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Großer Zapfenstreich: Wulff trotzt "Schande"-Rufen und Vuvuzelas

Großer Zapfenstreich

Wulff trotzt "Schande"-Rufen und Vuvuzelas

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    Ex-Bundespräsident Christian Wulff (M) beim Zapfenstreich. Foto: Hannibal dpa
    Ex-Bundespräsident Christian Wulff (M) beim Zapfenstreich. Foto: Hannibal dpa

    Die Gäste waren noch gar nicht da im Schlosspark von Bellevue, und auch das Musikkorps der Bundeswehr noch nicht, aber die Trillerpfeifen und Tröten und Vuvuzelas waren schon aktiv. Als dann zum Auftakt des Großen Zapfenstreichs für Christian Wulff der erste Marsch ertönte, da kämpften

    Zapfenstreich für Christian Wulff

    Die Bundespräsidenten der BRD

    Theodor Heuss (FDP): 1949 - 1959 Er war der erste Bundespräsident der BRD. "Papa Heuss", wie ihn der Volksmund liebevoll nannte, hat das Ansehen Deutschlands im Ausland maßgeblich verbessert. Der einstige FDP-Vorsitzende konnte viele seiner demokratischen Ideale im Grundgesetz verankern.

    Heinrich Lübke (CDU): 1959 - 1969 Seine Nominierung beruhte darauf, dass sich Konrad Adenauer, der eigentlich für das Amt vorgesehen war, zurückgezogen hatte. Die Presse hat ihn vielfach wegen seiner rhetorischen Ausrutscher verspottet. Er hat das Amt vorzeitig niedergelegt, als seine angebliche Nazi-Vergangenheit publik wurde.

    Gustav Heinemann (SPD): 1969 - 1974 Er verstand sich selbst als "Bürgerpräsident" und gab sich volksnah. Ursprünglich gehörte er der CDU an. Heinemann verließ die Christdemokraten, weil sich die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik nicht mit seinen moralischen Überzeugungen verinbaren ließ.

    Walter Scheel (FDP): 1974 - 1979 Der ehemalige Außenminister blieb nur für eine Amtszeit Bundespräsident. Im Rahmen einer Fernsehshow gab er, bevor er sein Amt antrat, eine eigene Interpretation des Volksliedes "Hoch auf dem gelben Wagen" zum Besten. Seine politischen Ambitionen vereitelte der damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt.

    Karl Carstens (CDU): 1979 – 1984 Charakteristisch für den Konservativen aus Norddeutschland war seine ausgeprägte Wanderleidenschaft. Seine Mitgliedschaft bei der NSDAP während der Nazi-Herrschaft hat ihm heftige Kritik eingetragen.

    Richard von Weizsäcker (CDU): 1984 - 1994 Der ehemalige Bürgermeister von Berlin hat vor allem durch seine Reden Akzente gesetzt. Er machte aus dem 8. Mai, dem "Tag der Niederlage", kurzerhand den "Tag der Befreiung". Als "Gewissen der Nation" erinnerte er an die Schuld des deutschen Volkes und kritisierte scharf den Parteienstaat.

    Roman Herzog (CDU): 1994 - 1999 Herzog war vor seiner Amtzeit Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Mit seiner berühmten Berliner "Ruck-Rede" versuchte er 1997, das Volk aus seiner Passivität zu befreien. Herzog hat sich sehr für den interkulturellen Dialog eingesetzt.

    Johannes Rau (SPD): 1999 - 2004 Er bemühte sich um die Integration ausländischer Mitbürger und setzte auf das Motto "Versöhnen statt spalten". Seine Bibelfestigkeit trug ihm den Spitznamen "Bruder Johannes" ein. Vor dem israelischen Parlament bat er um Verzeihung für den Holocaust.

    Horst Köhler (CDU): 2004 - 2010 Er war der erste Bundespräsident, der nicht zum politischen Establishment zählte. Köhler kritisierte die internationalen Finanzmärkte und äußerte sich vielfach zu gesellschaftspolitischen Themen. Als er öffentlich eine Notwendigkeit militärischer Einsätze in besonderen Fällen betonte, wurde er heftig kritisiert und trat anschließend von seinem Amt zurück.

    Christian Wulff (CDU): 2010 - 2012 Als er sein Amt als Nachfolger von Horts Köhler antrat, war er mit 51 Jahren der jüngste Bundespräsident in der Geschichte der BRD. Doch dann begann das Schlamassel. Von der Inanspruchnahme eines günstigen Privatkredits über kostenlose Urlaube bei Unternehmern bis zur staatlichen Mitfinanzierung einer umstrittenen Lobby-Veranstaltung: Christian Wulff sah sich über Monate hinweg mit vielen Vorwürfen konfrontiert. Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragte am 16. Februar 2012 beim Bundestag die Aufhebung der Immunität Wulffs, um strafrechtliche Ermittlungen einleiten zu können. Einen Tag später erklärte Wulff seinen Rücktritt.

    Joachim Gauck (Parteilos): 2012-2017 Joachim Gauck wurde 1940 in Rostock geboren. Nach dem Abitur studierte er Theologie. Von 1965 bis 1990 stand er im Dienst der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und arbeitete viele Jahre als Pastor. Am 18. März 2012 wählte die Bundesversammlung Joachim Gauck zum elften Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland.

    Mit ernstem Gesicht, vielleicht ein bisschen gerührt, verfolgte der Bundespräsident a.D. die Zeremonie, die er sich so sehr gewünscht hatte. In der ersten Reihe der Zuschauer Wulffs Frau Bettina, Kanzlerin Angela Merkel und der große Teil des Kabinetts. Fast ein bisschen verloren wirkten die knapp 200 Gäste auf dem großen Rasen, viele von ihnen Mitarbeiter des Präsidialamtes. Am Ende schienen manche doch auch genervt von den Protestgeräuschen. Die "Pfui"- und "Schande"-Rufe waren einfach nicht zu überhören.

    Zumindest vor dem Zapfenstreich, im Inneren des Schlosses, hatte es aber doch einen würdigen Abschied gegeben. Falls es Christian Wulff gelockt haben sollte, in seiner kurzen Rede zurückzuschlagen gegen die, die ihn seit Monaten mit Häme und Kritik überschütten, dann hat er der Versuchung widerstanden. Sogar ein Hauch von Humor war zu spüren, als der jüngste Ex-Bundespräsident der Republik den Dichter Wilhelm Busch zitierte - mit dem berühmten Satz: "Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt." Eigentlich habe er sich so einen Abschied ja für 2015 vorgestellt, aber erstens...

    Trompeten vs. Vuvuzelas

    Enttäuscht wurden auch die, die ein Wort zum umstrittenen Ehrensold und zu den Pensionsansprüchen des 52-Jährigen erwartet hatten. Dazu schwieg sich Wulff in seiner kurzen Ansprache aus. Also auch kein Verzicht auf die 199 000 Euro im Jahr, die ihm viele nicht gönnen. Aber immerhin: "Ich gehe mit dem Gefühl der Neugier und der Vorfreude auf das, was kommt."

    Das Zeremoniell des Großen Zapfenstreichs ist Takt für Takt präzise festgelegt. Oberstleutnant Volker Wörrlein, Chef des Stabsmusikkorps, hat den Ablauf schon oft exerziert. Und die Männer und Frauen der Bundeswehr ließen sich auch nicht durch Protestgeheul aus dem Konzept bringen. Zunächst tritt die "Perlenkette" an, die Reihe der Fackelträger. Dann erklingt der "Yorksche Marsch". Die Kommandos sind eindeutig. "Stillgestanden",  "Augen geradeaus", "Rührt Euch" und schließlich "Helm ab zum Gebet".

    Auf den Ex-Bundespräsidenten Wulff folgt wohl Gauck

    Die Serenade umfasst vier Musikstücke: Der "Alexandermarsch" von Andreas Leonhardt ist der Marsch der 1. Panzerdivision in Hannover. "Over the rainbow" ist durch Judy Garland bekannt geworden. Jüngere kennen das Stück womöglich nur in der anrührenden Version des Hawaiianers Israel Kamakawiwo'ole. Dann "Da berühren sich Himmel und Erde" von Christoph Lehmann und die fast unvermeidliche Ode "An die Freude" von Ludwig van Beethoven.

    Es waren nicht viele, die dem Bundespräsidenten a.D. in diesen Tagen Respekt erwiesen. Bundesratspräsident Horst Seehofer tat es am Donnerstagabend auf eine Weise, die Wulff gefallen haben dürfte. "Wichtig war Ihnen der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft - zwischen Arm und Reich, Alt und Jung, Behinderten und Nichtbehinderten, Ost und West, Einheimischen und Zugewanderten."

    Wulffs Einsatz für Integration

    Chronologie der Affäre Wulff

    25. Oktober 2008: Christian Wulff, damals Ministerpräsident von Niedersachsen, bekommt von der Unternehmergattin Edith Geerkens einen Privatkredit über 500.000 Euro zum Kauf eines Hauses.

    18. Februar 2010: Wulff antwortet auf eine mündliche Anfrage im niedersächsischen Landtag, dass es zwischen ihm und dem Unternehmer Egon Geerkens in den vergangenen zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen gegeben habe.

    12. Dezember 2011: Wulff versucht, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu erreichen, um einen Bericht zur Finanzierung seines Privathauses zu verhindern oder zu verschieben. Auf der Mailbox droht er "Krieg" mit Springer an, falls die Geschichte erscheint.

    13. Dezember: Die "Bild"-Zeitung berichtet erstmals über Wulffs Hauskauf-Finanzierung.

    14. Dezember 2011: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht Wulff ihr Vertrauen aus.

    15. Dezember 2011: Der Bundespräsident bricht sein Schweigen: "Ich erkenne an, dass hier ein falscher Eindruck entstehen konnte. Ich bedauere das", heißt es in einer Mitteilung. In der Sache habe er nichts zu verbergen.

    19. Dezember 2011: Wulffs Anwalt legt Unterlagen zum Kredit und eine Liste mit Urlauben vor, die sein Mandant als Regierungschef bei befreundeten Unternehmern verbracht hat. Zudem wird bekannt, dass der Unternehmer Carsten Maschmeyer 2007 im niedersächsischen Landtagswahlkampf eine Anzeigenkampagne für ein Interview-Buch mit Wulff bezahlt hat.

    20. Dezember 2011: Wulffs Anwalt betont, sein Mandant habe von den Zahlungen nichts gewusst.

    22. Dezember: Der Bundespräsident entschuldigt sich öffentlich für die entstandenen Irritationen. Zugleich entlässt er seinen Sprecher Olaf Glaeseker.

    2. Januar 2012: Bei der Staatsanwaltschaft in Hannover gehen elf weitere Strafanzeigen gegen Wulff ein. Die Zahl der Strafanzeigen gegen Wulff liegt nun bei insgesamt 20.

    4. Januar 2012: Wulff gibt ARD und ZDF ein Interview, in dem er den Anruf bei Diekmann als «schweren Fehler» bezeichnet und volle Transparenz bei allen Fragen ankündigt. Am Folgetag veröffentlicht sein Anwalt aber nur eine zusammenfassende Stellungnahme.

    19. Januar 2012: Wegen Korruptionsverdachts lässt die Staatsanwaltschaft Haus und Büros von Wulffs entlassenem Sprecher Olaf Glaeseker durchsuchen. Die Fahnder verschaffen sich auch Zugang zu Räumlichkeiten des Eventmanagers Manfred Schmidt, der zu Wulffs Zeit in Niedersachsen enge Kontakte zur Staatskanzlei in Hannover gehabt haben soll.

    16. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben, um gegen ihn ermitteln zu können.

    17. Februar 2012: Christian Wulff tritt zurück.

    18. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen gegen Wulff wegen des Verdachts der Vorteilsnahme, bzw. Vorteilsgewährung auf.

    29. Februar 2012: Das Bundespräsidialamt teilt mit, dass Christian Wulff den Ehrensold bekomme - jährlich rund 200.000 Euro bis an sein Lebensende.

    9. März 2012: Wulff wird mit dem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr in Berlin verabschiedet. Die Feier wird von Protest begleitet.

    9. Oktober 2012: Die Flitterwochen des damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff und dessen Frau Bettina im italienischen Haus eines Versicherungsmanagers rechtfertigen keine Ermittlungen wegen Vorteilsnahme im Amt. Das teilt die Staatsanwaltschaft Hannover mit.

    9. April 2013: Wulff lehnt ein Angebot der Staatsanwaltschaft ab, die Korruptionsermittlungen gegen Zahlung von 20 000 Euro einzustellen.

    12. April 2013: Die Staatsanwaltschaft Hannover erhebt gegen Wulff Anklage. Auch der Filmmanager David Groenewold wird angeklagt.

    14. November 2013: Der Prozess gegen Wulff wegen Vorteilsnahme beginnt. Es geht um rund 700 Euro, die Groenewold für Wulff gezahlt haben soll - angeblich, damit dieser sich im Gegenzug für ein Filmprojekt Groenewolds engagiert.

    9. Dezember: Der Prozess gegen Wulffs ehemaligen Pressesprecher, Olaf Glaeseker, beginnt ebenfalls in Hannover. Glaeseker geht auf Distanz zu seinem ehemaligen Chef.

    19. Dezember: Der Richter Frank Rosenow regt an, den Wulff-Prozess im Januar einzustellen. Der Grund: Mangelnde strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe. Wulff selbst ist aber gegen die Einstellung des Verfahrens.

    27. Februar 2014: Christian Wulff wird in seinem Korruptionsprozess freigesprochen und damit vom Vorwurf der Vorteilsannahme entlastet. (dpa)

    Auch Kenan Kolat, der Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, freute sich, beim Zapfenstreich dabei zu sein. Und er würdigte Wulffs Eintreten für Integration und religiöse Toleranz.

    Viel war zuvor von Peinlichkeit die Rede, die Wulff dem Land mit einem Verzicht auf den Zapfenstreich hätte ersparen können. Genüsslich wurden die Absagen aufgezählt - auch von Menschen, die wohl gar nicht eingeladen waren. Oder gerne abgesagt hätten, wenn sie eingeladen worden wären. Peinlich fanden manche auch die fortgesetzte Debatte über Wulffs Ehrensold und darüber, ob ihm der festliche Abschied überhaupt zusteht. Vom letzten Akt einer "Hinrichtung" wurde gesprochen.

    Mitleid mit dem nächsten vorerst Gescheiterten

    Da regt sich auch Mitleid mit dem Mann, der noch gar nicht richtig angekommen war in seinem Amt, und nach 20 Monaten wieder gehen musste. Wohl unvermeidlich, dass nun jede Liedzeile aus Wulffs Abschiedssongs daraufhin abgeklopft wurde, ob sie für einen Hinweis auf seine Gemütslage taugt, oder zumindest für einen Kalauer. "Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen und neu beginnen, ganz neu" heißt es etwa im Kirchentagslied "Da berühren sich Himmel und Erde". Wie Wulffs persönliche Zukunft aussieht, das weiß wohl noch nicht einmal er selbst. AZ/dpa

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