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Heidenau: Die Schande von Sachsen

Heidenau

Die Schande von Sachsen

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    Brave Bürger? In der sächsischen Kleinstadt Heidenau gerieten bei Nacht zunächst friedliche Proteste gegen ein Notaufnahmelager für Flüchtlinge mehrfach außer Kontrolle.
    Brave Bürger? In der sächsischen Kleinstadt Heidenau gerieten bei Nacht zunächst friedliche Proteste gegen ein Notaufnahmelager für Flüchtlinge mehrfach außer Kontrolle. Foto: Marko Förster, dpa

    Ältere Männer im ärmellosen Hemd, Jugendliche im T-Shirt, Eltern mit Kindern an der Hand. Dazwischen schwarz-weiß-rote Reichskriegsflaggen, auf denen Sätze wie „Deutschland – meine Heimat“ in Frakturschrift zu lesen sind. Es gibt zunächst nur wenige Hinweise darauf, dass die 600 Demonstranten, die sich am Samstag zu einer Protestkundgebung gegen eine Flüchtlingsnotunterkunft in Heidenau bei DresdenDresden versammelt haben, einem Aufruf der NPD gefolgt sind.

    So ist es tagsüber. In den Nächten grölen betrunkene Männer ausländerfeindliche Parolen, fliegen Brandsätze und Steine gegen Polizisten. Im Schutz der Dunkelheit ist die Stimmung offen ausländerfeindlich und ungehemmt gewaltbereit.

    Im Juni war es in der sächsischen Stadt Freital vor einer Flüchtlingsunterkunft zu Angriffen auf Demonstranten gekommen, die sich für Asylbewerber einsetzen. Wenige Tage später verübten Unbekannte in Meißen einen Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft. „Warum immer Sachsen?“, titelten gestern gleich mehrere Zeitungen und Online-Portale. Der Freistaat, so viel ist klar, hat nicht erst seit dem Wochenende, sondern schon seit Jahrzehnten ein Problem mit rechtsextremen Tendenzen und aggressiver Ausländerfeindlichkeit. Auch die Pegida-Bewegung – in Dresden entstanden – verstand es virtuos, in der Bevölkerung vorhandene Ängste und Vorurteile gegen Ausländer, aber auch die Abneigungen gegen Politik und angeblich gleichgeschaltete Medien zu bedienen.

    Auch wenn die Gewaltexzesse gegen eine Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge am Wochenende bisher einmalig waren – nirgendwo gelingt es der NPD besser als in Sachsen, Ressentiments gegen Fremde für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Und es ist das erklärte Ziel der Partei, Hass gegen Ausländer zu schüren. Genau dies gelingt der NPD, die in Sachsen bundesweit am stärksten verankert ist, längst nicht mehr nur bei den ohnehin gewaltbereiten Neonazi-Gruppen. Ganz gezielt orchestriert die Partei über soziale Medien wie Facebook ausländerfeindliche Demonstrationen – wie jetzt in Heidenau. Der NPD spielt dabei die beispiellose Flüchtlingswelle, die Länder und Kommunen vor gewaltige Probleme stellt, in die Karten. Alleine Sachsen erwartet in diesem Jahr mehr als 40000 Asylbewerber.

    31 verletzte Polizisten und nur zwei Festnahmen

    Der sächsische Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) ließ es nicht an klaren Worten an die Adresse der Randalierer fehlen. Auch kündigte er an, dass der Freistaat in Zukunft noch härter gegen gewaltbereite Rechtsextreme vorgehen werde. Allerdings hatte es solche Versprechen in früheren Jahren immer wieder gegeben.

    Sichtbar mit Wut im Bauch hatte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) gestern Heidenau besucht. In seiner Heimat hätte man diejenigen, die die Polizisten angegriffen haben, kurzerhand als „Pack“ bezeichnet, sagte der

    Genau an diesem Punkt werden Zweifel laut. War der Polizeieinsatz ein Desaster? Den 31 verletzten Polizisten standen schließlich lediglich zwei Festnahmen gegenüber. So sehen sich Ministerpräsident Tillich und insbesondere dessen Parteifreund, Innenminister Markus Ulbig, scharfer Kritik ausgesetzt. Das Gefahrenpotenzial der Kundgebung sei völlig unterschätzt worden, heißt es. Der Kommentator der Welt forderte gar den Rücktritt Ulbigs.

    "Es ist kein Flüchtlinge zu Schaden gekommen"

    Für den Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, handelt es sich dabei jedoch um nichts anderes als „Schlaumeier-Vorwürfe“. Wendt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Da melden sich Leute zu Wort, die immer alles schon vorher gewusst haben.“ Dabei werde vergessen, dass der Einsatz in Heidenau aus polizeitaktischer Sicht seine vorrangigen Ziele durchaus erreicht habe. „Es ist kein Flüchtling zu Schaden gekommen und es konnte verhindert werden, dass gewaltbereite Nazis und linke Gegendemonstranten aufeinander losgehen.“

    Warum aber gab es kaum Festnahmen? „Später auch juristisch verwertbare Festnahmen sind nur möglich, wenn es gelingt, eine lückenlose Beweiskette gegen einzelne Täter zu erstellen“, sagt Wendt. Dafür benötige man jedoch viel mehr Polizei, auch spezielle Beweissicherungskräfte. Angesichts der vielen Orte, an denen Flüchtlinge untergebracht würden, sei es kaum möglich, so etwas zu organisieren.

    Wendt: „Die Politik muss endlich reagieren: Wir brauchen die rechtlichen Möglichkeiten, sofort Sicherheitszonen um gefährdete Objekte wie Flüchtlingsunterkünfte auszuweisen, und wir brauchen eine bessere Ausrüstung für die Polizei.“ Schließlich könne es ja schon morgen in einer anderen Stadt zu ähnlichen Zuständen wie in Heidenau kommen. (mit dpa)

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