Als Boris Johnson vor einer gefühlten Ewigkeit, die tatsächlich aber nur exakt ein Kalenderjahr dauerte, das Amt des Premierministers übernahm, trat er mit zwei Zielen an. Er werde die Briten aus der EU führen. Und das Königreich zum „großartigsten Ort der Erde“ machen. So versprach es der Chef-Optimist der Nation gewohnt unbescheiden – und heute?
Die Sache mit dem Brexit hat der konservative Regierungschef umgesetzt, am 31. Januar verließ Großbritannien offiziell die EU-Staatengemeinschaft. Zwar streiten Brüssel und London fünf Monate vor dem Ende der Übergangsperiode immer noch erbittert um ein Freihandelsabkommen, aber Johnson steht nicht im Ruf, sich mit Details, noch dazu mit unerfreulichen, aufzuhalten. Vielmehr stilisiert sich der 56-Jährige gerne als Macher und Anheizer, Kritiker bezeichnen ihn dagegen eher als Unruhestifter und Clown, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Bei Alexander Boris de Pfeffel Johnson spalten sich die Meinungen – bis heute, auch wenn er sich eigentlich vorgenommen hatte, die tief zerstrittene Gesellschaft zu einen.
Das Ziel Brexit hat Boris Johnson erreicht, der Umgang mit Corona sorgt für Kritik
Bei seinem zweiten großen Vorhaben – Stichwort bestes Land der Welt – sieht es weniger gut aus. Das Königreich gehört mit fast 46.000 Toten zu den am schwersten von der Coronavirus-Pandemie betroffenen Staaten der Welt. Die gebeutelte Wirtschaft gewinnt nur langsam wieder Fahrt. Beobachter machen dafür Johnson mitverantwortlich, der zu Beginn der Krise noch demonstrativ in Kliniken Hände schüttelte, verwirrende Botschaften aussendete und mit dem Lockdown nach Wissenschaftsmeinung zu lange zögerte. Es erwischte Johnson sogar selbst, er lag auf der Intensivstation.
Doch während Kritiker das Vorgehen der Regierung anprangern und auf das durch die Sparpolitik der Tories ausgezehrte Gesundheitssystem zeigen, sei es Johnson gelungen, sich von der Etatdiziplin des vergangenen Jahrzehnts zu distanzieren, sagt Anand Menon, Politikprofessor am King’s College. „Er hat es so aussehen lassen, als wäre dies eine komplett neue Regierung.“ Nach Ansicht des Direktors der Denkfabrik „UK in a Changing Europe“ ist es jedoch aufgrund von Corona fast unmöglich, die politische Leistung des Premiers zu bewerten: Er genieße „noch Schonzeit“, habe aber dank Brexit ein „ziemlich ordentliches“ erstes Jahr vorzuweisen.
Der jüngsten Umfrage des Instituts Opinium zufolge stehen 44 Prozent der Briten hinter den Konservativen. Die Tories führen damit acht Prozentpunkte vor der oppositionellen Labour-Partei. Johnsons „Flitterwochen“ dürften sich erst ab Herbst dem Ende zuneigen, so Menon. Dann, wenn die Arbeitslosenzahlen steigen; wenn harte wie unpopuläre Entscheidungen nötig werden, um die strauchelnde Wirtschaft zu stärken; wenn die Hilfsprogramme auslaufen. „Die Folgen von Covid und Brexit sind bislang für viele Menschen noch nicht spürbar“, sagt Menon. Das werde sich ändern.
Wie Boris Johnson das Kabinett "verbrexitisiert" hat
Am 24. Juli 2019 vollzogen Theresa May und Boris Johnson nach etlichen Krisen und Abstimmungsdramen im Parlament den Wechsel an der Spitze des Königreichs. Johnsons Lebenstraum hatte sich erfüllt. Für den Einzug in 10 Downing Street frisierte er sich sogar seine blonden Haare etwas weniger wirr hin und speckte ab. Auf politischer Ebene schien es undenkbar, dass die Lage auf der Insel noch chaotischer kommen könnte. Doch Johnson schaffte das Unmögliche.
Nicht nur, dass er das Kabinett „verbrexitisierte“, indem er die Top-Jobs mit loyalsten Europaskeptikern besetzte. Die Streitereien im Parlament gingen weiter, die Demos vor dem Westminster-Palast wurden zum Dauerzustand, die Rebellionen der Abgeordneten eskalierten. Damit nicht genug: Johnson suspendierte das Parlament, was den Supreme Court, das höchste Gericht, auf den Plan rief, das den Zwangsurlaub der Abgeordneten für illegal erklärte. Es war ein politischer Schlag für Johnson. Einerseits. Andererseits demonstrierte das beispiellose Urteil, dass Johnson zwar nicht über dem Recht, aber doch über den Dingen steht. Denn seiner Popularität tat all das keinen Abbruch.
Boris Johnson ist der Ober-Cheerleader der EU-Skeptiker
Bei der vorgezogenen Neuwahl im Dezember bescherte Johnson seiner Partei eine Mehrheit, wie sie zuletzt die Tory-Legende Margaret Thatcher auf dem Zenit ihres Erfolgs erreicht hat. Gleichwohl hätte der Polit-Showmaster nie gewonnen ohne den Brexit. Und das Brexit-Votum wäre ohne den Ober-Cheerleader der EU-skeptischen Hardliner nie passiert. So schloss sich der Kreis. In der Westminster-Blase stand längst fest, dass der Austritt aus der EU Johnsons Amtszeit definieren würde. Doch ein Jahr ist eine Ewigkeit in der britischen Politik, nicht nur gefühlt.
Großbritannien rätselt: Und wie viele Kinder hat Johnson?
Gleichwohl heben Spötter weitere Errungenschaften in Johnsons erstem Amtsjahr hervor, wie in der Wochenzeitung New Statesman: Johnson, der zweimal geschieden ist, habe sich mit seiner 32-jährigen Lebensgefährtin Carrie Symonds verlobt und wurde Ende April Vater eines Sohnes. Es ist mindestens sein fünftes Kind. Über die genaue Anzahl seiner Sprösslinge lässt Johnson seine Landsleute im Ungewissen.
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