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Guido Westerwelle: Nachruf auf Guido Westerwelle: Ein Politiker ohne Angst

Guido Westerwelle

Nachruf auf Guido Westerwelle: Ein Politiker ohne Angst

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    Guido Westerwelle ist im Alter von 54 Jahren an Leukämie gestorben.
    Guido Westerwelle ist im Alter von 54 Jahren an Leukämie gestorben. Foto: Foto: Maurizio Gambarini/dpa

    Es ist Donnerstagabend in Berlin. Ein alter Weggefährte von Guido Westerwelle ist eigentlich schon auf dem Weg nach Hause, als er noch kurz von der Trauerfeier für Hans-Jürgen Beerfeltz erzählt. Dem Mann, der fast 15 Jahre Bundesgeschäftsführer der FDP war und bis zuletzt einer der engsten Mitarbeiter von Westerwelle, ehe er im Januar den Kampf gegen Leukämie verlor. Irgendwann kommt das Gespräch dann fast zwangsläufig auf den früheren Außenminister selbst und die Frage, wie es ihm eigentlich gehe. „Nicht gut“, sagt der Mann. „Ich mache mir Sorgen.“

    Keine 15 Stunden später ist Guido Westerwelle tot. Gestorben, auch er, an den Folgen eines besonders heimtückischen Blutkrebses, von dem er bis vor wenigen Monaten noch gedacht hat, er könne ihn bezwingen, zäh und zuversichtlich, wie man ihn kennt. „Mir geht es eigentlich ganz gut“, sagt er noch Anfang November bei der Vorstellung seines neuen Buches in einem Berliner Theater. „Ich hatte bessere Phasen, aber auch sehr viele schlechtere.“ Wenig später allerdings muss er schon wieder in die Kölner Universitätsklinik, die er seitdem nicht mehr verlassen hat. Seine 2014 gegründete Stiftung begründet das noch vor ein paar Tagen mit einer „Medikamentenumstellung“.

    Dünner ist der Westerwelle geworden, der sich da im November zeigt, aber nicht depressiv, das Sprechen fällt ihm noch schwer, er nuschelt stark, aber er kann schon wieder in die Oper gehen und in die Talkshows von Günther Jauch und Markus Lanz. „Zwischen zwei Leben“ hat er sein Buch genannt, das er dort bewirbt. Untertitel: „Von Liebe, Tod und Zuversicht.“ Er habe es geschrieben, erzählt er, um Aufmerksamkeit für Menschen zu gewinnen, denen das Schicksal ähnlich zugesetzt hat. Die länger auf eine passende Knochenmarkspende warten als er oder nach einer Transplantation mit allergischen Schocks kämpfen. „Es ist kein Krankheitsbuch“, sagt Westerwelle. „Kein Todesbuch, sondern ein Lebensbuch.“

    Über die Politik redete Guido Westerwelle nur noch am Rande

    Reaktionen auf den Tod von Guido Westerwelle

    Bundespräsident Joachim Gauck: «Als Vorsitzender der FDP führte er seine Partei zu großen Erfolgen. (...) Er wird uns als ein leidenschaftlicher Demokrat und Europäer in Erinnerung bleiben.»

    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich »tief erschüttert» über den Tod ihres früheren Stellvertreters Guido Westerwelle geäußert. Als damaliger Außenminister habe Westerwelle »mit Herz und Leidenschaft für Frieden und Menschenrechte gekämpft», sagte Merkel.

    Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD): »Guido Westerwelle war Vollblutpolitiker, jemand, der sich nie wegduckt und auch in schwierigen Zeiten seine Überzeugungen aufrecht vertreten hat», erklärte Steinmeier. »Wir waren nicht immer einer Meinung, nicht in der Innenpolitik, und auch nicht immer in der Außenpolitik. Aber wir konnten uns immer aufeinander verlassen.»

    CSU-Chef Horst Seehofer hat den verstorben früheren Außenmister Guido Westerwelle als «glühenden Anwalt der Freiheit, der sozialen Marktwirtschaft und der Bürgerrechte» bezeichnet. Er sei tief betroffen vom Krebstod des ehemaligen FDP-Vorsitzenden, meinte der bayerische Ministerpräsident.

    CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer: «Große Trauer um Guido Westerwelle. Er ist viel zu früh von uns gegangen.»

    Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner: «Mir fehlen die Worte. Guido hat so gekämpft. Die Trauer ist groß.»

    Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU): «Er war ein großartiger Kämpfer für die liberale Sache und ein engagierter Parlamentarier.»

    FDP-Vize-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki: «Ich bin bin unendlich traurig. Noch im November haben meine Frau und ich mit ihm einige Zeit auf Mallorca verbracht. Da war er noch guten Mutes. Sein Tod ist für die liberale Bewegung ein unglaublicher Verlust.»

    Ex-Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler: «Bin einfach sehr, sehr traurig.»

    Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter: »Viel zu jung aus dem Leben gerissen. Wir trauern um Guido Westerwelle.»

    Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir: «Wir sind sehr bestürzt über den Tod von Guido Westerwelle. Wir trauern mit seinem Mann und seiner Familie!»

    Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) : «Ein trauriger Tag...»

    EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD): «Tief traurig über Tod von Guido Westerwelle. Mit ihm verliert @fdp eine prägende Figur. Gedanken sind bei seinem Mann, Familie und Freunden.»

    Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch: «Guido Westerwelle ist viel zu früh gestorben. Mein Mitgefühl gilt seinen Angehörigen und seinen Freunden.»

    SPD-Chef Sigmar Gabriel : «Ich bin sehr bestürzt über die Nachricht vom Tod von Guido Westerwelle. Mit ihm ist ein aufrechter Demokrat viel zu früh von uns gegangen.»

    Linke-Chef Bernd Riexinger: «Ein mutiger Kämpfer für Toleranz, humorvoll, stets sachlicher politischer Gegner. Er wird sehr fehlen. Ruhe in Frieden, Guido Westerwelle»

    Der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hat sich «tief erschüttert» über den Tod von Guido Westerwelle geäußert. «Er war eine große politische Begabung und ein herzensguter Mensch. Mit ihm wird unvergessen bleiben das Wahlergebnis der FDP aus dem Jahr 2009», hieß es in einer Erklärung.

    Über die Politik, die sein Leben so geprägt, bestimmt und bereichert hat, redet er bei seinen wenigen öffentlichen Auftritten nur noch am Rande. „Das ist so weit weg“, wehrt er allzu lästige Fragen ab. Eines aber ist ihm wichtig: „Ich bin mit niemandem im Streit.“ Für einen Menschen wie Guido Westerwelle, der als Generalsekretär und später als Vorsitzender der FDP keine Auseinandersetzung gescheut hat und als Außenminister mehr Kritik einstecken musste als die meisten seiner Vorgänger zusammen, ist das ein bemerkenswert sanfter Satz. Im Nachhinein klingt er so, als habe er unter dem Eindruck der Krankheit vor allem eines gewollt: im Reinen sein – mit sich und anderen.

    Die Jungen Liberalen gründet der Sohn eines Bonner Rechtsanwalts und einer Richterin 1980 mit, weil ihm der frühere Jugendverband der FDP, die Jungdemokraten, zu links sind. Es ist der erste Schritt auf einem Weg, den der Tagesspiegel Jahre später mit „Hauptsache Streit“ überschreibt. Westerwelle ist jung, angriffslustig – und ehrgeizig. Mit 22 wird er Vorsitzender der Jungen Liberalen, mit 27 Mitglied im Bundesvorstand der FDP, mit 33 Generalsekretär und sechs Jahre später schließlich Vorsitzender seiner Partei: Wer in der Politik so schnell Karriere machen will, darf nicht warten, bis ein Amt zu ihm kommt. Er muss sich nach vorne drängeln, Konkurrenten ausstechen, eigene Skrupel unterdrücken. Den Parteivorsitz entreißt Westerwelle seinem Vorgänger Wolfgang Gerhardt regelrecht. In einem Hamburger Nobelhotel redet er im Januar 2001 stundenlang auf ihn ein, bis der Hesse zermürbt und übermüdet aufgibt. Dem Willen des Jüngeren hat er nichts mehr entgegenzusetzen.

    Der Aufstieg von Guido Westerwelle war für die FDP Fluch und Segen

    Guido Westerwelle: Stationen seines Lebens

    27. Dezember 1961: geboren in Bad Honnef bei Bonn

    1980: Abitur und FDP-Beitritt, anschließend Jurastudium und Promotion

    1983-1988: Vorsitz der Jungen Liberalen

    1994-2001: Generalsekretär der FDP

    1996-2013: Mitglied des Bundestages

    2001-2011: Bundesvorsitzender der FDP

    2006-2009: Fraktionsvorsitzender der FDP

    2009-2013: Außenminister und bis 2011 Vizekanzler

    2010: Heirat mit seinem Lebensgefährten Michael Mronz

    Juni 2014: Bekanntgabe der Leukämie-Erkrankung

    18. März 2016: gestorben im Alter von 54 Jahren

    Für die FDP, die bisher noch jede Wahlschlappe dem jeweiligen Vorsitzenden angekreidet hat, ist Westerwelles rasanter Aufstieg Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil der Neue vom Besuch im Container von Big Brother über seine Wahlkampftouren im quietschgelben „Guidomobil“ bis zu den antisemitischen Klischees, mit denen sein damaliger Stellvertreter Jürgen Möllemann spielt, keine Peinlichkeit auslässt. Segen, weil die Partei nach einer Serie verlorener Wahlen unter Westerwelle schnell die Wende schafft und nach neun Jahren Opposition mit dem Rekordergebnis von 14,6 Prozent wieder Teil einer Bundesregierung wird – mit ihm als Außenminister. Ein junger Genscher.

    „Ihr kauft mir den Schneid nicht ab“, schleudert er seinen Kritikern nach Monaten im Amt entgegen, die ihn da bereits für eine Fehlbesetzung halten und ihm unter anderem vorwerfen, er nehme seinen Lebensgefährten Michael Mronz mit auf Auslandsreisen, um ihm Türen für seine Geschäfte zu öffnen. Es ist der Westerwelle, wie man ihn bis dahin kennt. Der Jetzt-erst-recht-Guido. Der notorische Besserwisser. Der immer etwas zu Laute und etwas zu schnell Beleidigte, einer der besten Redner im Bundestag, witzig und pointiert, aber eben auch einer, der polarisiert wie wenige Spitzenpolitiker. Bis er kommt, ist das Amt des Außenministers ein Amt mit eingebauter Popularitätsgarantie. Westerwelles Sympathiewerte aber fallen in den Umfragen, statt zu steigen. Das liegt auch daran, dass er als FDP-Chef nicht liefern kann, was er im Wahlkampf versprochen hat, nämlich niedrigere Steuern.

    Die Metamorphose des Guido Westerwelle

    Auch sein Verzicht auf den Parteivorsitz und den Posten des Vizekanzlers im Frühjahr 2011 rettet die Liberalen nicht mehr. Zwei Jahre später fliegen sie nach einem verkorksten Wahlkampf mit dem jungen Parteichef Philipp Rösler und dem früh ergrauten Spitzenkandidaten Rainer Brüderle aus dem Bundestag. Der Westerwelle, den nur wenige kennen, ist ein Mensch von ansteckender Freundlichkeit, ein Mann mit perfekten Manieren und einem ausgeprägten Kunstsinn. Im kleinen Kreis, wenn die Kameras ausgeschaltet sind, die Notizblöcke weggesteckt, kann auch der Lautsprecher Westerwelle leise und nachdenklich sein. Er verleugnet seine Zweifel nicht, betrachtet das Außenministerium nicht mehr als Projektionsfläche für sein großes Ego, sondern als ein Amt, in dem man tatsächlich etwas bewegen kann. Beamte, die lange für ihn gearbeitet haben, beschreiben diese Metamorphose so: Am Anfang hatte er zu allem eine Meinung, dann begann er, sich auch für die Meinungen anderer zu interessieren…

    Dass Deutschland sich nicht am Militärschlag gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi beteiligt, ist die vielleicht umstrittenste Entscheidung seines politischen Lebens. Ausgerechnet unter ihm, der auf Parteitagen oft getönt hat, Enthaltung sei alles, nur keine Haltung, enthält die Bundesrepublik sich im Weltsicherheitsrat – in einer grotesken Allianz mit China und Russland. Ausgerechnet er, der so große Hoffnungen in die Arabellion gesetzt hat und den tausende von Ägyptern auf dem Tahrir-Platz feiern wie einen Messias der Demokratie, will einen Diktator an der Macht halten. Später, als er schon nicht mehr im Amt ist, räumt Westerwelle ein, dass er zu optimistisch war, als die Welle der Revolutionen durch die arabische Welt schwappte. Die Libyen-Entscheidung aber verteidigt er umso entschlossener: „In meiner Amtszeit war deutsche Außenpolitik Friedenspolitik.“

    Der Krebs, der ihn besiegt, kommt lautlos und ohne jede Vorwarnung. Westerwelles Ärzte entdecken ihn eher zufällig, als sie ihn im Juni 2014 am Knie operieren wollen. Noch am gleichen Tag beginnt er zu schreiben. Es ist eine Reise zurück zu sich selbst und in eine neue, gefährliche Ungewissheit. „Man bleibt derselbe Mensch“, sagt Westerwelle, als er sein Buch vorstellt, „und ist doch ein anderer geworden.“

    Auf der Homepage seiner Stiftung, der Westerwelle Foundation, war kurz danach ein Foto aus glücklicheren Tagen zu sehen. Ein Selfie mit seinem Mann Michael Mronz.
    Auf der Homepage seiner Stiftung, der Westerwelle Foundation, war kurz danach ein Foto aus glücklicheren Tagen zu sehen. Ein Selfie mit seinem Mann Michael Mronz.

    Am Tag seines Todes meldet er sich ein letztes Mal zu Wort. Auf der Internetseite seiner Stiftung ist ein Foto zu sehen. Ein Selfie am Strand. Ein Bild aus glücklichen Tagen. Dazu nur ein paar Zeilen: „Wir haben gekämpft. Wir hatten das Ziel vor Augen. Wir sind dankbar für eine unglaublich tolle gemeinsame Zeit. Die Liebe bleibt. Guido Westerwelle und Michael Mronz, Köln, den 18. März 2016.“

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