Die Spitzenkandidaten der einzelnen Parteien sollen den jeweiligen Wahlkampagnen ein markantes Gesicht geben. An dieser Stelle bieten wir eine Übersicht über die Frauen und Männer der wichtigsten Parteien, die im Fokus stehen. Bei den Parteien, die eine Doppelspitze ins Rennen schicken, konzentrieren wir uns auf den Kandidaten, der stärker im Fokus der Öffentlichkeit steht.
Für sein größtes politisches Ziel in Brüssel war Manfred Weber, 46, bereit, seine Ambitionen in Bayern zu opfern: Als Horst Seehofer 2018 seinen Posten als CSU-Chef aufgab, überließ Weber kurzerhand Markus Söder den ersten Zugriff. Ausgerechnet Söder muss man sagen, denn Weber und er waren nie beste Freunde. Trotz dieser persönlichen Befindlichkeiten, sein Ehrgeiz galt alleine einem Ziel: EU-Kommissionspräsident zu werden. Diese Zielstrebigkeit ist – wie sein Talent als Strippenzieher im Hintergrund – eine von Webers besonderen Fähigkeiten. In der CSU hat der niederbayerische Katholik eine klassische Parteikarriere hinter sich. Von 2003 bis 2007 war er Chef der Jungen Union in Bayern, von 2008 bis 2016 niederbayerischer Bezirkschef – in der CSU-Hierarchie ein wichtiges Amt. 2002 zog er mit 29 Jahren in den bayerischen Landtag ein, bevor er 2004 erstmals ins EU-Parlament gewählt wurde. Seit 2015 ist Weber stellvertretender Parteichef, im EU-Parlament führt er die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP).
„Ich bin Europäerin durch und durch“, versichert Katarina Barley auf ihrer Website. Kaum jemand kann das glaubhafter von sich behaupten als die gebürtige Kölnerin: Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Brite, studiert hat sie in Paris, und ihr Bundestagswahlkreis grenzt an Luxemburg. Augenzwinkernd bezeichnet sich die 50-Jährige schon mal als „Allzweckwaffe der SPD“. Die Juristin, die einige Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht arbeitete, war bereits Generalsekretärin ihrer Partei, wechselte dann ins Amt der Familienministerin und fungiert seit der Neuauflage der Großen Koalition als Bundesjustizministerin. Wenn es für die zweifache Mutter nun ins Europaparlament geht, dann zieht sie nicht alleine nach Brüssel. In einem Interview kündigte Barley an, dass ihr Ex-Mann und ihr jüngerer Sohn mitkommen werden: „Wir haben uns damals vorgenommen, als Eltern räumlich in der Nähe zu bleiben, bis die Kinder erwachsen sind.“
Der 62-Jährige Udo Bullmann steht im SPD-Gespann an Barleys Seite.
Die 37-Jährige führt nicht nur die deutschen Grünen in den Europa-Wahlkampf, sondern ist auch schon zum zweiten Mal Spitzenkandidatin der europäischen Grünen. Die studierte Islamwissenschaftlerin und Turkologin ist sehr sprachbegabt: Sie spricht Englisch, Französisch und Spanisch, Katalanisch und auch Türkisch. Verheiratet ist sie mit einem Finnen. Keller zog 2009 mit erst 27 Jahren erstmals ins EU-Parlament ein. Seit Ende 2016 ist sie Fraktionschefin der europäischen Grünen-Fraktion (EFA) dort. Bei den Grünen wird Keller zum linken Parteiflügel gezählt. Sie engagiert sich besonders intensiv in der Migrations- und Handelspolitik und sitzt im Innenausschuss des EU-Parlaments. Sie wurde im brandenburgischen Guben an der polnischen Grenze geboren. „Als Ossi weiß ich, dass Demokratie erstritten werden muss. Und dass man sie immer wieder verteidigen muss“, schrieb sie in ihrer Bewerbung für die deutsche Wahlliste. Sie wisse, „was es heißt, wenn Grenzen Menschen trennen und wie großartig es ist, wenn Europa sie zusammenbringt“.
Sven Giegold, 49, ergänzt die Doppelspitze der Grünen.
Der 43-Jährige Berliner sitzt bereits seit 2017 im Europäischen Parlament. Dort ist er zuständig für Wirtschafts- und Währungsfragen, beschäftigt sich mit Finanzkriminalität und Steuerhinterziehung. Der promovierte Politikwissenschaftler ist auch Mitglied im Parteivorstand der Linken. Für eine humane Flüchtlingspolitik und sowie gegen Rechts setzt er sich auch außerparlamentarisch ein. Politik liegt Schirdewan quasi im Blut: Sein Großvater Karl Schirdewan war Politiker in der DDR. Zwischenzeitlich galt er als zweiter Mann hinter Walter Ulbricht, stand diesem aber kritisch gegenüber, trat für ein vereintes Deutschland ein und wurde aus der SED ausgeschlossen.
Die 35-Jährige Gewerkschaftler Özlem Alev Demirel vervollständigt das Spitzenduo der Linken.
Seinen Aufstieg an die Spitze der AfD hat Jörg Meuthen, 57, dem Aufstand gegen Parteigründer Bernd Lucke zu verdanken. Nachdem Frauke Petry und ihre Verbündeten Lucke im Juli 2015 auf einem hitzigen Parteitag in Essen kaltgestellt hatten, wurde für den Co-Vorsitz ein Vertreter des wirtschaftsliberalen Parteiflügels gesucht. Da griff der Wirtschaftswissenschaftler zu.
In den Jahren 2016 bis 2018 rückte Meuthen spürbar näher an den rechtsnationalen Parteiflügel um den umstrittenen Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke heran, der in dieser Zeit an Einfluss gewann. Meuthen besuchte das jährliche Kyffhäuser-Treffen der „Flügel“-Leute, schimpfte auf das „links-rot-grün verseuchte 68er-Deutschland“ und behauptete, er sehe in seiner Heimatstadt „nur noch vereinzelt Deutsche“. An Spekulationen über einen Austritt Deutschlands aus der EU beteiligt er sich nicht. Ärger bereitet ihm eine von der AfD nicht als Spende deklarierte Werbekampagne für seinen Landtagswahlkampf 2016, die von der Bundestagsverwaltung als illegal eingestuft wird. Meuthen hat fünf Kinder und ist in dritter Ehe verheiratet.
In ihrer kurzen Berliner Zeit spiegelt sich das Faible von Nicola Beer für Europa auf den ersten Blick nicht wider – in ihrem Lebenslauf schon. Die erst 2017 in den Bundestag gekommene Juristin sitzt hier im Bildungs- und im Kulturausschuss. Von 2009 bis 2012 war die heute 49-Jährige aber in der hessischen Landesregierung Staatssekretärin für Europaangelegenheiten. In dieser Zeit saß sie auch im Europäischen Ausschuss der Regionen, einem beratenden Gremium der EU. Dass Beer 1989 in Frankfurt ein deutsch-französisches Abitur gemacht hat, kann in Brüssel und Straßburg natürlich auch nicht schaden. Ein „politisches Schwergewicht“ nannte Parteichef Christian Lindner die Mutter von zwei Kindern nach ihrer Nominierung zur Spitzenkandidatin. Das muss Beer - bis zum 26. April Generalsekretärin ihrer Partei – noch unter Beweis stellen: Bei der Europawahl 2014 holte die FDP maue 3,4 Prozent und 3 Sitze. An griffigen Parolen („Europa ist zu wichtig, um es den Populisten zu überlassen.“) fehlt es Beer nicht. (dpa)