„Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ Lange schon hat Bundeskanzlerin Angela Merkel diesen pathetischen Satz, mit dem sie vor Jahren die milliardenschweren Euro-Rettungspakete und Hilfsprogramme vor ihrer eigenen Fraktion, dem Bundestag und den Bundesbürgern begründet hat, nicht mehr gesagt. Doch an diesem Montag, auf dem vorläufigen Höhepunkt der neuen Griechenland-Krise, nimmt sie ihn plötzlich wieder in ihr Repertoire auf. Nicht irgendwo, sondern auf dem Festakt aus Anlass des 70-jährigen Bestehens der CDU, wirbt sie demonstrativ für die europäische Idee und die europäische Gemeinschaftswährung. „Der Euro ist mehr als eine Währung“, sagt die Kanzlerin vor den versammelten CDU-Größen. „Er gründet sich auf gemeinschaftliches Vertrauen.“
Nachdem Angela Merkel das ganze Wochenende über geschwiegen, hinter den Kulissen die Lage sondiert und zahlreiche Telefonate geführt hat, unter anderem auch mit US-Präsident Barack Obama, kommt sie am Montag aus der Deckung und nimmt öffentlich Stellung. Und das gleich mehrfach. Erst tritt sie beim Festakt ihrer CDU auf, dann trifft sie sich mit den Partei- und Fraktionschefs der im Bundestag vertretenen Parteien im Kanzleramt, schließlich nimmt sie an den Sondersitzungen der Unionsfraktion, wie der SPD-Fraktion im Reichstagsgebäude, teil. Ihre Botschaft ist dabei stets die gleiche: Es bestehe kein Grund zur Besorgnis, gar zur Unruhe wegen der Griechenland-Krise. Für deutsche Bürger und Sparer werde eine mögliche Staatspleite Griechenlands keine unmittelbaren Folgen haben. Und sie werde sich weiteren Gesprächen „selbstverständlich nicht verschließen“, wenn die griechische Regierung dies wünsche.
Merkel schiebt Tsipras Schwarzen Peter zu
Doch dafür spricht im Augenblick wenig. Bis zum Sonntag, wenn in Griechenland das von der Regierung Tsipras angesetzte Referendum stattfindet, werde wohl nichts geschehen, deutet sie nach dem Gespräch mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden an, das fast doppelt so lange dauert wie ursprünglich geplant. Erst nach dem Referendum werden sich die europäischen Staats- und Regierungschefs wohl über die Lage beraten.
Merkel wirkt angeschlagen und mitgenommen, sie erweckt den Anschein, als habe sie im Kampf um die Rettung Griechenlands resigniert. Ohne den Namen des griechischen Premierministers in den Mund zu nehmen, schiebt sie Alexis Tspiras den Schwarzen Peter zu. „Man muss einfach konstatieren, dass der Wille zum Kompromiss auf der griechischen Seite nicht da war“, sagt sie. Die europäischen Partner hätten Athen ein „außerordentlich großzügiges Programm“ vorgeschlagen, doch mit der Entscheidung der griechischen Regierung, ein Referendum anzusetzen, hätten die Verhandlungen nicht zu Ende geführt werden können. Pressestimmen: "Griechenland fällt ins Koma"
"Niemand kann 100 Prozent bekommen"
Bis zuletzt hat Angela Merkel versucht, der griechischen Regierung entgegenzukommen und kompromissbereit zu sein. Indirekt weist sie den Vorwurf, sie sei mit ihrer Verhandlungsstrategie und damit auch mit ihrer Euro-Rettungspolitik gescheitert, zurück. Europa könne nur existieren, „wenn es kompromissfähig ist“. Die Grundlage der gemeinsamen Währung sei die Einhaltung vereinbarter Regeln. Und die könne man nicht „ausnahmsweise ad acta“ legen. „Niemand kann 100 Prozent bekommen.“ Noch deutlicher wird Sigmar Gabriel, Vizekanzler, Wirtschaftsminister und SPD-Chef. Er attackiert die griechische Regierung und wirft ihr vor, sie wolle „politisch, man kann sagen ideologisch eine andere Euro-Zone“. Die Regierung in Athen sei nicht bereit, Reformen durchzuführen, sondern wolle „Hilfe ohne Gegenleistung“. So aber könne Europa nicht funktionieren.
Während Angela Merkel und Sigmar Gabriel damit ihren eigenen Abgeordneten aus dem Herzen sprechen und die massive Kritik in den eigenen Reihen aufnehmen, kritisieren die Vertreter der Opposition die Kanzlerin schwer und werfen ihr und ihrer Regierung nach dem Gipfel im Kanzleramt Konzeptlosigkeit vor. „Ich glaube, sie nehmen einen Crash in Kauf, ohne genau zu wissen, was danach passiert“, sagt Linken-Fraktionschef Gregor Gysi beim Verlassen des Kanzleramts. „Es gibt eine Pflicht, den Euro zu retten und die EU zu retten.“