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Gesundheitspolitik: Vision und Wirklichkeit: Die Wahl der Krankenversicherung

Gesundheitspolitik

Vision und Wirklichkeit: Die Wahl der Krankenversicherung

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    Gesundheitsminister Daniel Bahr will für mehr Wettbewerb auf dem Krankenkassenmark sorgen. Seine Vision ist die freie Wahl zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung.
    Gesundheitsminister Daniel Bahr will für mehr Wettbewerb auf dem Krankenkassenmark sorgen. Seine Vision ist die freie Wahl zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung. Foto: Patrick Pleul (dpa)

    Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat im Bundestagswahlkampf eine Vision: Er stellt sich eine Wahlfreiheit bei der Krankenversicherung vor. „Ich möchte, dass alle Menschen selbst entscheiden können, wie und wo sie sich versichern wollen“, sagte er der Rhein-Zeitung (Koblenz/Mainz). Notwendig sei allerdings, so fügte er hinzu, dass eine Grundleistung durch Ärzte und Krankenhäuser versichert ist. Bahr: „Ich will nicht, dass junge und gesunde Menschen sich nicht absichern, sodass sie die Behandlung bei einer späteren Krebsbehandlung nicht mehr bezahlen können.“

    Das Gesundheitssystem in Deutschland

    Die Beteiligten im deutschen Gesundheitsystem lassen sich in fünf Kategorien aufteilen:

    Die Leistungsempfänger, also Patienten, die Leistungserbringer (Ärzte, Pflegeberufe), Leistungsfinanzierer (Selbstzahler, Arbeitgeber), die Leistungsfinanzierer (Krankenkasse) und der Staat.

    Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie der Staat zahlen regelmäßig Beiträge in die Krankenkassen ein ...

    ... welche wiederum im Krankheitsfall an die Versicherten ausgeschüttet werden, um die Behandlungskosten zu decken.

    In Deutschland gibt es gesetzliche und private Krankenversicherungen. Über 75% Prozent der Deutschen sind gesetzlich versichert ...

    ... wohingegen circa zehn Prozent privat versichert sind. 2,3 Prozent der Deutschen sind anderweitig versichert (Zivildienstleistende, Bundeswehr).

    Arbeitnehmer sind verpflichtet, sich zumindest gesetzlich zu versichern. Private Versicherungen sind nicht verpflichtend und haben teilweise Gewinnerzielungsabsichten.

    Zu den gesetzlichen Krankenkassen zählen AOK, IKK, BKK, DAK und Barmer.

    Private Krankenkassen sind unter anderem Allianz, AXA, DKV, Provinzial, R+V, Victoria und Signal Iduna.

    Im Vergleich mit anderen Staaten lag Deutschland mit seinen Gesundheitsausgaben 2006 auf Rang vier mit Ausgaben von rund 10,6 Prozent des BIP.

    Im Jahr 2007 arbeiteten in Deutschland rund 4,4 Millionen Menschen in der Gesundheitswirtschaft.

    Im Jahr 2012 sollen sich die Reserven der gesetzlichen Krankenkassen auf rund 21,8 Milliarden Euro belaufen.

    Wie unterscheiden sich gesetzliche und private Krankenversicherung?

    Die seit 1883 existierende gesetzliche Versicherung ist Teil des Solidarsystems: Vereinfacht gesagt zahlt jedes Kassenmitglied einen prozentualen Beitrag, der sich an der Höhe seines Gehalts oder Lohnes orientiert. Nicht berufstätige Familienangehörige sind mitversichert. Der Anspruch auf Leistungen des Gesundheitssystems ist für alle gleich. Die Privatkassen verlangen einen einkommensunabhängigen Beitrag, der sich am Eintrittsalter, dem Gesundheitszustand und der Berufsgruppe des Versicherten sowie den individuell gewünschten tariflichen Leistungen (Chefarztbehandlung, Einzelzimmer im Krankenhaus etc.) orientiert.

    Wer kann sich derzeit überhaupt privat versichern?

    Es beschränkt sich auf Beamte mit Beihilfeanspruch, Selbstständige und Freiberufler sowie Arbeiter und Angestellte mit einem Bruttoeinkommen von mehr als 4350 Euro im Monat beziehungsweise 52200 Euro im Jahr. Das entspricht der Versicherungspflichtgrenze, die jährlich angepasst wird. Derzeit sind rund neun Millionen Menschen (11 Prozent) privat versichert, der Rest gesetzlich. Nur 0,2 Prozent sind überhaupt nicht versichert.

    Was könnte passieren, wenn private Kassen für alle geöffnet werden?

    Sogenannte „gute Versicherungsrisiken“, also junge alleinstehende Männer mit mittlerem Verdienst wechseln zu den Privaten, die mit vergleichsweise niedrigen Beiträgen locken können. Das schwächt die gesetzlichen Kassen finanziell, denen diese „guten“ Beitragszahler verloren gehen. Die SPD warnt darüber hinaus vor einer „Altersarmutfalle“, weil sich Versicherte die im Laufe der Zeit schnell steigenden Beiträge nicht mehr leisten könnten.

    Minister Bahr erwartet sich mehr Wettbewerb im System. Gibt es hier einen Mangel?

    Durchaus, aber nicht unbedingt im Verhältnis zwischen gesetzlichem und privatem System, sondern bei den Privatkassen selbst. Auch Unionspolitiker wie der Münchner CSU-Bundestagsabgeordnete Johannes Singhammer verweisen darauf, dass ein Wechsel von einer zur anderen privaten Versicherung finanziell ein Verlustgeschäft ist, weil die Altersrückstellungen nicht mitgenommen werden können. Dadurch sei man „letztlich lebenslang an ein Unternehmen gekettet“, sagte er der Frankfurter Rundschau.

    Was setzen die anderen Parteien der Bahr-„Vision“ politisch entgegen?

    SPD, Grüne und Linke wollen das heutige Nebeneinander zweier Krankenversicherungssysteme durch eine Bürgerversicherung ersetzen: Alle Bürger sollen prozentuale Beiträge von allen Einkommen (also auch Miete, Pacht und Kapitalerträge) bis zur Beitragsbemessungsgrenze in die Kasse einzahlen.

    Wie reagieren die Verbände auf den Vorschlag des Ministers?

    Der DGB spricht von „blindem Lobbyismus für die private Krankenversicherungswirtschaft“. Der Sozialverband Deutschland sagt, dass bereits über 100000 privat Versicherte ihren Beitrag nicht mehr bezahlen könnten. Und die Arbeiterwohlfahrt hält die angestrebte Wahlfreiheit nur für vorgegaukelt. mit AFP

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