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Hintergrund: Die Gesichter des Sigmar Gabriel

Hintergrund

Die Gesichter des Sigmar Gabriel

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    Ein Jahr vor der Bundestagswahl versucht der SPD-Chef Sigmar Gabriel, sich von der Flüchtlingspolitik der CDU-Kanzlerin abzusetzen. Wie glaubwürdig ist der Kurswechsel?
    Ein Jahr vor der Bundestagswahl versucht der SPD-Chef Sigmar Gabriel, sich von der Flüchtlingspolitik der CDU-Kanzlerin abzusetzen. Wie glaubwürdig ist der Kurswechsel? Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Sigmar Gabriel hat eine gewisse Vorliebe für den Überraschungseffekt. Manches Mal schockiert er dabei selbst die eigenen Genossen. Etwa als er vergangenes Jahr überraschend in Dresden „privat“ bei einer Diskussionsveranstaltung mit Pegida-Anhängern aufkreuzte, just als seine SPD-Generalsekretärin jeden Dialog mit den Demonstranten abgelehnt hatte. Nun provoziert Gabriel sowohl die Union als auch die eigenen Anhänger mit einer barschen Kritik an der Flüchtlingspolitik Angela Merkels – obwohl die SPD darin den Christdemokraten stets näherstand als deren Schwesterpartei CSU.

    Mit Gabriels Bemerkung, „natürlich gibt’s auch die Notwendigkeit, eine Obergrenze zu haben“, machte sich der SPD-Chef ausgerechnet den in der Union meist umstrittenen CSU-Begriff zu eigen. Die Wut bei den angegriffenen Christdemokraten kochte prompt hoch: „Eine bodenlose Unverschämtheit“ nannte CDU-Generalsekretär Peter Tauber die Worte des Vizekanzlers in einer unter Koalitionspartnern ungewöhnlich scharfen Reaktion.

    Dass Gabriel bei seiner polternden Rückkehr aus dem Urlaub in einem Fernsehinterview am Wochenende auch noch in einem Nebensatz das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP mit den USA für „de facto gescheitert“ erklärte, erhöhte den Ärger in der Union noch zusätzlich: „Als Wirtschaftsminister muss man ihn daran erinnern, dass sein Amtseid dem deutschen Volk gilt, nicht der SPD oder gar der Parteilinken“, schlug Tauber zurück.

    In seiner Wutrede ging der sonst eher für ruhigere Töne bekannte CDU-Generalsekretär den SPD-Chef dann frontal persönlich an und spielte mit Gabriels Ruf der Unberechenbarkeit: „Man kann nicht als Erstes Pegida als Pack beschimpfen und dann hinfahren, um mit denen zu reden“, betonte Tauber. „Man kann nicht Nazis den Stinkefinger zeigen und dann Ressentiments wecken, indem man den Eindruck erweckt, es sei Ziel deutscher Politik, jedes Jahr eine Million Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen.“

    Gabriel bekommt Probleme mit der Glaubwürdigkeit

    Tatsächlich wird Gabriel selbst von Parteifreunden nicht mit großer Beständigkeit im politischen Alltag verbunden, obwohl der Niedersachse immerhin der inzwischen am längsten amtierende SPD-Vorsitzende seit der langen Ära Willy Brandts ist. Beständig ist allerdings das Formtief der Sozialdemokraten in den Umfragen: Seit der letzten Bundestagswahl dümpelt Gabriels Partei mit geringen Ausschlägen nach oben und unten um die 25-Prozent-Marke herum.

    Manche Genossen hoffen, dass der SPD ähnlich wie 2005 unter Gerhard Schröder ein Stimmungsumschwung im Endspurt gelingt. Doch wie schon bei der damals folgenden ersten Großen Koalition fällt es den Sozialdemokraten schwer, sich gegen Merkel zu profilieren. Zwar spaltet die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin die Nation wie kein anderes Thema ihrer Amtszeit. Doch bislang wurde die SPD dabei im Großen und Ganzen eng an der Seite der Kanzlerin verortet.

    Mit seiner Absetzbewegung von der Regierungschefin bekommt Gabriel ein Glaubwürdigkeitsproblem. Zwar hatte er kurz nach der Grenzöffnung im Herbst 2015 tatsächlich mehrfach betont, dass die Bundesrepublik nicht Jahr für Jahr eine Million Migranten aufnehmen könne: „Wir nähern uns in Deutschland mit rasanter Geschwindigkeit den Grenzen unserer Möglichkeiten“, sagte er vergangenen Oktober.

    Doch noch schärfer verurteilte Gabriel eben die CSU-Forderungen nach einer Obergrenze, nämlich als „Wasser auf die Mühlen der AfD“. Bei geschlossenen Grenzen wäre Europa am Ende: „Wir müssten doch einen Zaun rund um Deutschland ziehen und die Bundeswehr mit aufgepflanztem Bajonett an die Grenze stellen“, sagte Gabriel beim SPD-Parteitag im Dezember.

    In einem Interview betonte der SPD-Chef damals, die Kanzlerin und er selbst hätten das gleiche Konzept: Außengrenzen sichern und Kontingente nach Deutschland holen. Als eine Kontingentlösung am Widerstand der EU-Partner scheiterte, arbeitete SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier maßgeblich am Zustandekommen des umstrittenen Flüchtlingspakts mit der Türkei mit.

    Für Gabriel dürfte ein Wahlkampf gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin damit nicht einfach werden.

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