Die Deutschen kannten keine Gnade. Aus Rache für den Tod eines Offiziers, der von Partisanen in einen Hinterhalt gelockt worden war, fielen Soldaten der Wehrmacht am 3. Oktober 1943 in Lyngiades ein, trieben alle Bewohner, die sie finden konnten, auf dem Dorfplatz zusammen und erschossen mehr als 80 Menschen, fast ausnahmslos Frauen, Greise und Kinder. Noch in 30 Kilometern Entfernung waren die Rauchfahnen des brennenden Ortes zu sehen – ein Menetekel des Schreckens.
Deutsche Kriegsverbrechen kaschieren griechische Versäumnisse
Es sind Massaker wie die in Lyngiades, in Kalavryta oder Distomo, die der griechischen Regierung als Argumentationshilfe für einen bizarren Streit um Schuld und Sühne, um die historische Verantwortung Deutschlands und dessen vermeintliche finanzielle Verpflichtungen dienen. In Wirklichkeit jedoch hat dieser Streit vor allem ein Ziel: Die Deutschen als hartherziges, unbelehrbares Volk zu stigmatisieren, das dem darbenden griechischen Volk jede Solidarität verweigert und es so immer tiefer ins Elend treibt.
Der neue Ministerpräsident Alexis Tsipras, der heute zum Antrittsbesuch nach Berlin kommt, und sein schriller Finanzminister Gianis Varoufakis sind ja wahre Meister darin, eigene Versäumnisse plötzlich wie die Fehler anderer aussehen zu lassen – und haben damit auch noch Erfolg. Obwohl die Frage möglicher Reparationen politisch und juristisch schon lange geklärt ist, plädieren neuerdings auch einige namhafte Sozialdemokraten für weitere Entschädigungen.
Unterhaltsfragen in der zerrütteten deutsch-griechischen Ehe
70 Jahre nach Kriegsende ähnelt das deutsch-griechische Verhältnis einer zerrütteten Ehe, in der es am Ende nur noch um eines geht: die Höhe des Unterhalts. Instinktsicher hat sich Tsipras dabei den wundesten Punkt seines Partners herausgepickt – die dunkle Vergangenheit der Deutschen. Er weiß, dass keine Kanzlerin und kein Finanzminister gerne mit diesem Thema konfrontiert wird, und spekuliert offenbar darauf, dass am Ende schon noch Geld fließen wird, und sei es nur, um eine unangenehme Diskussion nicht mehr länger führen zu müssen.
Im Kleinen hat das schließlich schon funktioniert: Nach dem Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck in Lyngiades im vergangenen Jahr wurde prompt ein sogenannter Zukunftsfonds verabredet, der jedes Jahr eine Million Euro für den Erhalt jüdischer Gemeinden in Griechenland oder Projekte zur deutsch-griechischen Versöhnung bereitstellt und nun möglicherweise noch aufgestockt wird.
Weiter entgegenkommen kann (und darf) die Kanzlerin ihrem Gast heute nicht. Solange die Regierung in Athen Reformen immer nur verspricht, diese Bringschuld aber nie einlöst, verbietet sich jedes weitere Entgegenkommen von selbst. Fürs Erste muss Tsipras deshalb schon froh sein, wenn nach dem vielen Porzellan, das sein Finanzminister zerschlagen hat, in den deutsch-griechischen Beziehungen nicht noch mehr zu Bruch geht.
Tsipras mäßigt seine Rhetorik vor Berlin-Besuch
Angela Merkels Einladung ist eine Geste des guten Willens – mehr aber auch nicht. Eine Koalition, die derart gezielt antideutsche Ressentiments schürt wie die Allianz aus extremen Linken und extremen Rechten in Athen, darf sich nicht wundern, wenn die Bereitschaft, den Griechen weiter unter die Arme zu greifen, in Deutschland von Tag zu Tag schwindet.
Wie kein anderes Land macht Griechenland das Merkel’sche Mantra vom Geld, das es nur gegen Reformen gebe, für sein Schicksal verantwortlich. Kein anderes Land aber hat die Geduld seiner Geldgeber auch so strapaziert – und strapaziert sie noch immer. Im Gegensatz zu Varoufakis, dem Polit-Rambo, klingt Tsipras mittlerweile jedoch etwas konzilianter. Womöglich ahnt er ja, dass es auch für ihn besser ist, die deutsche Kanzlerin als Partnerin zu haben – und nicht als Gegnerin.