Wenn er die Uhr zurückdrehen könnte, sagt Ian Perkes, dann würde er „natürlich“ nicht mehr für den EU-Austritt stimmen. Der Fisch-Exporteur aus dem Südwesten Englands dachte, mit dem Brexit werde eine bessere Zukunft eingeläutet. „Unabhängig zu werden, unsere Fischgründe zu besitzen und dass Europa auf uns angewiesen ist“, so lauteten die Hoffnungen. Doch die Realität gestaltet sich anders. „Es war bislang ein absoluter Albtraum.“
Fast ein Monat ist vergangen, seitdem die Übergangsfrist endete und das Königreich den europäischen Binnenmarkt und die Zollunion verließ. Mit jedem Tag offenbart sich insbesondere den Briten, was der Brexit in der Realität bedeutet. Unternehmen, die Produkte in die EU exportieren oder auf Importe angewiesen sind, beschweren sich genauso wie Kunden auf beiden Seiten des Ärmelkanals über den Bürokratieaufwand, über Zollgebühren oder verspätete Lieferungen. Erlebt das Königreich nun den Brexit-Blues?
Brexit-Folgen - das sind die größten Knackpunkte:
Die Fischerei: Das Wichtigste sei doch, „dass wir unseren Fisch zurückhaben und der Fisch jetzt britisch und deswegen glücklicher ist“, sagte kürzlich Kabinettsmitglied Jacob Rees-Mogg im Parlament. Der zynisch anmutende Scherz des Brexit-Hardliners kam bei den britischen Fischern alles andere als gut an. Sie kämpfen derzeit ums Überleben. So mussten sie etwa tonnenweise Fisch, Hummer und andere Meeresfrüchte wegkippen oder verfaulen lassen, weil zahlreiche Boote in den Häfen in Schottland oder im Süden Englands festsitzen. Zudem verzögern sich Lieferungen oft um Tage, weil Exporteure sieben verschiedene Dokumente für den Transport in die EU vorlegen müssen. Es ist fatal für die leicht verderbliche Ware. Mehr als die Hälfte des britischen Fangs wurde bisher in die EU exportiert. Neben den Fischern sind unter anderem auch Fleischhändler von den Problemen betroffen, die auch Gesundheitszertifikate präsentieren müssen.
Künstler wehren sich gegen Bürokratie durch den Brexit
Kreativ-Szene: Es stehen hochkarätige Namen unter dem kürzlich veröffentlichten Wutschreiben: Popikone Sir Elton John und Sting haben den Brief genauso unterzeichnet wie Sänger Ed Sheeran, Stardirigent Sir Simon Rattle, Radiohead oder die Sex Pistols. Sie alle verliehen in der Zeitung The Times ihrem Ärger über den Brexit-Deal Ausdruck. Die britischen Künstler seien „von der Regierung auf beschämende Weise im Stich gelassen worden“ – und beschwerten sich über ein „klaffendes Loch“, in das Musiker, Tänzer, Schauspieler, Sänger und andere Kulturschaffende seit dem Jahreswechsel starrten. Das Problem: Wollen sie beispielsweise in den EU-Mitgliedstaaten auf Tournee gehen oder temporäre Engagements wahrnehmen, brauchen Musiker wie Crew-Mitglieder ein Visum. Das ist zeitaufwendig. Und teuer. Hinzu kommen die neu anstehenden Kosten für Genehmigungen, etwa wenn Orchestermusiker ihre Instrumente transportieren wollen, und andere Lizenzen. Dies könnte dazu führen, dass manche Tourneen gänzlich „unrentabel“ gemacht werden.
Import- und Exportbranche: Für Aufsehen sorgte die Episode, als ein niederländischer Zöllner einem Lkw-Fahrer, der aus Großbritannien kam, dessen Schinken-Sandwich beschlagnahmte. Persönlicher Proviant hin oder her: Bestimmte Lebensmittel unterliegen seit dem 1. Januar neuen Bestimmungen für die Einreise in die EU, dazu gehören auch Fleischprodukte. Spediteure auf der Insel klagen über den Bürokratieaufwand. Denn Exporteure müssen nun Zoll- oder Transiterklärungen ausfüllen. Bei Lebensmitteltransporten von Waren tierischer Herkunft sind an den EU-Grenzern außerdem Gesundheitszertifikate erforderlich. Insbesondere kleine und mittelgroße Unternehmen, die in die EU exportieren, stehen vor Herausforderungen. Zahlreiche Betriebe haben ihre Verkäufe wegen der komplizierten neuen Zollregeln erst einmal komplett eingestellt. Derweil häufen sich die Berichte über leere Supermarktregale in Nordirland, weil es immer wieder Schwierigkeiten bei den Zollformalitäten gibt. Die Provinz gehört zwar laut Austrittsvertrag zum britischen Zollgebiet, muss aber faktisch weiter die Regeln des EU-Binnenmarkts und der Zollunion befolgen. So sollte eine sichtbare Grenze zur Republik Irland verhindert werden. Doch es bedeutet auch, dass nun Kontrollen von Warentransporten vorgenommen werden, die aus Großbritannien nach Nordirland kommen. Die Folge: Obst- und Gemüseregale sind weniger gut bestückt.
Online-Shopper müssen wegen des Brexit-Abkommens jetzt Zoll zahlen
Verbraucher: In den sozialen Medien vergeht zurzeit kein Tag, an dem sich frustrierte Bürger nicht zu Wort melden und von ihren Online-Shopping-Erfahrungen berichten. Eine Britin etwa bestellte Bettwäsche bei einem in Berlin ansässigen Unternehmen, und erhielt mit ihrer Rechnung von 292 Pfund für die Ware auch eine zusätzliche Forderung von 93 Pfund für Zölle, Steuern und Gebühren. Und auch Kunden in der EU, die bei Unternehmen im Königreich bestellen, erleben zurzeit oft eine böse Zoll-Überraschung. Viele britische Textilhändler nehmen aufgrund der deutlich erhöhten Versandkosten zudem Retouren aus der EU nicht mehr an, da Unternehmen auf der Insel beim Rückversand ins Königreich Zollformulare ausfüllen und Einfuhrzölle begleichen müssen.
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