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Live-Interview: Harald Schmidt warnt vor Veränderung: "Das Traumschiff muss genau so bleiben"

Live-Interview

Harald Schmidt warnt vor Veränderung: "Das Traumschiff muss genau so bleiben"

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    Mal „Dirty Harry“, mal ernst: Schauspieler und Entertainer Harald Schmidt im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses bei der Veranstaltung „Augsburger Allgemeine Live“.
    Mal „Dirty Harry“, mal ernst: Schauspieler und Entertainer Harald Schmidt im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses bei der Veranstaltung „Augsburger Allgemeine Live“. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Schmidt, Sie erklärten mal: Wenn mir ein Interviewer am Anfang sagt, es sei für ihn die größte Ehre, dieselbe Luft wie ein Genie wie ich zu atmen, dann weiß ich, da hat sich jemand gut vorbereitet, da kann ich mich jetzt um Kopf und Kragen reden ...

    Harald Schmidt: Für mich sind ja Interviews Gelegenheiten, Material zu testen. Ich versuche auch, Antworten nicht ein zweites Mal zu geben. Deswegen wundern Sie sich nicht, wenn ich auf Fragen, die Sie vielleicht schon woanders gehört haben, Antworten gebe, die 180 Grad entgegengesetzt sind.

    Im SZ-Magazin sah man Sie kürzlich in trauter Reihe mit Altkanzler Gerhard Schröder und Alice Schwarzer. Der Tenor: Warum können diese Leute nicht in Würde altern. Sie werden als „weißer alter Mann“ bezeichnet.

    Schmidt: Das ist mein neuester Job. Man kriegt ja diese Jobs zugeteilt. Und der „alte weiße Mann“ ist zurzeit hoch im Kurs. Ich bin sehr glücklich, da mit dabei zu sein.

    Gefällt Ihnen denn diese Rolle?

    Schmidt: Das ist eine von vielen Rollen, die ich im Vorbeigehen mitnehme. Der Beinahe-Priester wird gefragt, der gescheiterte Schauspieler, der Late-Night-Moderator, dem man die Show abgenommen hat ...

    Sie haben mal gesagt, Sie hätten kein wertkonservatives Weltbild, sondern ein reaktionäres.

    Schmidt: Ich wäre gerne reaktionär, aber mir fehlt die intellektuelle Grundlage. Sie können auch davon ausgehen, dass alles, was von mir als Zitat über sechs Silben hinausgeht, irgendwo angelesen ist. Gemerkt, gefeuert, vergessen.

    Bereuen Sie nie einen Spruch von früher? Zum Beispiel: „Liebe Polen, habt ihr echt keine anderen Themen? Ihr diskutiert darüber, ob die Teletubbies schwul sind und hier bei uns verrottet der Spargel.“

    Schmidt: Da gibt’s aber einen besseren Witz: „Woran merkt man, dass ein Pole im Himmel ist? Am Großen Wagen fehlt ein Rad.“ Das waren wunderbare Jahre.

    Dabei sehen Sie sich Ihre alten Late-Night-Shows gar nicht mehr an.

    Schmidt: Ich habe mir niemals mehr eine Sendung angeguckt. Das war absolut für den Tag, für die Minute. Ich habe es immer sehr, sehr gerne gehabt, wenn Anne-Sophie Mutter, die Geigerin, zu Gast war, weil ich da komplett überfordert war. Sie bestand darauf, dass ich mit ihr was spiele. Meine Lieblingssendungen waren immer die, wo überhaupt kein Material da war. Das waren oft die besten Sendungen. Minutenlanges Räuspern und so! Gutes Material ist was für Streber. Die Hybris für den Late-Night-Moderator besteht darin, auszustrahlen: „Ihr könnt froh sein, dass ich überhaupt auftrete.“ Genau das will der Hardcore-Fan sehen, den ich am Ende im Golf nach Hause gefahren habe. Der große Rest ist bei Fridays for Future – was mir übrigens sehr gut gefällt.

    Eine der höchsten Einschaltquoten hatten Sie in der „Harald Schmidt Show“, glaube ich, als Ihr Sidekick Manuel Andrack die Winterreifen am Porsche aufgezogen hat ...

    Schmidt: Oh, da haben Sie jetzt was verwechselt. Andrack hat ja nicht mal nen Führerschein, sitzt bei der Gattin nebendran in so nem Familiendings und hinten ist alles drin, schon vorgekocht, fürs Wochenende in der Eifel. Nein, den Porsche fuhr Bandleader Helmut Zerlett.

    Warum suchten Sie außerhalb der Arbeit keinen Kontakt zu Andrack und Zerlett?

    Schmidt: Die ganze Spannung geht auf die Bühne. Wenn Sie sich privat treffen, fangen Sie noch an zu grillen und sagen: „Oh Gott, das ist die Familie, das kann ja nix werden!“

    Und die Polenwitze?

    Schmidt: ... würden heute nicht mal mehr im Ansatz gehen. Aber sie sind auch inhaltlich nicht mehr richtig. Polen hatte später mal ein Wirtschaftswachstum von 15 Prozent.

    Was ist heute das gute Witze-Material?

    Schmidt: Der Erfolg der Grünen und Robert Habeck.

    Den mögen Sie.

    Schmidt: Ja. Ich finde den toll. Aber das Spannende ist: Wie verhält sich das scheue Reh Wähler, wenn Habeck liefern muss, also wenn er Bundeskanzler wird? Ich halte das nicht für unwahrscheinlich. Das ist auch das Wesen von dem, was ich tue: reagieren auf das, was passiert.

    Bei Habeck hätten Sie Bedenken, dass er erst mit Haareverwuscheln beschäftigt ist, bevor er sich mit Putin trifft?

    Schmidt: Gar nicht. Jeder Bundeskanzler ist ganz schnell in das Amt hineingewachsen. Und das zeigt, wie gut die Gewaltenteilung ist, wie gut es ist, dass wir die Institutionen haben, und wie wichtig es ist, dass sie funktionieren.

    Ihre Stimme hat Habeck?

    Schmidt: Ich habe das letzte Mal CDU gewählt, weil ich wollte, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Ich bin ein strategischer Wähler.

    Sie haben auch schon Gerhard Schröder von der SPD gewählt.

    Schmidt: Ja. Gerhard Schröder hat mich gerettet, das hab’ ich ihm auch mal persönlich gesagt. Meine Show war damals kurz davor abzunippeln, ganz miese Quoten. Dann kam die Scheidung Hillu – Schröder. Dann ging die Quote hoch. Gerd ist mein Mann!

    Hatten Sie je ein politisches Anliegen außer „Ich sag’ Ja zu deutschem Wasser“?

    Schmidt: Selbstverständlich. Ich bin ein glühender Anhänger des Rechtsstaats. Ich war ja mal für wenige Minuten „Tatort“-Kommissar, und da hat mir ein echter Kommissar in der Vorbereitung gesagt: „Wir erleben sehr oft, dass der Satz ’Ich hol’ die Polizei’ keine Wirkung mehr hat.“ Da kommen Sie schon ins Nachdenken. Kürzen wir es ab: Fridays for Future – sehr gut. Inlandsflüge streichen – bin ich sehr dafür. Aber nicht wegen CO2, sondern weil ich nicht gern schon morgens um Sieben einen fremden Arsch im Gesicht habe. Nein, Sie müssen komplett matschig in der Birne sein, wenn Sie die Gefahr des CO2 noch bestreiten. Weiteres großes Thema: Flüchtlinge im Mittelmeer – natürlich muss jeder gerettet werden.

    Ihr Kollege Jan Böhmermann sammelt Geld für die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete.

    Schmidt: Ich spende selber. Ich finde, in dieser Einkommensklasse übernimmt man die Kosten und belästigt nicht andere mit Spendenaufrufen.

    Kennen Sie so etwas wie Flug-Scham?

    Schmidt: Aus Umweltgründen fliege ich wann immer möglich First Class. Wer 14.000 Euro für einen Flug nach Sydney bezahlt, der weiß, dass das Geld für die Umwelt angelegt wird, und 30 Grünen-Wähler fliegen hinten für lau mit. Ich seh’ die ja immer am Gepäckband: Mit welchen Blicken ich da umgehen muss. Verdammte Neidgesellschaft!

    Und dann fahren Sie auch noch einen spritfressenden Jaguar!

    Schmidt: Was heißt spritfressend? Nur 14 Liter auf 100 Kilometer! Ich fahr’ den ja aus Verbundenheit zur größten Monarchie der Erde. Wenn ich da einsteige, da bin ich ja sozusagen ein Teil des Hauses Windsor.

    Sie sind auch regelmäßig als Kreuzfahrtdirektor Oskar Schifferle mit dem ZDF-„Traumschiff“ unterwegs. Das wird es noch 200 Jahre geben, oder?

    Schmidt: Ich glaube schon. Die geschichtliche Entwicklung läuft auf das „Traumschiff“ zu. Je finsterer alles wird, desto mehr wird das „Traumschiff“ profitieren. Ich beobachte aber die unschöne Tendenz, dass man Realität reinbringen will. Da sage ich natürlich: „Ihr habt sie wohl nicht mehr alle!“ Die Leute wollen an diese Strände, die wollen mal so ne Reise machen. Ich hoffe, das „Traumschiff“ geht noch sehr, sehr lange, aber es muss genau so bleiben.

    Ich habe gelesen, dass Sie sich bei den Dreharbeiten nachmittags immer hinlegen, wenn die anderen Ausflüge machen.

    Schmidt: Ausflüge sehen ja so aus: Man fährt zum Tempel Tschiging-Tschibum-Tschigong mit vier Bussen und 6000 anderen Passagieren von den 40 anderen Schiffen, die im Hafen liegen. Sieht dann nichts, kauft für 40 Milliarden in der Landeswährung Andenken, muss noch zwei Koffer auf dem Markt kaufen, damit man die Andenken einpacken kann, kommt zurück und sagt: „War irre.“ Es ist überall wahnsinnig voll. Bleiben Sie zuhause, gucken Sie sich Fotos an und freuen Sie sich daran, wie schön mal alles ausgesehen hat! Egal wo – es ist voll, voll, voll!

    Stört es Sie, dass Ihre momentan wichtigste Rolle die des Kreuzfahrtdirektors ist?

    Schmidt: Es sind fantastische Reisen. Und morgen fliege ich nach England und drehe „Rosamunde Pilcher“. Ich mag nicht klagen.

    2002 wurden Sie als Nachwuchsschauspieler des Jahres ausgezeichnet. Da waren Sie schon Mitte 40!

    Schmidt: Und dadurch war ich auf der Titelseite von Theater heute. Ich wäre dafür früher von Augsburg aus nackt auf Knien nach Oberammergau gerutscht. In diesem Fall war es wichtiger für Theater heute, mich auf der Titelseite zu haben, als mir den Titel zu geben. Das war ne PR-Aktion von denen.

    Ihre Karriere begann in den 80ern in Augsburg am Theater. Nur Schrott hätten Sie spielen dürfen, sagten Sie.

    Schmidt: So war mein Leben. Die ersten Jahre bin ich nur rumgekrebst. Ich hab’ mir hier in Augsburg so viele Nasen angeklebt und Buckel angeschnallt, weil ich spielte ja nur Mönche. Man darf halt nicht aufgeben.

    Wen würden Sie gerne noch kennenlernen?

    Schmidt: Ehrlich gesagt: Kardinal Ratzinger, in seiner Bibliothek in den Vatikanischen Gärten. Ich würde ihn einfach reden lassen. Was er liest, wie er seinen Tag verbringt, was er schreibt – das würde mich echt mal interessieren.

    Sie sind gläubiger Katholik. Ist das schwieriger geworden in den letzten Jahren?

    Schmidt: Die Kirche zerlegt sich sehr solide selbst. Das Verhalten der katholischen Kirche ist ein Desaster, mit dem ganzen Missbrauch. Das merkt man ja auch an Leuten, die in der Wolle gefärbte Katholiken sind. Die sagen: Das geht zu weit, da gibt’s keine Entschuldigung. In meiner Wahrnehmung wird das von der Bischofskonferenz desaströs angegangen. Ich verstehe nicht, warum. Denn man kann ja nicht sagen: Wir gehören nicht zum Rechtsstaat, entschuldigen uns aber, schämen uns und singen ’Maria, meine Königin’! Der Effekt ist, dass die Kirchen leer sind.

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