Gestern stieg Boris Johnson gut gelaunt, wie es schien, in einen Fernzug in Richtung Glasgow . Er machte sich auf den Weg zu einem weiteren Besuch bei der Klimakonferenz. Dem Premierminister kam der Termin weit im Norden der Insel äußerst gelegen. Denn die Stimmung in London ist schlecht. So schlecht, dass selbst sonst eher regierungsfreundliche britische Boulevard-Zeitungen Stimmung gegen den 57-Jährigen machen .
Die Daily Mail forderte beispielsweise: „Entschuldigen Sie sich für das Chaos, Herr Premierminister.“ Mit dem Chaos ist die Krise der Tories gemeint, die seit Ende vergangener Woche immer höhere Wellen schlägt und dazu geführt hat, dass zahlreiche Konservative um ihr Amt fürchten müssen, inklusive Boris Johnson selbst.
Skandal um konservativen Parlamentsabgeordneten
In Gang gesetzt wurde die Eskalation, als der Premierminister am Mittwoch den konservativen Parlamentsabgeordneten Owen Paterson vor einer Suspendierung bewahrte. Und das, obwohl dieser nach Ansicht eines Untersuchungsausschusses gegen Bezahlung Lobby-Arbeit für mehrere Unternehmen geleistet hatte. Die Konsequenz war ein Sturm der Entrüstung und das sogar innerhalb der eigenen Partei. Immerhin ein Dutzend Tories stimmten im Parlament gegen den Beschluss, obwohl die Regierung mit Sanktionen gedroht hatte. Der konservative Abgeordnete Mark Harper twitterte: „Dies ist eine der unerfreulichsten Episoden, die ich als Abgeordneter gesehen habe.“
Zwar nahm die Regierung ihren Versuch, Paterson vor einer Strafe zu retten, am nächsten Tag zurück, der Skandal selbst war jedoch nicht mehr aufzuhalten. Anfang dieser Woche sollte Johnson in einer kurzfristig einberufenen Sitzung im Parlament Stellung zu der Kehrtwende in dem Fall nehmen, er tauchte jedoch nicht auf. Statt sich zu entschuldigen, machte Johnson bei einem Besuch eines Krankenhauses in London mit einem anderen Skandal auf sich aufmerksam. Denn er begrüßte das mundschutztragende Personal zwar gewohnt herzlich, jedoch ohne dabei selbst eine Maske zu tragen. Fotos von dem Treffen lösten bei vielen Wut aus. Vieles erinnerte an vergangenes Jahr, als er sich zu Beginn der Corona-Krise damit brüstete, in Krankenhäusern Hände geschüttelt zu haben. Wenig später lag Johnson selbst krank in der Klinik.
Johnson versucht mit anderen Aufregern abzulenken
Beobachter erkennen in der Provokation eine bewährte Strategie Johnsons: Diese besteht darin, mit einem anderen Aufreger für Ablenkung zu sorgen. Längst sinken seine Umfragewerte. So sind laut dem Marktforschungsunternehmen Ipsos Mori nur noch 34 Prozent der Briten davon überzeugt, dass dieser das Zeug zu einem „guten“ Premierminister hat.
Das ist der niedrigste Stand seit seinem Amtsantritt im Jahr 2019. Seit Dienstag bedroht außerdem ein weiterer Skandal die Tories. Es geht dabei um den konservativen Ex-Minister Geoffrey Cox. Dieser hat, so wurde bekannt, die Phase des Lockdowns auf den Jungferninseln verbracht und währenddessen mit Beratertätigkeiten rund eine Million Pfund verdient, umgerechnet fast 1,2 Millionen Euro. Verboten ist das nicht. Dass er dazu jedoch vom Steuerzahler finanzierte Büroräume genutzt hat schon, wie auch Gesundheitsminister Sajid Javid gestern einräumen musste.
Das Bild, das Johnson und seine Tories abgeben, scheint mit fast jedem Tag desaströser zu werden.