Von Markus Günther Washington - Als John McCain Sarah Palin zur Vize-Kandidatin machte, schockte er das Establishment der eigenen Partei genauso wie den politischen Gegner und die Medien. Palin war in jeder Hinsicht das Gegenteil eines in Ehren ergrauten Senators, der üblicherweise auf diesem Posten landet: Erst 44 Jahre alt, Mutter von fünf Kindern, erst seit 20 Monaten Gouverneurin, frühere Schönheitskönigin, in der Freizeit Jägerin.
Doch erst die Nachricht, dass Palins 17 Jahre alte Tochter ein Kind erwartet, bringt jetzt die Medien und Meinungsmacher so richtig in Rage.
Sarah Palin und ihr Mann bestätigten in einer Stellungnahme, dass ihre 17 Jahre alte Tochter Bristol ein Kind von einem gleichaltrigen Mitschüler erwartet. Die beiden würden noch vor der Geburt heiraten, hieß es weiter, das Kind solle im nächsten März zur Welt kommen. Im Übrigen bat Sarah Palin die Medien, ihre Privatsphäre zu respektieren.
Der Wunsch blieb unerfüllt. Im Gegenteil, seit "Gustav" sich einigermaßen kleinlaut verzogen hat, gibt es in den Medien kein anderes Thema als das ungeborene Enkelkind von McCains Vize-Kandidatin. Seit ihrer Nominierung ist Sarah Palin mit so ziemlich jedem frauenfeindlichen Schimpfwort belegt worden, das es gibt, von "Go-Go-Girl" über "Rabenmutter" bis zu "Cheerleader", "Cinderella" und "Hühnchen". Das einflussreiche Online-Magazin Huffington Post nannte sie allen Ernstes eine "Schlampe", weil sie "die Errungenschaften der Frauenbewegung missbraucht". Jetzt setzt sich die Liste der Beleidigungen fort: "Heuchlerin!" heißt es vor allem in linken Blogs.
Mit unverhohlener Häme wird nun daran erinnert, dass Sarah Palin "erzkonservativ" sei. Tatsächlich ist Sarah Palin gegen Abtreibung und gegen die "Homo-Ehe", allerdings hat sie als Gouverneurin ein Veto eingelegt, als versucht wurde, rechtlich anerkannte Lebensgemeinschaften Homosexueller zu verbieten. (Barack Obama lehnt, wie Palin, die "Homo-Ehe" ab.) Süffisant wird auch bemerkt, dass die Gouverneurin für "Enthaltsamkeit" vor der Ehe eintrete. Auch das ist nur die halbe Wahrheit: Palin tritt für eine Sexualaufklärung ein, die neben Verhütungsmitteln auch den Verzicht auf Sex vor der Ehe als eine Möglichkeit vorstellt. In den meisten US-Schulen ist das der normale Lehrplan.
Umfragen zeigen, dass McCain mit der Nominierung von Sarah Palin ein Überraschungscoup gelungen ist, der viel Neugierde und Sympathie ausgelöst hat. Allerdings sind unter den Amerikanern auch die Zweifel an ihrer Qualifikation ganz erheblich. Hinzu kommt jetzt die Frage, wie gut McCain seine Kandidatin überhaupt kannte und ob er von den möglicherweise belastenden Geschichten etwas wusste.
Gerüchteweise heißt es in Washington, dass McCains Mitarbeiter, die in Alaska die Gouverneurin ausleuchten sollten, ihre Arbeit noch gar nicht aufgenommen hatten, als McCain der 44-Jährigen das Vize-Amt schon angeboten hatte. Sollte das wahr sein, könnte dies McCain politisch das Genick brechen.