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Grüne Woche: Emotionale Debatte: Wie kann die Landwirtschaft grüner werden?

Grüne Woche

Emotionale Debatte: Wie kann die Landwirtschaft grüner werden?

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    Die Landwirtschaft steht gerade im Zentrum einer heftigen Debatte. Auf der Grünen Woche prallen die verschiedenen Positionen aufeinander.
    Die Landwirtschaft steht gerade im Zentrum einer heftigen Debatte. Auf der Grünen Woche prallen die verschiedenen Positionen aufeinander. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Mango PP weiß noch nicht recht, was da um ihn herum geschieht. Der Fleckvieh-Bulle schiebt seinen mächtigen Schädel mit dem feuchten Maul zwischen den Querbalken hindurch, die sein garagengroßes Territorium in Halle 25 begrenzen. Stumm schaut er zu, wie zwei Monteure über dem Verschlag neben ihm noch schnell ein Schild anbringen. Es ist Freitag, zehn Uhr vormittags, die Grüne Woche hat eben zu ihrem ersten Besuchertag geöffnet. Bald wird es hier wimmeln wie in einem Ameisenbau. Über 400.000 Besucher, 1800 Aussteller – Europas größte Ernährungsmesse ist für ein breites Publikum gemacht. Doch in diesem Jahr schaut das ganze Land auf sie. Denn außer dem Duft von Fisch, Fleisch, Käse, Obst und Gemüse aus aller Welt, schwebt heuer über den Ständen eine Frage: Wie kann die Landwirtschaft grüner werden?

    Dass sie das muss, sagt inzwischen sogar einer, von dem man qua Amt bis vor gar nicht so langer Zeit eher das Gegenteil erwartet hätte: Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands. Er ist so groß, dass man ihn auch im Gedränge der Messe schon von Weitem sieht. Die Grüne Woche ist nicht nur eine riesige Publikumsmesse, bei der es vor allem um das Essen und Trinken geht, also die Produkte der Land- und Ernährungswirtschaft. Sie ist auch eine enorm wichtige Kontaktbörse für alle, die in diesem Sektor arbeiten.

    Die Landwirtschaft steht im Zentrum einer nationalen Debatte

    Vor allem aber ist sie eine einmalige Chance, die eigene Sicht der Welt einem breiten Publikum nahezubringen. Das geschieht meist an den beiden Tagen, bevor die Messe für das Publikum öffnet – und das ist in diesem Jahr so wichtig, wie vielleicht noch nie. Denn die Landwirtschaft steht im Zentrum einer nationalen Debatte. Doch statt um die Frage, was man tun könnte, um die Bauern zu schützen, geht es eher darum, wie man die Umwelt vor den Bauern schützen kann. So empfinden das zumindest viele Landwirte, die derzeit nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern Europas für mehr Anerkennung und eine bessere Vergütung ihrer Leistungen demonstrieren.

    Rukwied also. Er kommt am Donnerstagmorgen von einem Gespräch mit EU-Klimaschutzkommissar Frans Timmermans, der dafür sorgen soll, dass die Europäische Union bis 2050 klimaneutral wird. Ohne die EU, die über die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) entscheidenden Einfluss auf das hat, was die Bauern mit welchen Methoden anbauen, ist keine Reform der Landwirtschaft zu machen.

    Die Bauern haben Angst um ihre Zukunft

    Gegen die EU, die mit dem von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigten „Green Deal“ auch die Landwirtschaft nachhaltiger machen will, kann aber auch der mächtige Bauernverband nicht auf Dauer ankämpfen. Rukwied nimmt auf der Bühne im Pressezentrum Platz und sagt, was er in den kommenden Tagen noch oft wiederholen wird: Die neue GAP, die zurzeit verhandelt wird und die immer für mehrere Jahre gilt, „wird und muss grüner werden, weil wir sonst keine gesellschaftspolitische Akzeptanz und keine politischen Mehrheiten bekommen“.

    Doch so einfach ist das eben nicht. Denn die Bauern demonstrieren ja nicht gegen mehr Umweltschutz. Sie haben Angst um ihre Zukunft. Sie fühlen sich von der Öffentlichkeit nicht wertgeschätzt und von der Politik mit immer neuen Vorschriften gegängelt. „Düngeverordnung“ ist eines der Reizwörter, das in den ungezählten Podiumsdiskussionen, Pressekonferenzen und Hintergrundrunden verlässlich immer wieder auftaucht.

    Deutschland überschreitet seit Jahren die europäischen Grenzwerte für Nitrat im Grundwasser. Inzwischen drohen dem Land astronomische Strafen, wenn es nicht gelingt, das Problem schnell in den Griff zu bekommen. Große Verantwortung für die Nitratwerte hat die Landwirtschaft durch die Düngung der Felder. Aber was und wie gedüngt werden darf, ist ja haarklein geregelt. Die Bauern, die ständig geschult werden und alle Regeln befolgt haben, fühlen sich darum zu Unrecht an den Pranger gestellt.

    Von mehreren Seiten gibt es Druck

    Zudem gibt es Probleme mit den Messstationen, die offenbar nicht immer sinnvoll platziert sind und nicht messen, was sie sollen. Doch an den Regeln und Schulungen hat der Bauernverband mitgearbeitet. Rukwied ist also von mehreren Seiten unter Druck. Wenden sich die Bauern von ihrem Verband ab, sinkt auch sein politischer Einfluss.

    Die Düngeverordnung, an der sich nun so viel Ärger entlädt, ist aber nur ein Symptom eines viel grundsätzlicheren Konflikts. Auf der einen Seite steht ein wachsender Teil der Bevölkerung, der sich sorgt, dass unser Umgang mit den natürlichen Ressourcen so verschwenderisch ist, dass wir nachfolgenden Generationen immer weniger davon übrig lassen. Zusätzlich werden die Probleme, die wir mit dem Klimawandel und dem Verlust von Biodiversität schaffen, immer größer.

    Auf der anderen Seite stehen die Warner, die sagen, dass wir mit einer einseitigen Fokussierung auf den Umweltschutz unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit unseren Wohlstand gefährden. Und in der Mitte stehen die Bauern, die beides können sollen, zu Weltmarktpreisen produzieren und dabei die Umwelt schützen. Dass sie sich dabei ein wenig fühlen wie Mango PP, eingesperrt in einem Korsett aus Regeln und fremdbestimmt von den Kräften des Marktes, kann man ihnen nicht verdenken.

    Die Stimmung sei schlechter als die Lage

    Ihr großes Verständnis für die Bauern und deren Demonstrationen betont auch CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner immer wieder. Sie kommt kurz nach Rukwied auf die Bühne und steht später fast immer an seiner Seite – in jeder Hinsicht. Die Stimmung in der Landwirtschaft, sagt sie bei ihrer Pressekonferenz am Donnerstagmorgen, sei schlechter als die Lage. Bei der offiziellen Eröffnungsfeier am Abend watscht sie den Berliner Justizsenator Dirk Behrendt von den Grünen öffentlich ab, weil er in seinem Grußwort die gewachsenen Ansprüche der Verbraucher verteidigt hat.

    Und bei ihrem Rundgang mit den EU-Kommissaren Janusz Wojciechowski (Landwirtschaft) und Stella Kyriakides (Gesundheit und Lebensmittelsicherheit) am Freitagmorgen preist sie die Chancen der Digitalisierung und Technik, dank derer der Spagat zwischen Wirtschaft und Umwelt eben doch gelingen soll: Drohnen, selbstfahrende Traktoren mit Elektromotoren und Sensoren, Künstliche Intelligenz und nicht zuletzt die Genschere Crispr-CAS, die aber nichts mit klassischer Gentechnik zu tun habe.

    Nicht zufällig bringt ein Feldroboter dann die Scheren, mit denen Klöckner, Rukwied und die Ehrengäste am Ende ihres Rundgangs symbolisch ein grünes Band durchschneiden. Bilder transportieren auch eine Botschaft.

    Die Erzeuger seien bei Verhandlungen nicht auf Augenhöhe

    Einig sind sich Rukwied und Klöckner bei all ihren Auftritten auch bei der Frage nach den Ursachen der aktuellen Misere. Die Verbraucher forderten immer mehr, seien aber nicht bereit an der Ladenkasse für Tierwohl und Umweltschutz mehr zu bezahlen. Der Handel trage ebenfalls Verantwortung, die Erzeuger seien bei Verhandlungen nicht auf Augenhöhe. Wer gegen die schlechte Behandlung protestiere, müsse stets damit rechnen, ausgelistet zu werden. Die gesamte Halle des Landwirtschaftsministeriums hat Klöckner darum unter das Motto „Du entscheidest“ gestellt.

    Klöckners Rundgang mit Ehrengästen und Journalisten führt natürlich auch dorthin. Die Ministerin läuft immer noch so schnell, wie sie redet, trotz hoher Absätze und einem strammen Programm. Abmarsch 7.30 Uhr, auch wenn Andrej Plenković, der Ministerpräsident des Gastlands Kroatiens, da noch nicht da ist. Erste Station: Ungarn. Eine Folkloregruppe, allgemeines Händeschütteln, es wird Schnaps gereicht, Fotos machen, weiter. Vorbei an Tschechien, nächster Halt Bulgarien. Hier Musik vom Band, dafür Volkstanz. Händeschütteln, Fotos, gute Wünsche und zurück auf Start, Plenković ist jetzt da.

    So geht es weiter, von Land zu Land, zu Fuß und mit Shuttlebussen. Jemand ruft „Where is the Prime Minister?“ Dann scheuchen Sicherheitsleute und Polizei die Gruppe schon wieder weiter. Irgendwann pflanzt Klöckner einen Buchensetzling in ein vorbereitetes Beet und tritt die Erde mit ihrem Stöckelschuh fest. Die Bilder stimmen.

    Die Erlöse der Bauern sind im letzten Jahr um 20 Prozent eingebrochen

    Mehr Geld und neue Technik, dass dies reicht, um die Probleme zu lösen, glauben aber nicht alle. Im kleineren Saal des Pressezentrums präsentieren die im „European Milk Board“ zusammengeschlossenen Milcherzeuger ihre Sicht auf die Probleme der Bauern und mögliche Lösungen. Johannes Pfaller ist einer von ihnen. Auf dem Hof des 38-Jährigen im mittelfränkischen Landkreis Roth stehen 130 Milchkühe. Pfaller ist auch im Bundesverband der Deutschen Milchviehhalter aktiv und sagt, dass die Erlöse der Bauern allein im letzten Jahr um 20 Prozent eingebrochen seien. Die Milchproduktion sei seit Jahren nicht mehr kostendeckend, obwohl man immer genau gemacht habe, was die Politik wollte.

    „Die Gesellschaft hat uns längst eine Tür geöffnet. Wir müssen nur durchgehen“, sagt Pfaller. Deswegen hält er die Fokussierung der Bauernproteste auf die Gesellschaft für problematisch. „Entscheidend für uns als Landwirte ist die Frage: Welche Position habe ich auf dem Agrarmarkt?“, sagt Pfaller, dann holt ihn eine Kollegin ab, weiter, nächster Termin, nächstes Gespräch. Zumindest da sind sich alle einig: Verbraucher, Verbände, Politiker und Landwirte – zur Zukunft gehört, dass man mehr erklärt und mehr miteinander spricht.

    Lesen Sie dazu auch: Wie Söder die wütenden Bauern wieder für sich gewinnen will

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