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Großbritannien: Schlammschlachten in Westminster: Warum Boris Johnson unter Druck gerät

Großbritannien

Schlammschlachten in Westminster: Warum Boris Johnson unter Druck gerät

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    Premierminister Boris Johnson vor seinem Dienstsitz in der Downing Street: „Sollen sich die Leichen doch zu Tausenden stapeln.“
    Premierminister Boris Johnson vor seinem Dienstsitz in der Downing Street: „Sollen sich die Leichen doch zu Tausenden stapeln.“ Foto: Stefan Rousseau, dpa

    Boris Johnson und seine Verlobte Carrie Symonds haben ihre Vier-Schlafzimmer-Wohnung in 11 Downing Street, gleich neben dem Regierungssitz in Nummer 10, renoviert. Viel Farbe, kunstvolle Muster und Ornamente sowie Designer-Tapeten sind auf den veröffentlichten Bildern aus dem Zuhause des Paars zu sehen.

    Das erklärte Ziel von Symonds war es, die Spuren der ehemaligen Premierministerin Theresa May zu beseitigen und die Wohnung von einem „John-Lewis-Albtraum in einen High-Society-Hafen“ zu verwandeln. Nun muss man wissen, dass das Kaufhaus John Lewis eine Institution in Großbritannien darstellt. Zwar vermisst das Establishment das Luxussegment in dem Einrichtungshaus. Aber vor allem bei Kunden aus der Mittelschicht ist John Lewis beliebt.

    Für Menschen aus der Arbeiterklasse – viele von ihnen gehören seit der letzten Wahl auch zu Johnsons Anhängern – bleiben die Möbel, Accessoires, Bettwäsche und Lampen allerdings unerschwinglich. Umso versnobter erscheint zahlreichen Briten nun die Renovierung. Zu exklusiv der Geschmack des Regierungschefs und seiner Partnerin. Die große Frage aber dreht sich vor allem um die Kosten: Wer hat für die Neugestaltung bezahlt?

    Haben private Spender Boris Johnsons Renovierung übernommen?

    Es wird spekuliert, dass die Rechnung bis zu 200.000 Pfund, etwa 230.000 Euro, teuer gewesen sei, obwohl dem Premier jährlich maximal 30.000 Pfund für Ausbesserungsarbeiten in den privaten Gemächern zur Verfügung stehen. Deshalb hätten private Spender die Kosten übernommen. Das jedenfalls behauptet Johnsons ehemaliger Top-Berater Dominic Cummings in der jüngsten Schlammschlacht in Westminster, die seit Tagen in immer neue Runden geht.

    Der Ex-Regierungsberater Dominic Cummings wehrt sich gegen den indirekt aus der Downing Street lancierten Vorwurf, hinter der Veröffentlichung vertraulicher Textnachrichten von Johnson zu stecken.
    Der Ex-Regierungsberater Dominic Cummings wehrt sich gegen den indirekt aus der Downing Street lancierten Vorwurf, hinter der Veröffentlichung vertraulicher Textnachrichten von Johnson zu stecken. Foto: Yui Mok/PA Wire/dpa

    Cummings behauptet, dass er gegen die Pläne seines Chefs war, die Renovierung heimlich von Privatspendern bezahlen zu lassen. Er habe die Pläne gegenüber Johnson damals „unethisch, töricht, möglicherweise illegal und beinahe sicher ein Bruch der Regeln über die ordnungsgemäße Bekanntmachung über die Verwendung von Spendengeldern“ genannt.

    Das schien Johnson damals nicht zu kümmern. Nun gerät der konservative Regierungschef aber unter massiven Druck. Zwar dementiert er alle Vorwürfe. Aber die Anschuldigungen wiegen schwer. Sie werden nicht nur von der Opposition dankbar ausgeschöpft, sondern ausgerechnet von der sonst Boris Johnson freundlichen konservativen Presse. Das dem Premier einst gewogene Boulevardblatt Daily Mail präsentiert die Affäre in geradezu vernichtenden Schlagzeilen.

    Boris Johnson lehnte einen Lockdown angeblich deutlich ab

    Ist das der Anfang vom Ende seiner Amtszeit, wie einige Kommentatoren bereits mutmaßen? Denn zu der Einrichtungsposse kommt ein politisch möglicherweise brisanterer Skandal, der in der Pandemie besonders aufstößt. Das Königreich zählt ungeachtet der jüngsten Impferfolge mit fast 130.000 Corona-Toten zu den am schwersten von dem Virus betroffenen Ländern der Welt.

    Johnson soll im vergangenen Herbst einen weiteren Lockdown zunächst abgelehnt haben und dabei die Worte gebraucht haben: „Sollen sich die Leichen doch zu Tausenden stapeln.“ Sowohl die BBC als auch der Sender ITV berichten, sie hätten mehrere Quellen für das Zitat. „Völliger Blödsinn“, dementiert Johnson. Der Premier steckt in diesen Tagen im Wahlkampf und zieht durch die Lande. Nächste Woche stehen wichtige Kommunal- und Regionalwahlen an.

    Doch die Attacken vor und hinter den Kulissen reißen nicht ab. Mit Spannung wird erwartet, ob in London der Namen der angeblichen Renovierungsspender durchsickert. Zur gleichen Zeit ziehen Minister durch die Fernsehstudios und verteidigen den Premier: Johnson habe alles selbst bezahlt und werde das Finanzielle zu gegebener Zeit ordentlich deklarieren. Das Problem: Johnson selbst hat seinen Ex-Vertrauten und aktuellen Erzfeind Cummings herausgefordert, den er im Streit vom Hof gejagt hatte.

    Boris Johnson soll Chefredakteure angerufen haben

    So soll der Premier vergangene Woche einige Chefredakteure höchstpersönlich angerufen haben, um ihnen die „geschwätzige Ratte“ – die „chatty rat“ – zu liefern, nach der auf der Insel seit Monaten gesucht wird. Im Fokus steht die Frage, wer die Presse heimlich über den Herbst-Lockdown informiert hatte, bevor die endgültige Entscheidung getroffen war. Damals geriet die Regierung in die Kritik, weil die Bevölkerung neue strikte Maßnahmen aus der Zeitung erfahren musste.

    Cummings wies vergangene Woche seine Rolle in der Geschichte zurück. Vielmehr beschuldigte er Johnson in einem Blogbeitrag, der Premier wolle ihn nun zum Sündenbock abstempeln. Und dann holte Cummings zum großen Gegenschlag aus. Genug Munition hat er. Cummings war nicht nur wie kein Zweiter für Johnsons Aufstieg ins höchste Amt verantwortlich, sondern gilt auch als Architekt des Erfolgs beim Brexit-Referendum. Umso überzeugter geben sich Beobachter in Westminster: Die ganze schmutzige Wäsche ist längst noch nicht gewaschen. Doch Boris Johnson hat weitaus mehr zu verlieren.

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