Noch haben Union und SPD nicht über eine Neuauflage der Großen Koalition gesprochen, da bahnt sich bereits der erste Hauskrach an. Eine radikale Reform der Krankenversicherung, wie sie die Sozialdemokraten fordern, ist mit den C-Parteien nicht zu machen. Für eine sogenannte Bürgerversicherung, in die auch Beamte, Selbstständige und gut verdienende Angestellte einzahlen, „wären massive Eingriffe in bestehende private Versicherungsverhältnisse und in die Tätigkeit der privaten Versicherer nötig“, warnt der CSU-Gesundheitsexperte Georg Nüßlein gegenüber unserer Redaktion. Der Weg zu Verbesserungen im Gesundheitssystem führe nicht über eine „sozialistische Einheitsversicherung.“
Auch die Ärzte lehnen eine solche Reform ab. Die Folgen eines Einheitssystems nach britischem oder holländischem Vorbild wären Rationierung, längere Wartezeiten und eine Begrenzung der Leistungen, betonte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery. Nicht von ungefähr gehöre das deutsche Gesundheitssystem in der gegenwärtigen Form mit freier Arztwahl und einer Medizin auf hohem Niveau zu den besten der Welt.
Nüßlein: Zwei-Klassen-Medizin würde erst herbeigeführt
Zuvor hatte der SPD-Experte Karl Lauterbach die Kassenreform gewissermaßen zur Bedingung für eine Koalition gemacht: „Wir wollen eine Bürgerversicherung ohne Zwei-Klassen-Medizin.“ Sollte in diesen Gerechtigkeitsfragen keine Einigkeit erzielt werden, gebe es „nicht den Hauch einer Chance, dass die SPD-Mitglieder einem Koalitionsvertrag zustimmen würden“. Auch in einem Forderungskatalog des einflussreichen nordrhein-westfälischen Landesverbandes für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen gehört die Bürgerversicherung zu den zentralen Forderungen.
Während die SPD mit ihr die Trennung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung aufheben und das System auf eine breitere finanzielle Basis stellen will, warnt CSU-Mann Nüßlein vor einem politischen Trugschluss: „Wenn künftig alle Versicherten Zwangsmitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung wären, würden sich die Reichen zusätzliche Gesundheitsleistungen direkt kaufen oder über teure Zusatzversicherungen finanzieren“ Die Zwei-Klassen-Medizin, so Nüßlein weiter, „würde damit gerade herbeigeführt und nicht beseitigt.“ Außerdem wären enorme Übergangsprobleme mit einem jahrzehntelangen Nebeneinander von gesetzlichen und privaten Versicherungen vorprogrammiert.
Unterm Strich, warnt auch der Verband der privaten Kassen, würde die Gesundheitsversorgung für alle Bürger schlechter. Die gesetzlichen Krankenversicherer sind in dieser Frage gespalten. Die Arbeitgebervertreter im Verwaltungsrat lehnen eine Bürgerversicherung ab, die Arbeitnehmervertreter sind dafür.
Das wollen die Parteien: Bei den Krankenkassen will die Union am heutigen Prinzip nichts ändern. Das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Versicherung mit dem Instrument der Zusatzbeiträge soll bestehen bleiben. Die SPD dagegen will eine Bürgerversicherung, in die auch Beamte, Selbstständige und Freiberufler eintreten. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen auch wieder gleiche Beiträge zahlen und nicht - wie heute - die Arbeitnehmer über die Zusatzbeiträge mehr. Die Arzthonorare sollen angeglichen werden. Bisher verdienen Ärzte an Privatpatienten deutlich mehr.
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