Ein Hof im Berliner Stadtteil Wedding. Das große Rolltor aus Eisen zur Straße hin ist schulterbreit geöffnet. Auf gelbem Untergrund prangt dort in Rot der Schriftzug „Bandidos Eastgate“. Im Hof schieben vier Männer ein altes Motorrad über eine Rampe auf die Ladefläche eines Lastwagens. Als sie das Wort Zeitung hören, verfinstern sich ihre Mienen. Ein Mann mit Goldkette und Trägershirt zeigt zum Tor und faucht: „Raus hier!“ Seine muskulösen Arme sind von oben bis unten tätowiert. „Wir reden nicht mit der Presse“, knurrt er und wirft das Rolltor mit einem Knall zu.
Die Polizei macht Großrazzien
Vor einem Monat lagen vor diesem Hofeingang zwei Mitglieder der Bandidos blutend auf dem Gehsteig. Unbekannte hatten sie angeschossen. Die beiden Männer wurden mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Im Tor waren zahlreiche Einschusslöcher zu sehen. Seit Jahren tobt in der Hauptstadt ein regelrechter Krieg zwischen den verfeindeten Rockerbanden Hells Angels und Bandidos. Und nicht nur dort. Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Brandenburg und Baden-Württemberg – die Polizei geht seit einigen Wochen mit Großrazzien und Vereinsverboten in verschiedenen Bundesländern gegen die beiden Klubs vor.
In Bayern ist die Lage vergleichsweise ruhig
Und Bayern? Ein großes Problem sind die Rocker hier bislang nicht. Aber sie haben im Freistaat viele Anhänger. In der Region beobachten die Fahnder schon seit Jahren das Treiben mehrerer Unterstützergruppen. Deren Mitglieder nennen sich „Supporter“. Sie hoffen, irgendwann in den Kreis der Rocker aufgenommen zu werden. Zu den Anhängern der Hells Angels zählt beispielsweise die Gruppe „Regiment 81“ in Augsburg.
Drohende Auseinandersetzung auf der Augsburger Maxstraße
Alarmiert sind die Behörden, seit sich im Sommer 2010 eines Nachts Hells Angels und Anhänger des Motorradklubs „Outlaws“ gegenüberstanden – mitten auf Augsburgs Flanier- und Kneipenmeile, der Maximilianstraße. Nur mit einem Großaufgebot konnte die Polizei eine Auseinandersetzung verhindern. „Durch dieses offene Auftreten sind wir noch sensibler geworden“, sagt Andreas Rohrmair. Er ist im Polizeipräsidium Schwaben-Nord für die Kriminalitätsbekämpfung zuständig. Derzeit sitzt ein Mitglied des „Regiments 81“ im Gefängnis. Der 22-Jährige hatte mit einem Baseballschlager auf einen Gastronomen eingeschlagen. Rohrmair betont, dass die Szene in Augsburg nicht mit der in Norddeutschland vergleichbar sei. Entwicklungen wie die in Berlin verfolgen Bayerns Polizisten aber mit Sorge. „Wir wollen dahin wirken, dass es bei uns überhaupt nicht so weit kommt“, sagt Rohrmair. Deshalb stehen die Unterstützergruppen in der Region unter scharfer Beobachtung.
200 Polizisten durchsuchten Wohnungen und Vereinsheime
In Berlin muss die Polizei weitaus mehr Aufwand betreiben, um der Lage Herr zu werden. Beispiel: eine Großrazzia bei den Bandidos Ende Juli. Unterstützt von Sondereinsatzkräften durchsuchen 200 Polizisten zahlreiche Wohnungen und Vereinsheime. Sie stellen ein beachtliches Waffenarsenal – Pistolen, Messer, Äxte – sowie Bargeld und drei Motorräder sicher. Fünf Personen nehmen sie fest. Im Berliner Bezirk Pankow stürmen Polizisten ein Vereinsheim. Das große Schaufenster im Erdgeschoss ist mit einer schwarzen Holzplatte verbarrikadiert. Ein Aufkleber auf der Tür warnt: „Wer hier klaut, der stirbt.“ Ein paar Tage nach dem Polizeieinsatz wirkt das Haus verlassen, auf das Klingeln reagiert niemand. Im Grillrestaurant um die Ecke sitzt ein Gast mit seinem Döner. „Ja“, sagt er, „da sind manchmal seltsame Typen, aber die bleiben unter sich.“
Machte mit Pistole und Totenkopf mit Flügeln
Die Rockerbanden sind verschworene Gemeinschaften. Erkennbar sind die Mitglieder an den Emblemen auf ihren Kutten. Die Bandidos tragen einen Banditen mit Machete und Pistole, die Hells Angels einen Totenkopf mit Flügeln. Davon, was die Ortsgruppen treiben, dringt selten etwas nach außen. Für die Hells Angels geben zwar schwere Jungs wie der Bremer Rudolf „Django“ Triller und die Hannoveraner Rotlicht-Größe Frank Hanebuth hin und wieder Interviews. Dabei wiederholen sie jedoch stets dasselbe: „Wir sind nur ein Motorradklub.“ Die Polizei wirft den Rockern dagegen vor, in die organisierte Kriminalität verwickelt zu sein. Es geht um die Kontrolle der Türsteherszene, um Prostitution, Waffen- und Drogenhandel.
387 Jahre Gefängnis
In Berlin hat die Polizei von 2004 bis 2011 über 1500 Straftaten im Rockermilieu verzeichnet. Berlins Polizeisprecher Thomas Neuendorf rechnet vor, dass insgesamt 387 Jahre an Freiheitsstrafen verhängt wurden. Die Liste der Verbrechen ist lang: Körperverletzung, illegaler Waffenbesitz, Rauschgifthandel und, und, und. In den vergangenen zwei Jahren haben sich die Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Gruppen verschärft. Neuendorf macht dafür einen in der Szene ungewöhnlichen Vorgang verantwortlich: 2010 trat ein Chapter, wie die Rocker ihre Ortsgruppen nennen, der Bandidos zu den Hells Angels über. „Ein bis dahin einmaliger Vorgang, der zeigt, dass es nicht um den vorgetäuschten Ehrengedanken geht, sondern nur darum, Macht und Einfluss zu gewinnen“, sagt Neuendorf.
Überläufer der Bandidos
Mitte Mai dieses Jahres wechselten wieder Bandidos die Seiten, woraufhin sich die Lage weiter zuspitzte. Anfang Juni streckten Unbekannte den Präsidenten der Hells-Angels-Ortsgruppe „Nomads“ mit Schüssen nieder. Der Anschlag geschah in der Nähe einer Kneipe im Stadtteil Hohenschönhausen, die dem Rocker gehört. Tagelang lag der Mann im Koma. Vor dem Krankenhaus standen seine Anhänger Wache. Wie die zwei angeschossenen Bandido-Mitglieder überlebte der Hells-Angels-Boss den Anschlag. Mit der Polizei sprach keiner der Rocker. „Die Taten sind bisher nicht aufgeklärt“, sagt Neuendorf.
Informanten bei der Polizei
Allerdings ist auch die Rolle der Polizei in diesem „Krieg“ umstritten. Im Mai verbot der Berliner Senat den Hells-Angels-Charter „Berlin City“. Spezialkräfte sollten die Verfügung in einer Überraschungsaktion durchsetzen, das Vereinsheim durchsuchen und Beweismaterial sichern. Jedoch war der Einsatz an die Rocker verraten worden. Offenbar haben sie auch bei der Polizei ihre Informanten. Die Truppe hatte sich einen Tag zuvor selbst aufgelöst, um dem Verbot zu entgehen. Bevor die Einsatzkräfte anrückten, hatten die Rocker den Schriftzug „Hells Angels“ an ihrem Vereinsheim bereits entfernt.
Ein Verbot der Gruppen ist ziemlich schwierig
Ein Verbot aller Rocker-Vereinigungen in der Stadt ist nach Angaben von Polizeisprecher Neuendorf schwierig. Bei jedem einzelnen Klub müsse nachgewiesen werden, dass die ganze Gruppe kriminelle Machenschaften verfolge. „Es reicht nicht, wenn drei oder vier Mitglieder straffällig werden.“ Inklusive Unterstützer soll die Rockerszene in der Hauptstadt bis zu 1000 Personen umfassen. Ihre Vereinshäuser sind über die ganze Stadt verteilt. Nicht immer sind sie für Außenstehende so klar erkennbar wie der Hof der Bandidos in Wedding. Zwei Einfahrten neben dem Rolltor lebt das Ehepaar Krausch. Zwischen Blumenkübeln und Bäumchen sitzen die beiden auf Gartenstühlen in der Einfahrt. Harald Krausch sind seine Nachbarn zwar nicht ganz geheuer. Aber es habe nie Probleme gegeben, sagt er. Ehefrau Helga sagt nur: „Die standen mal mit Mülltonnen auf der Straße. Ich habe sie dann darauf hingewiesen, dass die Müllabfuhr nicht kommt. Da haben sie sich nett bedankt.“ Störend sei nur, wenn die Polizei mal wieder die ganze Straße sperrt.