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Große Mehrheit: Joachim Gauck ist Bundespräsident

Große Mehrheit

Joachim Gauck ist Bundespräsident

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    Joachim Gauck ist neuer Bundespräsident von Deutschland. Das Bild zeigt ihn im Reichstag in Berlin. Gauck wurde mit großer Mehrheit gewählt.
    Joachim Gauck ist neuer Bundespräsident von Deutschland. Das Bild zeigt ihn im Reichstag in Berlin. Gauck wurde mit großer Mehrheit gewählt. Foto: dpa

    Joachim Gauck ist neuer Bundespräsident. Die Bundesversammlung wählte den früheren DDR-Bürgerrechtler am Sonntag mit großer Mehrheit zum Nachfolger von Christian Wulff. Der 72-Jährige erhielt 991 von 1228 gültigen Stimmen, das entspricht einer Zustimmung von gut 80 Prozent. Jedoch versagten Gauck mindestens 103 Delegierte aus dem eigenen Lager die Stimme.

    Für Gaucks Gegenkandidatin Beate Klarsfeld votierten 126 Delegierte. Damit erhielt die als Nazi-Jägerin bekanntgewordene 73-Jährige mindestens drei Stimmen von Vertretern anderer Parteien - die sie unterstützende Linkspartei stellte nur 123 Delegierte. Der Kandidat der rechtsextremen NPD, der revisionistische Historiker Olaf Rose, bekam 3 Stimmen. Insgesamt 108 Delegierte der Bundesversammlung enthielten sich.

    Zustimmung von 80 Prozent für Gauck

    Als Bundestagspräsident Norbert Lammert das Wahlergebnis verkündete, brandete Beifall in der Bundesversammlung auf. Gauck erhob sich unmittelbar von seinem Platz und nahm die Wahl an. "Was für ein schöner Sonntag", sagte er.

    Zitate von Joachim Gauck

    "Unsäglich albern" (16.10. 2011, zur Finanzmarkt-Debatte)

    "Das wird schnell verebben." (16.10.2011, zur internationalen Protestbewegung "Occupy")

    "Wir träumten vom Paradies und wachten auf in Nordrhein-Westfalen." (24.06.2010, über die Ernüchterung vieler Ostdeutscher über das Leben im wiedervereinigten Deutschland)

    "Ich würde in der Tradition all derjenigen Bundespräsidenten stehen, die sich gehütet haben, die Politik der Bundesregierungen zu zensieren. Mancher wünscht sich ja einen Bundespräsidenten wie einen Kaiser, als letzte Instanz über allem - das darf er nicht sein." (25.6.2010, bei seinem ersten Anlauf zur Präsidentschaft im Fernsehsender n-tv über sein Amtsverständnis.)

    "Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten." (3.10.2010 bei einer Feierstunde im Berliner Abgeordnetenhaus zum Einheits-Jubiläum)

    "Denn als Bürger der DDR haben ich und viele andere Menschen im ganzen Osten Europas Ohnmacht erlebt und trotz Ohnmacht Ähnliches geschafft: Es gibt ein wahres Leben im falschen.". (10.10.2010 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den israelischen Schriftsteller David Grossmann)

    «Verantwortung ist dem Untertan meistens fremd. Was er am besten kann, ist Angst haben.» (1999 über Furcht vor der Freiheit bei Menschen in Ostdeutschland)

    "Wir sind nicht dazu da, vor dem Verbrechen zu kapitulieren und vor dem Unheil zu flüchten." (29.11.2010, vor der Entgegennahme des Geschwister-Scholl-Preises)

    „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik.“ (2011 über Thilo Sarrazin und sein Buch über Migrationspolitik.

    «Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten.» (3.10.2010 bei einer Feierstunde zum Einheits-Jubiläum)

    "Wir dürfen uns von den Fanatikern und Mördern nicht unser Lebensprinzip diktieren lassen." (27.7.2011, bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten aus Sicherheitsaspekten als Reaktion auf Terror)

    "Geben Sie mir einfach noch ein wenig Zeit." (17.2.2012, auf die Frage eines Reporters, ob er bereit für eine Kandidatur als Bundespräsident sei)

    Mit der Annahme der Wahl ist Gauck als Staatsoberhaupt offiziell im Amt. Voraussichtlich schon an diesem Montag nimmt er die Amtsgeschäfte auf. Die Vereidigung des elften Präsidenten vor Bundestag und Bundesrat ist für kommenden Freitag vorgesehen.

    In einer kurzen Ansprache versicherte Gauck, sein neues Amt mit allen Kräften und mit ganzem Herzen ausfüllen zu wollen. "Ich werde mit all meinen Kräften und meinem Herzen "Ja" sagen zu der Verantwortung, die Sie mir heute gegeben haben." Gleichzeitig räumte er ein, "ganz sicher nicht alle Erwartungen erfüllen zu können", die in den kommenden fünf Jahren an ihn gerichtet würden. Er wolle sich jedoch nun auf neue Themen, Probleme und Personen einstellen.

    Einmalige Fünf-Parteien-Koalition aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen

    Gauck erinnerte an seine erste freie Wahl zur DDR-Volkskammer am 18. März vor 22 Jahren. "In jenem Moment war da in mir neben der Freude ein sicheres Wissen: Ich werde niemals eine Wahl versäumen." Auch als Präsident könne er sich die Welt und das Land nicht denken ohne Freiheit und Verantwortung. Er nehme diesen Auftrag mit Dankbarkeit an.

    Das ist Joachim Gauck

    Bundespräsident Joachim Gauck hat ein bewegtes Leben hinter sich. Seine wichtigsten Stationen.

    Gauck kommt 1940 in Rostock zur Welt. Sein Vater ist Kapitän, seine Mutter gelernte Bürofachfrau. Sein Vater wird von den Russen wegen angeblicher Sabotage in einem Lager in Sibirien verschleppt, als Gauck sechs Jahre alt ist. Er kommt erst viele Jahre später wieder frei.

    Nach dem Abitur studiert Joachim Gauck Theologie in Rostock und arbeitet dann ab 1967 als Pastor in Lüssow. Sein eigentlicher Berufswunsch Journalist zu werden, lässt sich in der DDR nicht erfüllen.

    Ab 1974 wird Joachim Gauck wegen seiner kritischen Predigten von der Stasi beobachtet.

    Als sich in der DDR Ende der achtziger Jahre Widerstandsgruppen formieren, wird Gauck Mitbegründer und Sprecher des „Neuen Forums“. Er leitet unter anderem Gottesdienste und führt Großdemonstrationen an.

    Das Ende des DDR-Regimes und die Wendezeit nennt Gauck die "prägende Zeit meines Lebens".

    1990 leitet er als Abgeordneter der frei gewählten DDR-Volkskammer den Sonderausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit.

    Am Tag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 übernimmt Joachim Gauck die nach ihm benannte Stasi-Unterlagen-Behörde. Bis zum Jahr 2000, als er die Leitung an Marianne Birthler abgiebt, avanciert Gauck zum bekanntesten Gesicht der DDR-Demokratiebewegung.

    Nach dem Mauerfall trennt sich der Theologe von seiner Frau und findet eine neue Lebenspartnerin aus dem Westen - eine Journalistin aus Nürnberg. Bis heute sind beide nicht miteinander verheiratet.

    2003 wird Joachim Gauck aus den Reihen der FDP erstmals als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten ins Spiel gebracht.

    2005 wird Joachim Gauck, damals 65 Jahre alt, Ehrendoktor der Universität Augsburg.

    Der Vater von vier Kindern und mehrfache Großvater engagiert sich auch im Verein „Gegen Vergessen für Demokratie“. Als Vorsitzender kümmert er sich zusammen mit vielen Mitstreitern um die Aufarbeitung der Geschichte der Diktaturen in Deutschland.

    Im Sommer 2010 wird er von SPD und Grünen zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert. Dass er bei der durch Horst Köhlers Rücktritt nötig gewordenen Wahl knapp an Wulff scheitert, ändert nichts an seiner Beliebtheit.

    2011 sorgt Gauck für Schlagzeilen, als er Thilo Sarrazin für sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ Mut attestiert. „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik“, sagte Gauck, wobei er sich den den Inhalten des Buches distanzierte.

    Nach dem Rücktritt von Christian Wulff wird Gauck von Union, FDP, Grünen und SPD zum gemeinsamen Kandidaten für die Wahl eines neuen Bundespräsidenten nominiert.

    Am 18. März 2012 wählt ihn die Bundesversammlung mit großer Mehrheit zum Bundespräsidenten, am 23. März wird er vereidigt.

    Der parteilose Theologe wurde von einer bislang einmaligen Fünf-Parteien-Koalition aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen unterstützt, die in der Bundesversammlung insgesamt 1100 Mandate hatte. Wegen sechs Krankheitsfällen waren es faktisch aber nur 1094 Delegierte. Außerdem hatten die zehn Wahlleute der Freien Wähler Gauck ihre Unterstützung zugesagt.

    Bundestagspräsident Lammert schlug zum Auftakt der Bundesversammlung vor, der Präsidenten künftig am 18. März zu wählen oder zu vereidigen - dem Datum der Bürgerrevolution 1848 und der ersten freien DDR-Volkskammerwahl 1990. Bisher wird üblicherweise am 23. Mai gewählt, dem Verfassungstag. Lammert verband diesen Vorschlag mit Kritik an den vorzeitigen Rücktritten zweier Bundespräsidenten.

    Joachim Gauck - Ex-DDR-Bürgerrechtler

    Nach dem Grundgesetz werde der Bundespräsident für fünf Jahre gewählt - dies solle auch so bleiben, mahnte er. Es gelte, "die politische Realität wieder näher an die Verfassungsnorm zu bringen". Zugleich rief Lammert dazu auf, das Vertrauen in die höchsten Staatsämter wieder zu stärken. "Demokratie braucht Vertrauen. Sie basiert vor allem auch auf dem Vertrauen in ihre Repräsentanten." Dies gelte besonders für den Bundespräsidenten. "Mit keinem Amt verbinden sich mehr Erwartungen auf Vertrauen und Autorität". Ständiges Misstrauen mache "die Wahrnehmung öffentlicher Ämter unmöglich", betonte Lammert.

    Zum Rücktritt von Bundespräsident Wulff nach nur 20 Monaten im Amt sagte Lammert, die Geschichte dieser kurzen Präsidentschaft werde zu einem späteren Zeitpunkt geschrieben werden. Bei der Bewertung dieses Schrittes gehe es auch um das Verhältnis von Amt und Person, die Erwartungen an Amtsträger, aber auch die Rolle der öffentlichen und veröffentlichten Meinung.

    "Es gibt durchaus Anlass für selbstkritische Betrachtungen, nicht nur an eine Adresse", sagte Lammert. "Manches war weder notwendig noch angemessen, sondern würdelos. Von der zunehmenden Enthemmung im Internet im Schutze einer tapfer verteidigten Anonymität gar nicht zu reden." Mit dieser Äußerung löste Lammert im Internet einen Sturm der Empörung aus. Martin Delius, der als Wahlmann für die Piraten an der Bundesversammlung teilnimmt, schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: "Das ist schon lustiger als gedacht."

    Gauck ist mit 72 Jahren der älteste aller Bundespräsidenten

    Gauck ist mit 72 Jahren der älteste aller Bundespräsidenten und der erste Ostdeutsche im höchsten Staatsamt. Er trat zum zweiten Mal an; bereits im Juni 2010 war er als Kandidat von SPD und Grünen gegen den CDU-Bewerber Wulff ins Rennen gegangen, gegen den er im dritten Wahlgang knapp unterlag.

    Nachdem Wulff am 17. Februar nach Beginn staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen wegen Vorteilsnahme zurückgetreten war, verständigten sich Union, FDP, SPD und Grüne auf Gauck als Nachfolger. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Gauck zunächst abgelehnt, sah sich durch die Festlegung des Koalitionspartners FDP aber zu einem Kurswechsel gezwungen.

    Gauck arbeitete bis zur Wende als evangelischer Pfarrer in Rostock. Bundesweit bekannt wurde er als erster Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, die er von 1990 bis zum Jahr 2000 leitete und prägte. AZ/dpa

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