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Gundremmingen: Das Atomdorf

Gundremmingen

Das Atomdorf

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    „Uns war bereits in den achtziger Jahren klar, dass es mit der Kernkraft nicht ewig weitergehen wird.“Bürgermeister Wolfgang Mayer
    „Uns war bereits in den achtziger Jahren klar, dass es mit der Kernkraft nicht ewig weitergehen wird.“Bürgermeister Wolfgang Mayer

    Der erste Weg führt auf die Toilette im Rathaus. Nicht eines dringenden Bedürfnisses wegen, sondern aus reinem Interesse. Ein Gerücht überprüfen. Demzufolge sollen hier, in Gundremmingen, aufgrund des sagenhaften Reichtums der Gemeinde Wasserhähne, Klobrille und Türklinken aus purem Gold sein. Doch Enttäuschung! Es ist hier nicht anders als in anderen

    Bürgermeister Wolfgang Mayer lacht herzlich über den Spaß in den Toiletten. Seitdem er vor über 25 Jahren ins Amt kam, ist der parteilose Politiker damit konfrontiert, dass das 1600-Seelen-Dorf als eine Art Marbella Nordwestschwabens gilt. Und wahrscheinlich ist es nur sprichwörtliche schwäbische Sparsamkeit und Solidität, die verhindert haben, dass bislang keine edelsteinbesetzten Paläste gebaut wurden. Denn Gundremmingen gilt als eine, wenn nicht die reichste Gemeinde Bayerns. Mayer geht wie der Präsident des FC Bayern, Uli Hoeneß, von vorne in die Festgeldabteilung der Banken, nicht durch die Hintertür zum Kredite-Betteln wie viele andere. 24 Millionen lägen derzeit auf der hohen Kante, sagt er. Zehn Millionen davon als eiserne Reserve.

    Die Quelle des Wohlstands ist durch das Fenster von Mayers Büro im ersten Stock des Rathauses im Hintergrund zu sehen – zwei riesige Kühltürme des Kernkraftwerks, unten an der Donau, ragen inmitten eines herb-romantischen Auwalds in den Himmel. Sie gehören zu Gundremmingen wie die Kirche und die Feuerwehr. Es sind die leistungsstärksten Meiler in Deutschland.

    Schon seit 1966 wird in der Gemeinde Gundremmingen Kernenergie gewonnen, nachdem Nürnberg und das zwischen Donauwörth und Neuburg gelegene Bertoldsheim an der Donau zu sehr gegen den Bau eines Atomkraftwerks protestiert hatten.

    Mayer, sein Amtsvorgänger und das Dorf freuten sich dagegen über die Pläne. Und wen man auch heute auf der Straße trifft. Keiner bezieht – Tschernobyl hin, Fukushima her – offen Stellung gegen das Kraftwerk. Weder Passanten vor dem Rathaus noch die Verkäuferin in der Bäckerei. „Wir haben keine Angst vor einem GAU“, sagt sie. Und Straßenarbeiter schütteln einige Meter weiter den Kopf: „Noi, noi, da machen wir uns gar keine Gedanken. Könnt ja sei’, morgen kann mich ein Auto überfahren, dann bin ich auch tot!“

    So denken sie hier alle. Bis auf einen, der als Ein-Mann-Demonstration vor der Atomkraft mahnt. Den aber nimmt kaum jemand hier ernst. Auch bisherige Zwischenfälle, einschließlich des großen Unfalls am 13. Januar 1977, nachdem der erste Reaktor stillgelegt werden musste, können nicht an diesem Verständnis von relativer Sicherheit kratzen. „Die Leute, die im Kraftwerk arbeiten, wollen schließlich auch nicht in die Luft fliegen“, lautet eine oft gehörte Begründung.

    Aber ein ebenfalls nicht unter den Tisch zu kehrender Grund ist das Geld. Die Steuereinnahmen sprudeln in Gundremmingen wie Heilquellen.

    „Anfangs wussten wir gar nicht, wofür wir die ganzen Einnahmen ausgeben sollten“, erinnert sich der Bürgermeister. In den besten Zeiten habe es einmal eine Nachzahlung von 60 Millionen Mark gegeben. Ziemlich viel für eine so kleine Gemeinde.

    Während andere die Millionen möglicherweise verjubelt hätten, versuchten es die Gundremminger zusammenzuhalten. „Uns war bereits in den 80er Jahren klar, dass es mit der Kernkraft nicht ewig weitergehen wird“, erklärt Mayer. Darum legte man die Einnahmen an. Einen Teil auf Konten, anderes Geld wurde vornehmlich in Immobilien investiert. Dass Gundremmingen inzwischen halb München gehört, wäre übertrieben, aber im Laufe der Jahre erwarb sich die Gemeinde ganze Wohnblöcke in Schwabing, Sendling und Grünwald. Auch auf eigener Flur besitzt das Atomdorf Wohnblöcke. Mittlerweile sind die Mieteinnahmen fast so hoch wie die Kraftwerkssteuern, die nicht mehr ganz so stark wie früher sprudeln.

    Auch die Gundremminger Bürger selbst profitieren. 2000 Arbeitsplätze zählt die Gemeindestatistik inklusive der Kraftwerkszulieferer. Ein neues Gewerbegebiet wurde geschaffen. Die Dorfstraße wird saniert. Picobello steht der Ort da, der seinen Einwohnern auch einige Annehmlichkeiten bietet. So kostet der Quadratmeter Grund von Bauplätzen gerade einmal 75 Euro. Einen Haken hat die Sache: Es dürfen nur Einheimische bauen und solche, die hier bereits fünf Jahre ansässig sind.

    Das Telefon klingelt, Mayer nimmt den Hörer ab. Eine Bürgerin hat ihren Volkszählungs-Fragebogen verloren. Der Bürgermeister hilft mit Rat weiter. Er ist in Gundremmingen Mädchen für alles. Denn, das ist ungewöhnlich, Mayer ist hauptamtlich bestellt, verdient nicht nur ein Zubrot. Er lacht, legt die Hände auf die Oberschenkel und macht ein zufriedenes Gesicht. „Die Zukunft kann ruhig kommen, hier ist alles gerichtet“, sagt er und spielt auf die Zeit nach dem Abschalten der beiden Kraftwerksblöcke an, das ist nach aktuellen Regierungsplänen spätestens 2022.

    Aus drei Einnahmequellen speist sich mittlerweile der Haushalt: aus den Steuern des Atomkraftwerks, aus dem Restgewerbe und aus den Mieteinnahmen. „Jeweils etwa zu einem Drittel“, erklärt Bürgermeister Mayer, der sich zwar keine goldenen Wasserhähne, aber ein modernes Rathaus samt Turm mit goldener Kugel gönnte. Zusammen mit dem Kindergarten kostete das zwölf Millionen Euro.

    Jetzt, sagt der Bürgermeister, werden noch die Straßen saniert, auch der Kanal und die Wasseranschlüsse. Alles soll neu sein, wenn die Kettenreaktion drüben im Kraftwerk einmal abgebrochen wird. „Und wer weiß, vielleicht schlagen wir auch auf dem Immobilienmarkt noch einmal zu“, prognostiziert Mayer, der Pragmatiker.

    Die Zukunft mag er trotz mancher Sorge nicht schwarzmalen. „Warten wir ab, was kommt“, orakelt er und deutet zum Fenster hinüber, von dem aus die Kühltürme zu sehen sind. Weißer Dunst steigt zum Himmel auf.

    Was der Politiker meint, aber nicht sagen will: In Gundremmingen hofft man auch nach dem Atom-ausstieg durchaus auf gute Geschäfte mit den Energiekonzernen RWE und Eon. Denn das Gelände bietet eine ideale Infrastruktur auch für andere Kraftwerke. Gas-Dampf-Energie wäre eine Option, wie sie im nahe gelegenen Günzburg entstehen soll. Außerdem könnte Gundremmingen eine Art technisches Zentrum zum Zerlegen von Atomkraftwerken werden.

    Verarmen jedenfalls wird Gundremmingen auch nach dem Ende der Kernkraft nicht. Mayer bedauert es trotzdem, dass das Atomkraftwerk, zu dem auch das Zwischenlager für Brennstäbe gehört, nun doch mittelfristig abgeschaltet werden soll. „Ein paar Jahre länger hätten uns finanziell schon gutgetan.“

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