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Hintergrund: Die Spionage-Stadt Berlin

Hintergrund

Die Spionage-Stadt Berlin

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    Berlin und Spionage – das hat Tradition, aber scheinbar auch Zukunft. Legendär waren lange die Agentenaustausch-Aktionen auf der Glienicker Brücke. Unser Bild zeigt die Überführung von Geheimdienstmitarbeitern im Jahr 1986.
    Berlin und Spionage – das hat Tradition, aber scheinbar auch Zukunft. Legendär waren lange die Agentenaustausch-Aktionen auf der Glienicker Brücke. Unser Bild zeigt die Überführung von Geheimdienstmitarbeitern im Jahr 1986.

    Sie sind nicht mit leeren Händen aus Washington zurückgekommen. Christoph Heusgen, der außenpolitische Chefberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, und Günther Heiß, der Koordinator der Geheimdienste im Kanzleramt, die sich in der vergangenen Woche wegen der NSA-Abhöraffäre mit Vertretern der amerikanischen Regierung trafen, haben ihre Gesprächspartner im Weißen Haus offenbar zu Zugeständnissen bewegen können.

    Das sind die deutschen Geheimdienste

    In Deutschland gibt es drei Geheimdienste: Den Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr.

    Zusätzlich verfügen die Bundesländer über eigene Landesämter für den Verfassungsschutz.

    Offiziell spricht man übrigens nicht von Geheimdiensten, sondern von Nachrichtendiensten. Auch das Wort "Spionage" hört man offiziell nur ungern. Stattdessen spricht man eher von "Aufklärung" oder "Informationsgewinnung mit nachrichtendienstlichen Methoden".

    Die Arbeit aller drei deutschen Geheimdienste wird vom Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) überprüft. Das PKG ist ein Gremium des deutschen Bundestags.

    Der Bundesnachrichtendienst (BND) mit Sitz in Pullach bei München und Berlin ist für die Auslandsaufklärung zuständig. Seine 6000 Mitarbeiter beschaffen also Informationen aus dem Ausland oder über das Ausland. Daneben ist der BND auch immer häufiger bei der Beschaffung von Informationen über die organisierte Kriminalität im Einsatz.

    BND-Mitarbeiter arbeiten offen oder verdeckt. Sie observieren, werten Medien aus, spionieren, führen Auslandsagenten, und überwachen Telefone oder Internetverbindungen.

    Grundlage für die Arbeit des BND ist das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst von 1990 (BNDG).

    Der deutsche Inlandsgeheimdienst ist das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Die rund 2500 Mitarbeiter haben die Aufgabe, Informationen über verfassungsfeindliche und extremistische Aktivitäten zu sammeln. Daneben ist das BfV für die Spionageabwehr zuständig.

    Die Verfassungsschützer arbeiten offen und verdeckt. Sie werten Medien aus, überwachen Telefone und Internetverbindungen, arbeiten mit sogenannten V-Leuten, die aus der extremistischen oder verfassungsfeindlichen Szene heraus berichten.

    Das Bundesamt für Verfassungsschutz untersteht dem Bundesinnenministerium. Grundlage seiner Arbeit ist das Bundesverfassungsschutzgesetz.

    Das Amt für den militärischen Abschirmdienst (MAD) ist der Geheimdienst der Bundeswehr. Es beschäftigt rund 1250 Mitarbeiter.

    Hauptaufgaben des MAD sind die Spionageabwehr und die Sabotageabwehr. Außerdem soll der Militärische Abschirmdienst Extremismus und Terrorismus abwehren.

    Der MAD ist auch an Auslandseinsätzen der Bundeswehr beteiligt. Dort sammeln seine Mitarbeiter Informationen die nützlich sein könnten, um die Sicherheit der Bundeswehr im Ausland zu gewährleisten.

    Washington, so wurde am Wochenende in Berlin bekannt, sei bereit, rasch ein sogenanntes „No-Spy-Abkommen“ zu erarbeiten, in dem sich die USA verpflichten, auf Industriespionage zu verzichten. Schon bis Weihnachten könnten die Grundzüge für ein derartiges Abkommen stehen, verlautete aus Regierungskreisen.

    Jetzt reisen die Chefs der deutschen Dienste in die USA

    Lexikon der Spähaffäre

    Prism, Tempora, XKeyscore: Die Geheimdienste verwenden eine ganze Reihe von Systemen, um uns massenhaft auszuspähen. Ein kleines Lexikon:

    PRISM: Ist der Codename eines US-Geheimdienstprogramms, das zum Inbegriff der gesamten Spähaffäre wurde. Der Name steht für «Planning Tool for Resource Integration, Synchronization and Management» («Planungswerkzeug für Quellenintegration, -synchronisierung und -management).

    Es ist bislang nicht ganz klar, wie das Programm funktioniert. Nach den von Snowden übergebenen Dokumenten erlaubt oder organisiert «Prism» den Zugriff auf die Daten von Nutzern großer US-Internetfirmen wie Microsoft, Google oder Facebook. Experten gehen davon aus, dass die US-Dienste verdachtsunabhängig große Mengen an Nutzerdaten speichern. Die gespeicherten Daten werden dann mit Filterbegriffen durchsucht.

    XKEYSCORE: Ein weiteres Spähprogramm der NSA. Der Verfassungsschutz räumte ein, es «testweise» einzusetzen. Nach den vorliegenden Informationen handelt es sich dabei um eine Art Datenbank, mit der die von der NSA gesammelten Daten durchsucht und zu Tabellen gebündelt werden können.

    Demnach kann «XKeyscore» unter anderem auf die von einer bestimmten Person benutzten Telefonnummern und Emailadressen, aber auch auf konkrete Mitschnitte von Internetaktivitäten zugreifen. Medienberichten zufolge lassen sich mit dem Programm eventuell Begriffe rekonstruieren, die jemand in die Google-Suchmaschine eingegeben hat.

    TEMPORA: So lautet der Deckname eines Überwachungsprogramms des britischen Geheimdienst GCHQ, das auf das Abgreifen von Daten an Seekabeln zielt. Durch diese Glasfaserverbindungen fließt der weit überwiegende Teil der heutigen globalen Kommunikation per Telefon und Internet.

    »Tempora» erlaubt es demnach, diesen Informationsbrei in gigantischen Pufferspeichern zu sammeln und daraus Emails, Telefonate und Videochats zu rekonstruieren. Die Daten können einige Tage, einzelne Informationsteile wie Absender und Empfänger wochenlang gespeichert werden. Mit der entsprechenden Software können so nachträglich Nachrichten von Verdächtigen gefunden oder die Stimmen von Gesuchten identifiziert werden.

    DE-CIX: Ein großer Internetknoten in Frankfurt am Main, bei dem es sich den Berichten zufolge um ein bevorzugtes Ziel der NSA-Spionage in Deutschland handeln soll. DE-CIX ist eine Art großer Weiche, an der Internetverkehr aus diversen einzelnen Provider- und Datennetzen zusammenfließt und verteilt wird.

    G-10-GESETZ: So heißt ein Gesetz in Deutschland, das den Zugriff der deutschen Nachrichtendienste auf Telekommunikationsdaten regelt. Vollständig heißt es «Gesetz zu Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses». Da dieses in Artikel 10 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich fixiert ist, lautet die Kurzform G-10-Gesetz.

    Es verpflichtet Postanbieter sowie Telekom- und Internetkonzerne, den Verfassungsschutzämtern, dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr auf Verlangen Sendungen zu übergeben und ihnen die Aufzeichnung und Überwachung der Telekommunikation technisch zu ermöglichen. Laut Gesetz dürfen die Dienste derartige Maßnahmen unter anderem zur Abwehr einer «drohenden Gefahr» für die demokratische Grundordnung oder seitens des BND etwa im Kampf gegen Organisierte Kriminalität beantragen. Genehmigt werden diese nicht von Gerichten, sondern von einer Kommission aus zehn Bundestagsabgeordneten, der sogenannten G-10-Kommission.

    Im Kanzleramt nimmt man die Signale aus Amerika mit einer gewissen Befriedigung zur Kenntnis, auch wenn dies nur ein erster Schritt sein könne. Denn auf die Hauptforderung Berlins, auf deutschem Boden grundsätzlich keine technische Aufklärung zu betreiben und auch die Regierung nicht zu überwachen, ist Washington noch nicht konkret eingegangen.

    Die US-Regierung bewege sich, heißt es in Berlin anerkennend, Präsident Barack Obama und seine Sicherheitsberater hätten nach den massiven Protesten über ihre Abhörpraktiken eingesehen, dass sie bald etwas liefern müssten. Schon in den nächsten Tagen werden die Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Gerhard Schindler und Hans-Georg Maaßen, nach Washington fliegen, um mit ihren amerikanischen Kollegen weitere Gespräche zu führen. Maaßen wies am Wochenende den Vorwurf, als verantwortlicher Geheimdienst bei der Spionageabwehr versagt zu haben, entschieden zurück. „Wir haben immer wieder auf die Risiken einer ungeschützten Telekommunikation hingewiesen“, sagte er. Nicht abhörsichere Handys seien ein Einfallstor für die

    Anti-Spionage-Abkommen mit den USA wäre ein großer Fortschritt

    Der Fall Snowden - Eine Chronologie

    Der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden ist seit Wochen auf der Flucht. Ein Überblick über die wichtigsten Entwicklungen der Affäre:

    5. Juni: Die britische Zeitung «The Guardian» berichtet, dass der Handynetzbetreiber Verizon dem US-Geheimdienst NSA auf der Grundlage eines geheimen Gerichtsurteils täglich Informationen zu allen Telefonanrufen innerhalb der USA sowie zwischen der USA und anderen Ländern übermitteln muss.

    6. Juni: Berichten der «Washington Post» und des «Guardian» zufolge dürfen die NSA und die Bundespolizei FBI auf Serverdaten der Internetkonzerne Google, Microsoft, Yahoo, Facebook, Apple, Youtube, Skype, AOL und PalTalk zugreifen. Das geheime Überwachungsprogramm wurde demnach 2007 eingeführt.

    7. Juni: US-Präsident Barack Obama spricht von einem notwendigen Kompromiss zwischen Privatsphäre und Sicherheit.

    9. Juni: Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der über Hawaii nach Hongkong geflohen war, gibt sich als Quelle der Enthüllungen zu erkennen. Drei Tage später beschuldigt er Washington, weltweit «hunderttausende Computer» zu überwachen.

    21. Juni: Die US-Regierung beschuldigt Snowden der Spionage, des Diebstahls und der illegalen Nutzung von Regierungseigentum. Washington verlangt von Hongkong die Auslieferung des IT-Experten.

    23. Juni: Snowden, gegen den inzwischen ein Haftbefehl vorliegt, reist nach Moskau. Sein Reisepass wurde von den US-Behörden ungültig gemacht. Der ecuadorianischen Regierung liegt nach eigenen Angaben ein Asylantrag Snowdens vor. Washington warnt Moskau und Peking vor diplomatischen Konsequenzen.

    25. Juni: Russlands Präsident Wladimir Putin bestätigt, dass sich der Ex-Geheimdienstmitarbeiter weiterhin im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo aufhält.

    30. Juni: Auch die EU ist laut Berichten des Magazins «Der Spiegel» Opfer der NSA-Spionage geworden. Der Geheimdienst habe unter anderem die EU-Vertretung in Washington und New York abgehört. Frankreich und Deutschland verlangen Aufklärung von der US-Regierung. Obama verspricht, alle Informationen vorzulegen.

    1. Juli: Putin bietet Snowden ein Aufenthaltsrecht in Russland an, fordert aber, dass der Informant seine Aktivitäten gegen die USA einstellt. Nach Angaben der Plattform «Wikileaks» hat Snowden in zahlreichen Ländern, darunter Deutschland, um politisches Asyl ersucht.

    2. Juli: Mehrere Staaten lehnen Snowdens Asylantrag ab. Nach Ländern wie Deutschland, Österreich, Brasilien, Spanien und Polen erteilen ihm am Tag darauf auch Frankreich und Italien eine Absage.

    3. Juli: Der Fall Snowden führt zu weiteren diplomatischen Verwicklungen. Der bolivianische Präsident Evo Morales muss während eines Flugs von Moskau in seine Heimat einen 13-stündigen Zwangsstopp in Wien einlegen, nachdem ihm mehrere EU-Länder den Überflug verwehrt hatten. Hintergrund sind offenbar Gerüchte, dass sich Snowden an Bord der Maschine befand.

    5. Juli: Nicaragua, Venezuela und Bolivien erklären sich bereit, Snowden aufzunehmen.

    7. Juli: Snowden beschuldigt den Bundesnachrichtendienst in einem «Spiegel»-Interview, schon seit langem mit der NSA zusammenzuarbeiten.

    12. Juli: Snowden beantragt vorübergehendes Asyl in Russland, um anschließend nach Lateinamerika ausreisen zu können. Der russische Parlamentspräsident Sergej Naryschkin, ein Vertrauter Putins, spricht sich dafür aus, Snowden zumindest zeitlich begrenzt politisches Asyl zu gewähren.

    20. August: Die englische Regierung zwingt Redakteure des "Guardian", Material zur NSA-Affäre zu vernichten. Es seien mehrere Festplatten im Keller der Redaktion zerstört worden, berichtet "Guardian"-Chefredakteur Alan Rusbridger.

    27. Oktober 2013: Durch die Informationen von Edward Snowden kommt ans Licht, dass die USA das Handy der Bundeskanzlerin abgehört haben. Angeblich hat die NSA 35 Staatsführer weltweit belauscht.

    31. Oktober 2013: Der Berliner Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele reist unter größter Geheimhaltung nach Moskau und trifft Edward Snowden.

    Ströbele bringt einen Brief Snowdens mit nach Deutschland: Darin bietet er an, in Deutschland auszusagen - erbittet im Gegenzug aber Asyl in der Bundesrepublik.

    Das angestrebte Anti-Spionage-Abkommen mit den USA wäre ein großer Fortschritt, gleichwohl weisen Sicherheitsexperten darauf hin, dass die Bundesrepublik auch nach Abschluss einer derartigen Vereinbarung ein Tummelplatz von ausländischen Spionen bleibt. Die Geheimdienste nutzen dabei die Botschaften ihres Landes, die als extraterritoriales Gebiet gelten und vor dem Zugriff von deutschen Sicherheitsbehörden geschützt sind, der Diplomatenstatus schützt die Geheimdienstler vor Strafverfolgung. „Berlin ist die europäische Hauptstadt der Agenten“, sagt Verfassungsschutzchef Maaßen, in kaum einer anderen Stadt gebe es mehr Spione.

    Nach dem jüngsten Verfassungsschutzbericht, den Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erst im Juni vorgelegt hat, sind seit vielen Jahren Russland und China „Hauptträger der Spionageaktivitäten gegen Deutschland“, hinzu kommen die Länder des Nahen und Mittleren Ostens wie der Iran und Syrien sowie Nordkorea. Zudem gehen Experten davon aus, dass auch die europäischen Partner Großbritannien und Frankreich lauschen, auch wenn diese Länder im Verfassungsschutzbericht (wie die USA) nicht aufgeführt werden.

    In Berlin sind nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes alle drei russischen Dienste in der repräsentativen Botschaft am Boulevard Unter den Linden aktiv: Der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR, der militärische Auslandsnachrichtendienst GRU und der Inlandsnachrichtendienst FSB. Ziele seien die Politik, das Militär, die Wirtschaft sowie die Bereiche Wissenschaft und Technik.

    Russland und China sind äußerst aktiv an der Spree

    Auch China geht von seiner Botschaft an der Berliner Jannowitzbrücke einer regen Spionagetätigkeit nach, auf deutschem Boden sind nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes mehrere staatliche und parteinahe Dienste aktiv, sie greifen dabei auch auf die etwa 79000 in Deutschland lebenden Chinesen zurück, unter anderem Gastwissenschaftler, Studenten und Praktikanten.

    „Diese Personengruppe verfügt über ein großes Wissenspotenzial, das sich die Nachrichtendienste zunutze machen“, gerade im Bereich der Industrie- und Wissenschaftsspionage. Zudem hätten diese „Non-Professionals“ den Vorteil, dass bei Bekanntwerden eines Ausspähversuchs nicht ersichtlich ist, „ob eine Person aus Eigeninitiative oder im staatlichen Auftrag aktiv war“. Die Bundesregierung will daraus ihre Konsequenzen ziehen. Die Spionageabwehr, die derzeit etwa 100 Mitarbeiter hat, soll verstärkt werden.

    Und doch dürfte dies kaum Konsequenzen haben. Die Macht der deutschen Behörden endet am Zaun der Botschaftsgebäude. Was hinter den dicken Mauern geschieht, ist tabu.

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