Raphael Guerreiro ist ein feiner Kerl und eine ehrliche Haut. Einer, bei dem man ruhigen Gewissens den Weinkeller und das voll getankte Auto in Pflege geben könnte, ohne dass hinterher ein Tropfen fehlen würde. Wäre es anders, man käme ins Rätseln darüber, warum der kreuzbrave Portugiese am Sonntagabend im EM-Gruppenspiel gegen Deutschland den Ball ins eigene Tor gesemmelt hätte. Er hätte ihn doch einfach in den Münchner Sommerhimmel jagen können.
Stattdessen traf er, mit der Angst eines deutschen Stürmerbeines im Nacken, zur 2:1-Führung für Deutschland ins eigene Netz. Schon das 1:1 zugunsten der Germanen hatte Ruben Dias besorgt und zum deutschen 0:1 gegen Frankreich hatte Mats Hummels derart hölzern getroffen, das man Jogis Recken am liebsten wieder nach Hause geschickt hätte.
Das Eigentor lehrt Demut
Wüsste man es nicht besser, man könnte meinen, es sei ein Vergnügen, den Ball ins eigen Tor zu schießen. Tatsächlich lehrt die Tat Demut. Eigentore fallen unabsichtlich, irrtümlich und tun richtig weh. Der Schütze wünscht sich nichts sehnlicher als im Erdboden zu versinken. Bedrängt und verzweifelt hat er sich und die Seinen ins Unglück gestürzt.
Weil keiner zu groß ist, dass ihm nicht ein Eigentor unterläuft, dürften wir auf Franz Beckenbauer verweisen, der einen Ball bekanntlich vom Rand eines gefüllten Weißbierglases präzise ins untere Torwand-Loch schießen konnte. Das hat ihn aber nicht davor bewahrt, in zwei aufeinander folgenden Spielen den Ball ins eigene Netz zu bugsieren.
Allen, die nie einen Ball ins eigene Tor getreten haben: Man fühlt sich wie der Bankräuber, der den Geigenkasten öffnet, in dem gewöhnlich die Maschinenpistole steckt und der dann doch nur die Geige vorfindet. Man spürt das Ende der Welt.