Was würden Sie davon halten, wenn Sie während eines Kurses folgende Aufgabe bekämen: "Schreibe Wörter mit tz auf, die du kennst." Davor ging es beim Test noch darum, anhand von Bildern Begriffe zu finden. Aber Vorsicht: "Nicht jedes Wort wird mit tz geschrieben!", heißt es weiter. Also Schatz beispielsweise schon, Kreuz aber nicht. Genau diese Aufgaben musste eine Frau bei einer Hartz-IV-Maßnahme lösen. Ihre Tochter postete das Arbeitsblatt vergangene Woche bei Twitter. "Das ist pure Erniedrigung erwachsener, intelligenter Menschen", kommentierte die junge Frau.
Danach war die Aufregung groß: Fast 900 Mal wurde der Tweet kommentiert, über 3000 Mal geteilt. Zahlreiche User empörten sich über die Aufgaben auf "Drittklässlerniveau", einige erzählten von ähnlichen Erfahrungen. Dass das Übungsblatt tatsächlich aus einer Materialiensammlung für den Unterricht an Grundschulen stammt, hat die Bundesagentur für Arbeit unserer Redaktion bestätigt.
Auch, dass es Teil einer Fortbildung in Niedersachsen war: Es sollte als Einstieg dienen, danach hätten die Teilnehmer je nach „persönlichem Kenntnisstand“ andere Lehrunterlagen bekommen. "Die Weiterbildungsmaßnahme, über die getwittert worden ist, ist für eine große Zielgruppe von Personen mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen und Deutschkenntnissen entwickelt worden", erklärt Susanne Eikemeier, Pressereferentin bei der Bundesagentur für Arbeit.
Arbeitsagentur zum Tweet: "Wir verstehen die Kritik"
Aber rechtfertigt das, erwachsene Menschen einfach zu duzen und ihnen Übungen aus der Grundschule vorzulegen? Nein, sagt auch Eikemeier. "Wir können gut verstehen, dass die Teilnehmenden das kritisieren." Die Pressereferentin betont jedoch, dass nicht die Arbeitsagentur, sondern ein externer Träger für die Weiterbildung verantwortlich ist. "Solche zertifizierten Maßnahmen unterliegen nicht der offiziellen Kontrolle der Arbeitsagenturen oder Jobcenter." Trotzdem habe es ein Gespräch mit dem Träger gegeben, mit der Bitte "Unterrichtsmaterial so zu wählen, dass Erwachsene respektvoll und angemessen angesprochen werden."
Würde ihre Mutter nicht mehr zur Weiterbildungs-Maßnahme gehen, drohten ihr Sanktionen, beendet die Tochter ihren Post. Kommen sie ihren Pflichten nicht nach, entfällt für Hartz-IV-Empfänger im schlimmsten Fall das gesamte Arbeitslosengeld II. "Eventuell hat diese Erniedrigung bald ein Ende. Denn die absurden Sanktionsgesetze stehen seit heute vor dem Bundesverfassungsgericht auf dem Prüfstand. Vielleicht gehören diese absurden Maßnahmen dann bald der Vergangenheit an", schrieb ein User am Dienstag.
Worauf er sich bezieht: In Karlsruhe geht es seit Mitte Januar darum, ob die Sanktionen verfassungswidrig sind. Eine junge Frau meinte außerdem: Sie könne verstehen, dass Hartz-IV-Empfänger lieber Sanktionenen in Kauf nehmen, anstatt "so einen Quatsch zu machen". Wie unzufrieden Hartz-IV-Empfänger mit dem System häufig sind, zeigt auch der Fall eines Augsburgers, den Sie hier noch einmal nachlesen können. Er sagt: "Ich habe mich weder gefordert noch gefördert gefühlt."
Linkspartei: Entwürdigende Hartz-IV-Maßnahmen keine Ausnahme
Die Linkspartei sagt über die aktuelle Kritik an dem Übungsblatt, das eigentlich für Grundschüler gedacht war: "Solche sinnlosen und entwürdigenden Maßnahmen sind im Hartz-IV-System leider keine Ausnahme, wie Raucherentwöhnungskurse, Kaufmannsladen spielen oder Spaziergänge mit Lamas zeigen, um nur einige Beispiele zu nennen, die mir in den letzten Jahren bekannt geworden sind", sagte Linken-Fraktionsvize Sabine Zimmermann unserer Redaktion. "So etwas kratzt wirklich an der Menschenwürde, insbesondere vor dem Hintergrund, dass man in diese Maßnahmen unter Sanktionsandrohung hineingezwungen wird."
Auch der CDU-Arbeitsmarktexperte Peter Weiß sagt, die Frau habe "mit dem Kursanbieter Pech gehabt". Bildungsgutscheine seien aber ein gutes Instrument der Arbeitsmarktpolitik. "Sie räumen den Beziehern von Arbeitslosengeld und Hartz IV die Möglichkeit ein, sich frei für einen Träger zu entscheiden." Weiß rät Betroffenen notfalls zu Beschwerden: "Solche Rückmeldungen sind gut für die Bundesagentur."
Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband sagte Mitte Januar im Interview mit unserer Redaktion, dass nicht jeder Job für Arbeitssuchende zumutbar sei. Hier lesen Sie noch einmal seine Aussagen: "Es gibt Arbeit, die ist unzumutbar und kann krank machen." (mit bju, sla)