Ein halbes Dutzend Reporter hat sich an diesem grauen Morgen vor dem schicken Backsteinbau versammelt. Sie warten hier im Londoner Zentrum, nur unweit des Buckingham-Palasts – auch wenn sie nicht wirklich wissen, worauf. Denn die Journalisten haben an der Rezeption der Adresse 9-11 Grosvenor Gardens alle dieselbe Antwort erhalten: Heute wird kein Mitarbeiter der Firma Orbis Intelligence Limited bei der Arbeit erscheinen. Auch und vor allem nicht Christopher Steele. Der Direktor des Unternehmens, das für seine Kunden Informationen sammelt, ist, angeblich aus Angst um seine Sicherheit, abgetaucht.
Trump: Sexuelle Eskapaden in einem Moskauer Hotel?
Er steht im Fokus der Diskussion um das hoch umstrittene Papier, das schwere Anschuldigungen gegen Donald Trump erhebt. Steele soll der Urheber des nicht verifizierten Dossiers sein, mit dem der künftige Präsident der USA erpressbar sei, wie es darin heißt. Das US-amerikanische Wall Street Journal hat dem anonymen ehemaligen britischen Geheimdienstler einen Namen gegeben. Offenbar hatte das Blatt wochenlang versucht, ein Interview mit Steele zu führen, doch dieser habe stets abgelehnt und ausrichten lassen, das Thema sei „zu heiß“. Immerhin, sollten die in dem Dokument im Detail beschriebenen Vorwürfe über sexuelle Eskapaden des künftigen US-Präsidenten in einem Moskauer Hotel stimmen, hätte der 52-Jährige und sein Team den Auftrag von Trumps Gegnern, die sowohl aus dem republikanischen als auch dem demokratischen Lager stammen sollen, erfüllt. Diese hatten Orbis angeblich schon während des Wahlkampfs damit beauftragt, kompromittierendes Material gegen den Kandidaten zu sammeln. Trump selbst weist den Inhalt des Papiers wütend zurück.
Christopher Steele war zehn Jahre beim britischen Geheimdienst
Steele verließ vor rund zehn Jahren den britischen Geheimdienst MI6, für den er fast zwei Jahrzehnte als Diplomat getarnt in Russland, Paris sowie im Außenministerium in London tätig war. In dieser Zeit hat er sich ein umfangreiches Netzwerk aufgebaut. Und eine Reputation: Die Daily Mail zitiert einen anonym bleibenden Bekannten, nach dem Steele „zuverlässig, äußerst sorgfältig und gut informiert“ sei. Die BBC berichtet, er genieße in Geheimdienstkreisen ein „außerordentlich hohes Ansehen“. Nach seiner Karriere beim MI6 soll er dem FBI dabei geholfen haben, den Korruptionsskandal beim Weltfußballverband Fifa aufzudecken. Ist ihm der Erfolg zu Kopf gesteigen? In der Tageszeitung The Times heißt es unter Berufung auf eine anonyme Quelle, Steele sei „in Wirklichkeit etwas angeberischer“, als man das von einem ehemaligen Auslandsgeheimdienstler erwartet.
Gemeinsam mit Christopher Burrows führte er die Agentur Orbis. Der Co-Eigner wollte kurz nach Bekanntwerden der Identität von Steele weder „bestätigen, noch bestreiten“, dass Orbis das Dossier erstellt habe. Dessen Zusammenfassung kannten Medien und Geheimdienste offenbar bereits seit Monaten, doch aufgrund des unklaren Wahrheitsgehalts wurde das Papier nicht veröffentlicht. Nachbarn des Ex-Agenten erzählte, Steele habe am Mittwochmorgen sein Haus in der südenglischen Grafschaft Surrey in Eile verlassen, nachdem sich abzeichnete, dass sein Name in der Öffentlichkeit auftauchen würde.
Steele, verheiratet und Vater von drei Kindern, fürchte Rache aus Moskau. Seinen Nachbarn soll er laut dem Telegraph gebeten haben, sich um seine Katze zu kümmern, da er „für ein paar Tage“ weg müsse.