Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Hintergrund: Die SPD in der Krise: Wie lange das noch so bleiben wird

Hintergrund

Die SPD in der Krise: Wie lange das noch so bleiben wird

    • |
    Sozialdemokratische Ikone: Willy Brandt mobilisierte die Massen. Nie war die SPD so stark wie mit ihm.
    Sozialdemokratische Ikone: Willy Brandt mobilisierte die Massen. Nie war die SPD so stark wie mit ihm. Foto: imago

    So einen Wahlkampf hatte die Republik noch nie erlebt. Zwei Monate vor dem Wahltag lag die Union in den Meinungsumfragen nicht nur klar vor der SPD, sondern konnte nach den Prognosen sogar mit einer absoluten Mehrheit von 52 Prozent der Stimmen rechnen. Den Sozialdemokraten drohte – wieder einmal – ein Desaster.

    Doch dann gelang ihr ein nicht für möglich gehaltener Stimmungsumschwung. Bundeskanzler Willy Brandt mobilisierte die Massen. „Willy wählen“ lautete die Devise. Und nicht nur die Arbeiter scharten sich hinter dem charismatischen Regierungschef, sondern auch Studenten und Akademiker, Intellektuelle und Künstler.

    Der Wahlkampf mobilisierte die Menschen. Sie besuchten die Kundgebungen der Parteien und verfolgten die Debatten im Fernsehen. Und sie strömten in die Wahllokale. Bei der Bundestagswahl 1972 lag die Wahlbeteiligung bei über 91 Prozent – ein Wert, der nie mehr erreicht werden sollte. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde die SPD mit 45,8 Prozent der Stimmen stärkste Partei im Bundestag, auch dies ein Wert, den sie nie wieder erreichen sollte.

    SPD dümpelt bundesweit bei 21 Prozent

    Und heute? Wenn am Sonntag Bundestagswahlen wären, käme die SPD gerade mal auf 21 Prozent und läge nach den Werten des ARD-Deutschlandtrends nur noch sechs Punkte vor der Alternative für Deutschland. Nicht vorstellbar, dass ein Kanzlerkandidat Sigmar Gabriel ähnlich die Massen mobilisiert wie einst Willy Brandt – oder zuletzt Gerhard Schröder, der 1998 immerhin auf 40,9 Prozent kam und die SPD damit erneut zur stärksten Partei machte.

    Seitdem hat die SPD nach Berechnungen von Forsa-Chef Manfred Güllner mehr als die Hälfte ihrer Wähler verloren. Gaben ihr 1998 noch rund 20 Millionen Menschen ihre Stimme, waren es 2005 nur noch 16,4 Millionen, derzeit wären es nicht einmal mehr zehn Millionen.

    „Ohne einen überzeugenden Gesellschaftsentwurf, mit dem sie verlorene Wähler aus der Mitte zurückholen kann, wird die SPD nicht kanzlerfähig werden“, prognostiziert der Meinungsforscher.

    Das Dilemma der SPD: Als Willy Brandt die Wahlen gewann, gab es nur drei Parteien im Bundestag, und die Sozialdemokraten hatten das Monopol im linken Lager. Zudem hatten sie mit der FDP auf Bundesebene einen Koalitionspartner, der die Brücke ins bürgerliche Lager schlug.

    Früher galt die sozialliberale Koalition als "Motor des sozialen Wandels"

    Die sozialliberale Koalition galt damals als „Motor sozialen Wandels, die Union hingegen als Ort der Stagnation“, schrieb der Historiker Arnulf Baring in seinem Buch „Machtwechsel“. „Progressive wählten daher SPD oder FDP, nur Konservative noch CDU oder CSU“, so sein Fazit.

    Heute ist das linke Lager zersplittert, in der Regierungszeit von Helmut Schmidt entstanden aus der Öko- und Friedensbewegung die Grünen, die Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder führten zur Entstehung der WASG, die sich mit der SED-Nachfolgerin PDS zur Linken zusammenschloss.

    Da allerdings programmatisch zwischen der SPD und den Grünen einerseits und der Linken andererseits Welten liegen und die Differenzen von der Wirtschafts- und Finanzpolitik bis zur Außen- und Sicherheitspolitik gewaltig sind, gibt es auf Bundesebene zwar eine rechnerische, aber keine politische Mehrheit für ein linkes rot-rot-grünes Bündnis.

    Weil sich gleichzeitig die FDP ab 1982 unter den gerade verstorbenen Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher und Guido Westerwelle fest an CDU und CSU band, verhinderte sie (mit Ausnahme von 1998 und 2002) eine strukturelle Mehrheit für eine SPD-geführte Regierung.

    Unter Angela Merkel rückte die Union weit in die politische Mitte

    Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, die 2009 und 2013 mit 23,0 und 25,7 Prozent historisch schlechte Wahlergebnisse erzielten, hatten von Anfang an schlicht keine Machtperspektive. Unter Angela Merkel schließlich rückte die Union weit in die politische Mitte und übernahm zahlreiche „klassische“ SPD-Themen. „Die SPD sitzt in der Zange zwischen rechts und links“, analysiert der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer.

    Links von ihr könne die Linkspartei mit der Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit und Umverteilung von oben nach unten punkten, gleichzeitig sei mit der Alternative für Deutschland eine starke Konkurrentin entstanden, die ebenfalls mehr Gerechtigkeit fordere.

    Bei der AfD gehe es allerdings um „drinnen versus draußen, also um Einheimische gegen Flüchtlinge“. Für die SPD werde es „sehr schwer werden“, so Niedermayer, die soziale Gerechtigkeit für alle Benachteiligten neu zu buchstabieren. „Die Partei steckt also in einer doppelten Gerechtigkeitszange: von links wie von rechts und von außen wie von innen.“

    Der „Genosse Trend“, von dem die älteste deutsche Partei lange profitierte, ist schon lange kein Sozialdemokrat mehr. Die Parteienlandschaft ist in Bewegung geraten und sortiert sich neu.

    In den fünf neuen Ländern ist die AfD mit ihrer Betonung der nationalen Interessen und ihrer rigorosen Abschottungspolitik dabei, zu einer „Partei der kleinen Leute“ zu werden, wie es AfD-Vize Alexander Gauland bereits selbstbewusst ausdrückt. Und in der alten Bundesrepublik gelten die Grünen als moderner und attraktiver, weil sie mit Themen wie Umweltschutz, Menschenrechten und Versöhnung von Ökonomie und Ökologie auf der Höhe des Zeitgeistes liegen.

    Gabriel schneidet in Umfragen gegen Merkel schlecht ab

    Die Sozialdemokraten treffen dagegen nicht mehr das Lebensgefühl der Menschen. Und auch im direkten Vergleich mit der Bundeskanzlerin schneidet die SPD verheerend ab. 50 Prozent der Deutschen wollen, dass Angela Merkel Regierungschefin bleibt, nur 14 Prozent wünschen sich Sigmar Gabriel.

    Die SPD brauche wieder einen charismatischen Kanzlerkandidaten, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. Doch es gebe keinen. Insofern könne die Krise der SPD noch lange andauern. Solange, bis es wieder einen Kandidaten gebe, der einen bundesweiten Erfolg erzielen könne.

    Wie einst 1972 bei Willy Brandt, als die SPD mit Person, Partei und Programm die Wähler begeistern konnte. Doch das ist 44 Jahre her.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden