Ahmad ist „Burner“, Verbrenner. Der 15-Jährige gehört zu einer Gruppe junger Männer, die gerade mitten auf der Müllkippe Knäuel von Elektrokabeln abfackeln. Später werden sie das Kupfer verkaufen. Die Männer werfen Isolierschaum aus alten Kühlgeräten ins Feuer, damit die Flammen richtig auflodern. Der Schweiß steht ihnen auf der Stirn. Immer wieder stochern sie im Feuer herum. Giftiger, beißender Qualm umhüllt sie. Dann zieht die schwarze Wolke in Richtung der nahen Wohngebiete.
Für den Knochenjob erhält Ahmad umgerechnet zwei Euro am Tag. „Ich muss hier Geld verdienen für meine Ausbildung“, sagt der Jugendliche, der aus dem armen und muslimisch geprägten Norden Ghanas in den Slum am Rand der Hauptstadt Accra gekommen ist. Denn er hat einen Traum: Ahmad möchte Arzt werden. Aber so sehr er sich auf der Müllhalde auch anstrengt: Sparen für sein Fortkommen kann er dort nicht. Von dem geringen Lohn muss er sein Essen und einen Schlafplatz in einer Gemeinschaftsunterkunft finanzieren und natürlich sein Smartphone, das hier jeder junge Mann hat. Da bleibt nichts übrig.
Ahmad und seine Kollegen wissen, dass sie den unbeliebtesten und gefährlichsten Job in Agbogbloshie haben, wie dieser Teil des Slums Old Fadama genannt wird. Eigentlich ist Agbogbloshie ein Marktplatz. Tausende Verkäufer bieten frisches Obst und Gemüse an, auch viele Einwohner aus dem Zentrum von Accra kaufen dort ein. Außerdem gibt es alle denkbaren Haushaltsartikel, Fahrräder und Auto-Ersatzteile. Auf dem Viehmarkt werden Rinder verkauft sowie Schafe und Ziegen, die teils auf dem Dach von Überlandbussen bis aus Burkina Faso antransportiert wurden.
Doch direkt hinter den Verkaufsständen beginnt eine andere, schmutzige Welt: Dort macht sich ein gigantischer Schrottplatz breit mit unzähligen Recycling-„Betrieben“ – und jene Müllkippe, auf der nebeneinander Rinder nach Futter suchen und die „Burner“ ihre Feuer entfachen.
Arbeiter atmen hochgiftige chemische Verbindungen ein
Mit dem Dampf atmen die jungen Männer hochgiftige chemische Verbindungen ein und ruinieren ihre Gesundheit. Das wissen sie. Auf dem Gelände hängen Plakate der ghanaischen Behörden, auf denen vor den Gefahren des Kabelbrennens gewarnt wird. Doch kein Gesundheitsamt und kein Polizist schreitet ein, wenn die Verbote missachtet werden.
Auf dem Schrottplatz haben die „Burner“ keinen guten Ruf. Sie stehen auf der untersten Stufe der Hierarchie, ihr schmutziges Geschäft wird als Belästigung und Rufschädigung empfunden. „Stoppt das Verbrennen“ steht auf dem T-Shirt eines Arbeiters, der im Recycling-Bereich arbeitet.
Dort sind Tausende damit beschäftigt, Altgeräte zu reparieren oder, weil das meist nicht mehr möglich ist, auszuschlachten. Handys und Motorräder, Autos und Fernsehgeräte, Computer und Tiefkühltruhen – alles wird in seine Einzelteile zerlegt. Kleine Buden stehen auf dem Gelände, viele Menschen arbeiten aber auch auf dem blanken Boden. Die etwa aus Handys gewonnenen Wertstoffe lassen sich gut verkaufen. Aus Wracks herausgeschraubte Ersatzteile werden von Kleinhändlern am Straßenrand feilgeboten oder von Großhändlern abgeholt. „Wenn du dein Auto in die Werkstatt bringst, weißt du nie, wo die Ersatzteile herkommen, die sie dir einbauen“, sagt ein Deutscher, der in Accra lebt. „Ein großer Teil stammt von hier.“
"Vorhof zur Hölle"
Nicht nur die Müllkippe, auch der Schrottplatz ist eine Quelle vielfältiger Umweltverschmutzung. Da läuft Öl ins Erdreich und ins Grundwasser, da entweicht klimaschädliches FCKW aus Kühlgeräten in die Luft. Die Umweltorganisation Greenpeace hat 2008 erstmals auf diesen Schandfleck am Stadtrand von Accra aufmerksam gemacht. Seither hat Agbogbloshie, das an einem Fluss liegt, der nach wenigen hundert Metern in eine Lagune des Atlantiks mündet, in den internationalen Medien zahlreiche zweifelhafte Titel erhalten: „größte Elektroschrott-Müllkippe der Welt“, „einer der am schlimmsten verseuchten Plätze“ oder gar „Vorhof zur Hölle“.
Die Arbeitsbedingungen der Recycler sind, wie bei einem Gang über das Gelände zu sehen ist, in der Tat miserabel. Geschuftet wird teilweise wie in der Steinzeit. Das ist wörtlich zu nehmen: Steine dienen dazu, die aus dem Handy herausgebrochenen Platinen zu zerlegen – oder die Zylinderköpfe von Automotoren abzuschlagen. Mundschutz, Handschuhe oder Sicherheitskleidung sind nirgendwo zu sehen. Daher ist die Gefahr, sich zu verletzen, allgegenwärtig. Das Trinkwasser, das in kleinen Plastikbeuteln von Verkäuferinnen angeboten wird, können sich viele Arbeiter nicht leisten. Zu wenig zu trinken ist aber angesichts der Hitze und des Schmutzes ebenfalls ein Gesundheitsrisiko.
Karim, 32, der einst selbst aus dem Norden kam und als „Burner“ anfing, hat oft Kopfweh und andere Beschwerden gehabt. Jetzt geht es ihm wieder besser, er ist zum Schrotthändler aufgestiegen. Mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern lebt er im Slum Old Fadama, der rund 80000 Einwohner zählt. Er gesteht: „Ich mache mir Sorgen um die Gesundheit meiner Familie.“ Doch er kann es sich nicht leisten, in eine bessere Gegend zu ziehen. Dieser Traum bleibt unerfüllt. Der Schrott lässt ihn nicht los.
Welche Schuld Europa an der Situation hat
Europa ist mit schuld an der verfahrenen Situation. Von dort stammt der Großteil der Geräte, die in Ghana zerlegt werden. Experten schätzen, dass illegal eingeführter Elektroschrott nur rund 15 Prozent der Menge ausmacht. In den Containern, die im ghanaischen Hochseehafen Tema eintreffen, kommen hauptsächlich Altgeräte ins Land, die zunächst verkauft werden. Nach einigen Jahren aber landen auch sie in Agbogbloshie. Schrottsammler liefern sie oft per Handkarren an.
Gäbe es die skandalösen Gesundheitsrisiken nicht, hätte sich die Recycling-Wirtschaft in Ghana sogar ein Lob verdient. „Die Effizienz beim Zerlegen ist höher als beim Schreddern, weil vieles direkt wiederverwendet werden kann“, sagt der deutsche Entwicklungshelfer Michael Funcke-Bartz. Er arbeitet als Projektleiter der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) daran, das Recycling-Chaos von Agbogbloshie in geordnete Bahnen zu lenken. Seit Entwicklungsminister Gerd Müller bei einer Reise nach Ghana im April 2015 die Missstände gesehen hat, ist der Elektroschrott zu einem Thema der deutsch-ghanaischen Entwicklungszusammenarbeit geworden.
Das Fernziel, so Funcke-Bartz, sollte eine mittelständisch organisierte Recycling-Wirtschaft sein – mit Firmen, die eine geordnete Entsorgung garantieren und ihre Mitarbeiter qualifizieren. „Aber das kann man einem Land wie Ghana nicht einfach überstülpen“, weiß der Experte. Deswegen fängt man klein an. Ein Biomonitoring-Programm wurde ins Leben gerufen, in dem das Universitätsklinikum Aachen und die University of Ghana zusammenarbeiten. Erste Untersuchungen haben alarmierende Konzentrationen von Schwermetallen wie Arsen, Nickel und Blei sowie von PCB im Blut und im Urin von Schrottarbeitern ergeben.
Nun soll mit deutscher Hilfe auf dem Gelände eine Gesundheitsstation zur Erstversorgung bei Unfällen und Krankheiten eingerichtet werden. Auch eine bessere technische Ausrüstung wird unterstützt: Die deutsche Botschaft in Accra hat bereits einer Recycling-Firma geholfen, einen Kabelgranulator anzuschaffen. Mit dieser Maschine lässt sich das Kupfer aus Elektrokabeln separieren – ganz ohne Feuer. Wenn eines Tages mehrere solcher Geräte arbeiten, wird dem Geschäftsmodell der „Burner“ die Basis entzogen. Ein Erfolg für die Umwelt. Aber wird zum Beispiel der junge Ahmad auch in der neuen Recycling-Welt einen Job bekommen?
Ghana arbeitet ebenfalls an der Problemlösung. Das Parlament beschloss im Sommer ein Elektroschrott-Gesetz. Es bietet jetzt die Rechtsgrundlage, damit der westafrikanische Staat gegen illegale Importe vorgehen kann. Aber noch wichtiger ist die durch das Gesetz eingeleitete Bildung eines Recycling-Fonds, in den alle Importeure und Händler von Elektrogeräten einzahlen sollen. Auch die deutsche KfW-Bank will sich am Fonds beteiligen. Ziel ist, die Qualität des Recyclings zu verbessern und die negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit abzustellen.
Wenn das klappt, könnte der Schandfleck Agbogbloshie zum Vorbild für tausende anderer Schrottplätze in Entwicklungsländern werden. Dann ginge vielleicht doch ein Traum in Erfüllung …