarreien. Auch in der Diözese Augsburg treten Meinungsverschiedenheiten offen zutage, befeuert durch den Rücktritt des früheren Bischofs Walter Mixa. Ein einmaliger Fall in der jüngeren Geschichte des deutschen Katholizismus.

    Kirchenspaltung

    Immer wieder fällt das Wort „Kirchenspaltung“ – ein wuchtiges Wort, weil es an die Reformation erinnert. Bald 500 Jahre ist es her, dass Martin Luthers Versuch, die römisch-katholische Kirche zu erneuern, die Entstehung der evangelisch-lutherischen Kirche beförderte. Häufiger noch als das Wort „Spaltung“ ist das Wort „Erneuerung“ zu hören.

    „2011 muss ein Jahr des Aufbruchs für die Kirche werden“, haben im Februar 143 deutsche Theologen in einem „Memorandum“ gefordert. Sie beklagten „verknöcherte Strukturen“, mahnten „Mut zur Selbstkritik“ und „zukunftsweisende Reformen“ an: Frauen im kirchlichen Amt, Gnade für Homo-Partner und wiederverheiratete Geschiedene. Ihre Wortmeldung erfolgte nicht nur unter dem Eindruck des Missbrauchsskandals. Die Theologen hatten auch eine Kirche vor Augen, der die Priester und die Gläubigen ausgehen und deren Gemeinden zu größeren Einheiten zusammenlegt werden. Über 180000 deutsche Katholiken – so viele wie nie – traten 2010 aus der Kirche aus.

    Als neben den Theologen acht Unionsabgeordnete in einem offenen Brief vom Vatikan die Priesterweihe verheirateter Männer forderten, entgegnete ihnen Kardinal Walter Brandmüller: Ihr Begehren ziele „in die Nähe einer Nationalkirche“, vermehre die Verwirrung unter den Gläubigen und beleidige Jesus Christus selbst.

    „In der Kurie finden manche Kardinäle und Mitarbeiter des Papstes, dass es in Deutschland zu viele Nörgler gibt. Aus römischer Sicht wird immer vom ,alten Zeug‘ gesprochen“, erklärt Marco Politi. Der italienische Journalist und Buchautor gilt als der Vatikan-Experte schlechthin. Warum, im Unterschied zu anderen Ländern, in

    Zwei Lager innerhalb der katholischen Kirche

    Ausgetragen wird der Richtungsstreit von zwei Lagern – Reformern und Traditionalisten. Die Reformer setzen sich für einen liberaleren Kurs ein, der Laien mehr Freiheiten und Verantwortung zubilligt. Die Traditionalisten machen sich für einen konservativeren Kurs stark, der in Glaubenstreue und Gehorsam zum päpstlichen Lehramt besteht. Denn sie befürchten, dass die katholische Kirche ansonsten ihren Markenkern verliert. Dass sie evangelischer wird. Der Ton zwischen den Lagern ist mitunter scharf, von Nächstenliebe ist teils wenig zu spüren. Nicht umsonst sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, kürzlich im Interview mit unserer Zeitung: „Wir müssen uns immer wieder darauf zurückbesinnen: Wir sind eine Kirche.“ – Mit besonderer Betonung auf: „eine“. Zuvor hatte er von „kämpferischen Gruppen“ gesprochen, „die meinen allein zu wissen, was richtig ist“.

    Stets wird, etwas holzschnittartig, auf den Freiburger Erzbischof Zollitsch (liberal) und den Kölner Kardinal Joachim Meisner (konservativ) verwiesen. Sie werden als Gegenspieler im Kampf um Einfluss und Deutungshoheit dargestellt. Der eine, Zollitsch, bemühe sich um Reformen. Der andere, Meisner, sehe seinen Auftrag darin, das Evangelium zu verkünden – und nicht seinen Kritikern zu gefallen. Ihre Äußerungen werden auf die Goldwaage gelegt, beklatscht oder als Provokation empfunden.

    Wohin all das führen könnte, ist ungewiss. Wohin es bereits geführt hat, ist nach Ansicht von Peter Seewald hingegen klar. Der Journalist, der Benedikt im Sommer 2010 ausführlich interviewte, sagt: „Die innerkirchliche ,Reform‘-Diskussion hat vor allem eines gebracht: Sie hat die katholische Kirche buchstäblich lahmgelegt und kaltgestellt.“

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