Nur einen Monat ist es her, dass die britische Premierministerin Theresa May zum letzten Mal Neuwahlen kategorisch ausgeschlossen hat. Sie tat das in schöner Regelmäßigkeit und die Medien fanden es mittlerweile beinahe langweilig, die Wahl-Frage zu stellen.
Schließlich bekamen sie neun Monate lang die gleiche Antwort. Nun die Kehrtwende: Am 8. Juni sollen die Briten über ein neues Parlament abstimmen, kündigte die Regierungschefin gestern völlig überraschend an.
Es war eine weitere politische Sensation, von denen es seit dem Brexit-Votum bereits mehrere auf der Insel gab. „Das Land kommt zusammen, aber Westminster tut das nicht“, begründete May den Schritt und zielte damit auf die zahlreichen Brexit-Gegner im Unter- und Oberhaus, die ihr das politische Leben schwer machen.
Parlamentarische Mehrheit gegen Bruch mit Brüssel
Noch immer ist die Mehrheit der Parlamentarier pro-europäisch eingestellt und viele von ihnen stemmen sich insbesondere gegen Mays eingeschlagenen Weg eines harten Bruchs mit Brüssel.
Die konservative Politikerin will sowohl aus der Zollunion austreten als auch den freien Zugang zum gemeinsamen europäischen Binnenmarkt opfern, um die Einwanderung auf die Insel kontrollieren zu können. Die „Uneinigkeit“ im Parlament mache es schwierig für die Regierung, aus dem Brexit „einen Erfolg zu machen“.
Es drohe Unsicherheit und Instabilität, sagte May vor der berühmten Tür mit der Nummer 10 in der Downing Street. Eigentlich hätte die nächste Parlamentswahl erst 2020 angestanden, also ein Jahr nach der endgültigen Trennung von der EU im März 2019.
May spekuliert auf einen Sieg der Konservativen
Doch May will die Gunst der Stunde nutzen, die Umfragen prophezeien den Konservativen einen klaren Sieg. Schon am heutigen Mittwoch soll im Unterhaus über die Neuwahlen abgestimmt werden. Dafür benötigt die Regierungschefin eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die sie aber erhalten dürfte.
Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, hat den Schritt von May bereits begrüßt, auch wenn seine Zustimmung angesichts des desolaten Zustands der Partei für viele Beobachter unerwartet kam.
Viele sozialdemokratische Abgeordnete äußerten denn auch ihre Sorge, dass die Wahl aufgrund des in der Bevölkerung unpopulären Corbyn „desaströs“ für sie ausgehen könnte. Die Umfragewerte geben ihnen recht.
Wird die Parlamentswahl in sechs Wochen eine Neuauflage des EU-Referendums, wie einige Oppositionspolitiker dies gestern andeuteten? Wohl eher nicht. „Großbritannien verlässt die Europäische Union und es kann kein Zurück geben“, lautete die klare Botschaft von May.
Mögliche Chance für Liberaldemokraten
Doch insbesondere die Liberaldemokraten, die in den vergangenen Monaten die lautstärkste pro-europäische Stimme vertraten, wittern ihre Chance. Die Neuwahl ist „eure Möglichkeit, die Richtung, in die euer Land steuert, zu ändern“, appellierte der Vorsitzende Tim Farron an die EU-Freunde auf der Insel.
Für all jene, die „einen katastrophalen harten Brexit vermeiden und Großbritannien im Binnenmarkt halten“ wollen, sei nun die Möglichkeit gekommen. Bereits eine Stunde nach Mays Ankündigung einer Neuwahl hatten die Liberaldemokraten 1000 Mitglieder mehr.
Nicola Sturgeon gegen Brexit
Die konservative Premierministerin will sich jedoch breite Rückendeckung aus der Bevölkerung für die anstehenden Verhandlungen mit Brüssel holen und ihre Kritiker stellen. Unter ihnen ist auch Nicola Sturgeon, mit der May seit Wochen einen Machtkampf ausficht.
Die Erste Ministerin Schottlands verurteilt den Brexit und fordert eine erneute Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des nördlichen Landesteils.
In Schottland aber, so zeigen Umfragen, lehnt die Mehrheit der Menschen die Eigenständigkeit entschieden ab. May hofft offenbar darauf, dass etliche Schotten sich von der Schottischen Nationalpartei ab- und den Tories zuwenden.
Damit gewänne die Premierministerin im Streit mit Sturgeon die Oberhand. Die dagegen sagte gestern, die Wähler hätten nun eine weitere Möglichkeit, die engstirnige und spaltende Politik der Konservativen zurückzuweisen.