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Grenzkontrollen: "Hier bricht europäischer Provinzialismus aus"

Grenzkontrollen

"Hier bricht europäischer Provinzialismus aus"

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    An der deutsch-österreichischen Grenze gibt es bereits seit einigen Jahren wieder Grenzkontrollen.
    An der deutsch-österreichischen Grenze gibt es bereits seit einigen Jahren wieder Grenzkontrollen. Foto: Sven Hoppe, dpa

    An der bayrisch-österreichischen Grenze gibt es schon seit bald drei Jahren wieder Grenzkontrollen. Wird Europa dadurch zerstört?

    Erhard Busek: Ich halte die Kontrollen für eine Niederlage des Europäischen. Sie senken die Zahl der Migranten und Flüchtlinge nicht, und die Zahl der Aufgriffe ist nicht sehr imponierend. Außerdem werden die guten Beziehungen unter Nachbarn gefährdet. Wenn Sie in der Schlange stehen und die Kommentare hören, die aus den Autos schallen, merken Sie das. Hier bricht europäischer Provinzialismus aus.

    Gibt es kein Sicherheitsproblem?

    Busek: Doch, aber das werden wir nicht mit Grenzkontrollen à la Seehofer und Söder lösen, die sie ja noch verschärfen wollen. Das sind Methoden aus dem 19. Jahrhundert. Ich stelle ständig fest, dass wir auf Methoden aus dem 19. Jahrhundert zurückgreifen, zum Beispiel, wenn Diplomaten zurückgeschickt werden, wie es jetzt gegenüber Russland passiert. Das hat überhaupt keine Wirkung. Es produziert nur Schlagzeilen.

    Im Moment verschärfen sich die Gegensätze in der EU. Warum?

    Busek: Das ist zu erheblichem Teil ein Resultat der Arroganz der westlichen Mitglieder der EU. Man hat gesagt: Lasst die Südosteuropäer Demokratie spielen, und wenn sie sich korrekt verhalten und gescheite Gesetze machen, dann wird das schon... Aber die historischen und sozialen Hintergründe wurden nie in der EU-Strategie berücksichtigt. Die EU hat sich nicht so verändert, dass sie ihrer fast gesamteuropäischen Dimension entspricht. Man hat die Länder aufgenommen, aber dann eigentlich ignoriert.

    Das Kosovo hat nun die Grenze zu Montenegro anerkannt. Sollte es Visa-Erleichterungen bekommen?

    Busek: Unbedingt. Die Länder des Balkans sollen rasch aufgenommen werden. Denn die Veränderungen, die nach innen notwendig sind, geschehen unter diesem Druck rascher. Detailprobleme zu lösen, ist als Aufnahmebedingung völlig verfehlt. Denn auf dem Balkan sind die Chinesen, Russen und Türken heute stärker präsent als die Europäer. Das ist ein ganz großer Fehler.

    "In Wahrheit geht es darum, Gemeinsamkeiten zu stärken"

    China etabliert dort seine neue Seidenstraße. Hat die EU diese Entwicklung verschlafen?

    Busek: Ja. Wenn ich feststelle, dass die Chinesen den Ausbau der Eisenbahnverbindung zwischen dem Hafen von Piräus und Budapest betreiben, dann frage ich mich, wo sind hier die Europäer? Wir müssen uns darüber klar sein, dass Südosteuropa heute die Brücke zum Nahen Osten ist und dort langsam die wirtschaftliche Stärke wächst. Dadurch werden neue politische Kräfteverhältnisse entstehen.

    Warum ignoriert der Westen diese Entwicklung?

    Busek: Wir sind zu sehr in der eigenen Geschichte verhaftet und bleiben im Eigenen hängen. Zum Beispiel in der Flüchtlingskrise. Da setzen wir uns nicht mit Hintergründen wie der Geschichte des Kolonialismus auseinander. Viele der Terroristen und Gewalttäter kommen aus ehemaligen europäischen Kolonien und haben dort in langen Kriegsjahren Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung erlernt.

    Innenminister Seehofer sagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Halten Sie das für realistisch?

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    Busek: Das ist blühender Unsinn. In dem Moment, wo Millionen Menschen in einem Land leben, gehören sie auch zu einem Land. Wir beschäftigen uns ja immer mit Äußerlichkeiten wie Burka oder Kopftuch. Doch in Wahrheit geht es darum, Gemeinsamkeiten zu stärken.

    In mehreren Staaten Mitteleuropas wachsen die antidemokratischen Kräfte. Woran liegt das?

    Busek: Ungarn und Kroatien fühlen sich in die zweite Reihe geschoben. Diese Länder sind in den Entscheidungsgremien der EU jenseits des Europäischen Rates nicht gut vertreten. Es hat lange gedauert, bis jemand aus Ost-Mitteleuropa eine Funktion übernommen hat.

    Hat die Bevölkerung, die in diesen Ländern autoritäre Politiker wählt, andere Wertvorstellungen?

    Busek: Nein, es geht nicht um andere Werte, sondern um unterschiedliche Diskussionen. Die Westler haben den Fehler gemacht, mit den Menschen in der Mitte und im Osten viel zu wenig zu reden. Ich stelle immer wieder fest, dass man die Mentalität nicht kennt. Wir reduzieren die Auseinandersetzung auf Signalfiguren wie Orban und Kaczynski. Die Medien müssten dafür sorgen, dass die Menschen in den verschiedenen Teilen der EU erfahren, wie die anderen ticken.

    "Im Kulturbereich ist die Integration gelungen"

    Was hätte in der Beitrittsphase anders gemacht werden müssen?

    Busek: Es hätte nicht nur um den Rechtsstaat, die Wirtschaft und die europäischen Regeln gehen dürfen, sondern auch um Bildung gehen müssen. Wir werden stärkere Auseinandersetzungen darüber brauchen, wie Lerninhalte und Bildungssysteme aussehen sollen. Im Kulturbereich ist die Integration gelungen. Wenn Sie auf die Spielpläne schauen, sehen Sie, dass Künstler aus Südosteuropa überall spielen, singen und bauen. Die Politik dagegen ist im Rückstand.

    Was bedeutete eine EU der zwei Geschwindigkeiten für die Länder?

    Busek: Sie würde die EU noch weiter auseinandertreiben und eine Zweiklassengesellschaft und neue Trennlinien festschreiben.

    Was wird die österreichische EU-Präsidentschaft ab Juli bringen?

    Busek: Auf der Tagesordnung stehen der Brexit und eine Reihe von Finanzangelegenheiten. Österreich könnte einen Beitrag in Richtung Südosteuropa und Erweiterung leisten. Die großen Dinge werden wir allein nicht lösen. Eine Solonummer Österreichs ist nicht zu empfehlen.

    Erhard Busek, geboren im Jahr 1941, war in Österreich Bildungsminister und Wissenschaftsminister, Vizekanzler und ÖVP-Chef. Seit 1996 engagiert er sich für Südosteuropa in der South East European Cooperative Initiative und von 2002 bis 2008 als Koordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa. Bis zum Jahr 2012 war er Präsident des Europäischen Forum Alpach. Heute leitet er als Präsident das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa und als Präsident das Gustav-Mahler-Jugendorchester.

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