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Corona-Krise: Gesundheitsämter: Klappt die Nachverfolgung von Kontakten endlich?

Corona-Krise

Gesundheitsämter: Klappt die Nachverfolgung von Kontakten endlich?

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    In den Gesundheitsämtern jagen die Mitarbeiter dem Virus hinterher,
    In den Gesundheitsämtern jagen die Mitarbeiter dem Virus hinterher, Foto: D. Bockwoldt, dpa

    Die Zeit ist zäh. Sie fühlt sich zuweilen an, als mühte man sich durch schlammigen Morast, jeder Schritt ein Kraftakt, begleitet von der Angst, irgendwann einfach stecken zu bleiben. Dr. Uta-Maria Kastner watet seit Monaten durch diesen Sumpf, durch diese trübe Brühe, die durch die Corona-Pandemie angeschwemmt wurde. Es ist jetzt etwa zwölf Wochen her, dass Kastner, die Leiterin des Dillinger Gesundheitsamtes, diesen einen Satz gesagt hat, der so oder so ähnlich wahrscheinlich fast in jeder Gesundheitsbehörde mittlerweile schon einmal gefallen ist: „Wir sind am absoluten Limit.“ Damals stand Kastner an einem klirrend kalten Novembermorgen vor dem Gesundheitsamt in der Dillinger Weberstraße. Unter einem bergseeblauen Himmel, der so gar nicht zu ihrer düsteren Stimmung passen wollte.

    Mittlerweile, mehrere Lockdown-Wochen später, klingt Kastner – dieses Mal im Videochat – schon optimistischer. „Momentan ist die Situation gut, die Zahlen sind rückläufig, es gibt weniger Fälle“, sagt Kastner, die an diesem Januarnachmittag in einem dunklen Blazer vor dem Computer-Bildschirm in ihrem Büro sitzt. An diesem Tag, an dem Kastner über die vergangenen, schweren Wochen spricht und davon, was da wohl noch kommen mag, liegt die Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis Dillingen nur noch bei 70 Neuinfektion pro 100.000 Einwohner. Mitte November hatte der Wert die 200er-Marke geknackt.

    Die Ämter waren kaum mehr in der Lage, die Kontakte von Infizierten nachzuverfolgen

    Im ganzen Land merkt man derzeit einen – wenn auch nur zaghaften – Rückgang der täglich gemeldeten Neuinfektionen. Von Entspannung, gar Entwarnung, will freilich noch längst niemand sprechen. Es wäre auch taktlos, angesichts der vielen Menschen, die täglich an Covid-19 sterben. Und trotzdem ist da so etwas wie ein kurzes Durchatmen zu spüren, in dieser seit so vielen Monaten nicht brechen wollenden Dauer-Welle, die eigentlich keine Zeit zum Luftschnappen ließ.

    Dr. Uta-Maria Kastner, die Leiterin des Dillinger Gesundheitsamtes, sagt, sie habe sich im November große Sorgen gemacht.
    Dr. Uta-Maria Kastner, die Leiterin des Dillinger Gesundheitsamtes, sagt, sie habe sich im November große Sorgen gemacht. Foto: Marcus Merk

    Vor ein paar Wochen waren viele Gesundheitsämter kaum mehr in der Lage, die Kontakte von Infizierten nachzuverfolgen. Genau jenes entscheidende Instrument, das die Corona-Welle durch das Aufbrechen von Infektionsketten abflachen sollte, funktionierte nicht mehr. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sogar davon, dass in 75 Prozent der Fälle die Infektionen nicht mehr zugeordnet werden könnten. Hat sich das gebessert? Wie sieht die Situation in den Gesundheitsämtern jetzt aus? Wird eine neue, hoch angepriesene Software die Arbeit erleichtern? Und – das ist wahrscheinlich die Gretchenfrage – was passiert, wenn Christian Drosten mit seinem düsteren Szenario für den Sommer recht behält?

    In dem meisten Fällen weiß man nicht, wo sich die Menschen angesteckt haben

    Uta-Maria Kastner streicht sich eine blonde Strähne aus der Stirn, bevor sie anfängt, zu erzählen. „Mitte November habe ich mir große Sorgen gemacht, wie es weitergeht“, sagt die Medizinerin. Sogar Bundeswehrsoldaten halfen damals bei der Kontaktnachverfolgung mit. Anders, so Kastner, hätte man mit dem rasanten Tempo des Virus überhaupt nicht mehr Schritt halten können. Die Soldaten sind auch jetzt noch da – ihre Anzahl soll nun aber halbiert werden. „Das Ziel ist es, die Nachverfolgung bald mit dem eigenen Personal zu stemmen“, sagt Kastner. Derzeit sei übrigens gar nicht so sehr das Aufspüren von Personen, die mit Infizierten Kontakt hatten, das Problem. Sondern vielmehr, die Quelle einer Ansteckung zu finden „Wir haben sehr viele Fälle, bei denen die Menschen uns nicht sagen können, wo und wie sie sich überhaupt angesteckt haben.“ Tatsächlich ist es so, dass die bayerischen Gesundheitsämter in 83 Prozent der Fälle keinerlei konkrete Erkenntnisse haben, wo die Infizierten sich angesteckt haben, wie eine Anfrage der bayerischen Grünen an das Gesundheitsministerium zeigt.

    Was Kastner über ihre Arbeit und vor allem die so wichtige Kontaktnachverfolgung erzählt, deckt sich mit den Erfahrungen anderer Gesundheitsämter. Im Unterallgäu etwa ist die Belastung laut Gesundheitsamtsleiter Dr. Ludwig Walters derzeit leicht rückläufig – wegen verschiedener Cluster aber nach wie vor auf einem hohen Niveau. Die Kontaktnachverfolgung sei dennoch zu schaffen. Das Landratsamt Augsburg erzählt Ähnliches: Die Arbeitsbelastung im Bereich der Kontaktnachverfolgung sei analog zu den Fallzahlen deutlich gesunken, sagt Landratsamtssprecher Jens Reitlinger. Von Mitte November bis Mitte Dezember hätten sich aus den hohen Fallzahlen zeitliche Verzögerungen ergeben – seither liefen die Ermittlungen durch das große Personalaufgebot in der Regel aber tagesaktuell.

    Wird unser Leben ab einer Inzidenz wieder einfacher?

    Ein weniger zurückhaltender ist man im Gesundheitsamt des Landkreises Neu-Ulm. Man sei derzeit so aufgestellt, dass die Kontaktnachverfolgung funktioniere, heißt es da. Die Arbeitsbelastung sei aber nach wie vor hoch. „Die derzeitigen Inzidenzzahlen mit etwa 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und pro Woche mögen zwar gesunken sein, liegen aber noch immer deutlich über dem Wert, der mit einer Entspannung der Arbeitsbelastung einhergehen würde“, sagt Landratsamtssprecherin Kerstin Weidner.

    Wäre eine Inzidenz von 50 so ein Wert? Immerhin wird diese Zahl seit Wochen von der Bundes- und Landespolitik als Zielmarker ausgegeben, als eine Art magische Schranke, hinter der das Leben vielleicht wieder ein Stück normaler werden könnte. Nur: Ganz so ist es eben wohl doch nicht. Vor ein paar Tagen stellte auch die Bundeskanzlerin klar, man solle „bitte nicht denken, dass, wenn wir bei 50 sind, das Leben des Sommers sofort wieder da ist. Dann sind wir sofort wieder im exponentiellen Wachstum.“

    Die digitale Ausstattung der Ämter blieb auf der Strecke

    Jenseits dieser Debatte um Inzidenzwerte und die Frage, ab wann die Gesundheitsämter denn mit der Kontaktnachverfolgung ins Straucheln geraten, geht es derzeit noch um etwas ganz anderes. Nämlich darum, wie all diese Daten, die in den Ämtern Tag für Tag gesammelt werden, überhaupt gebündelt und weiterverarbeitet werden. Und wie sie schließlich beim Robert-Koch-Institut in Berlin landen, wo sie ausgewertet und analysiert, in Grafiken und Schaubilder gegossen werden. In diesem Zusammenhang mehren sich derzeit kritische Stimmen, die bemängeln, dass die Gesundheitsämter über Jahre von der Staatsregierung vernachlässigt wurden – und dass deshalb die digitale Ausstattung auf der Strecke blieb. Die bayerische Gesundheitsverwaltung würde noch viel zu analog arbeiten, vieles geschehe mit dem Fax-Gerät, hört man immer wieder – vor allem natürlich von den Oppositionsparteien. Der Tenor: So – mit zu wenig Personal und einer veralteten Ausstattung – könne die Staatsregierung doch keine Pandemie bekämpfen.

    Auch Benjamin Adjei, Sprecher für Digitalisierung der Grünen im bayerischen Landtag, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass die Übermittlung der Fallzahlen in den vergangenen Monaten noch oft per Fax gemacht wurde. „Deswegen kam es auch immer wieder zu Verzögerungen.“ Hinzu kommt ihm zufolge: Einige Ämter hätten zwar eigene Software-Lösungen entwickelt – vor allem in kleineren Gesundheitsämtern hätte man aber über Monate hinweg Excel-Tabellen genutzt. „Ein weiteres große Problem ist, dass es mehrere Tools gibt. Daten mussten deshalb doppelt und dreifach eingegeben werden“, sagt Adjei.

    Die Einführung der Software Sormas läuft schleppend

    Nun soll es ein einheitliches Programm geben: Sormas, ein integriertes und vernetztes Kontaktpersonenmanagement, das die Kommunikation zwischen den Gesundheitsämtern bundesweit verbessern soll. „Ich glaube, dass diese Software sehr gut helfen kann. Doch das Problem ist, dass das alles viel früher hätte passieren müssen, nämlich im Sommer, als wir noch entspanntere Zahlen hatten“, sagt Adjei. In dieser Zeit hätte man seiner Ansicht nach eine Software-Umstellung besser stemmen können – jetzt indes, wo die Zahlen im Vergleich zum Sommer massiv gestiegen sind, sei es schwierig, die komplette Struktur umzustellen, meint der Landtagsabgeordnete.

    Adjei geht sogar noch weiter: Seiner Ansicht nach wäre es möglich gewesen, die zweite Welle noch hinauszuzögern, wenn man früher auf ein einheitliches, digitales System gesetzt hätte. „Die Ämter hätten effektiver in der Kontaktnachverfolgung sein können“, meint der Grünen-Politiker. So könne Sormas etwa automatisch Nachrichten verschicken, zum Beispiel Aufforderungen zur Quarantäne. „BaySIM, das System der bayerischen Staatsregierung, konnte das nicht. Die Mitarbeiter mussten erst in Word einen Brief schreiben.“ Wäre das alles automatisch passiert, hätte man das Fachpersonal an anderen Stellen – etwa bei der Kontaktnachverfolgung – einsetzen können.

    Gesundheitsminister Holetschek: "Der Bund muss liefen"

    Längst verwenden noch nicht alle Gesundheitsämter die neue Software, die Anbindung läuft schleppend. Pikantes Detail: Recherchen von WDR, NDR und SZ zeigen, dass diese integrierte Software bereits im Frühjahr in einer vereinfachten Form einsatzbereit gewesen wäre. Auch einige andere Lösungen seien dem RKI, dem Bundesgesundheitsministerium, dem Kanzleramt und den Ländern vorgestellt worden. Laut Expertenmeinungen hätten diese Lösungen das Pandemiemanagement vereinfachen und die Überlastung vieler deutscher Gesundheitsämter vermindern können. Doch erst in der Corona-Sitzung am 16. November – also mitten in der zweiten Welle – verständigten sich die Kanzlerin und die Länderchefs darauf, die Plattform Sormas künftig flächendeckend einzusetzen.

    Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek sagt, der Bund müsse liefern.
    Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek sagt, der Bund müsse liefern. Foto: Ulrich Wagner

    Derzeit würden „mehr als die Hälfte der 76 staatlichen beziehungsweise kommunalen Gesundheitsämter“ Sormas nutzen, erklärt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek gegenüber unserer Redaktion. „Wir haben die Gesundheitsämter angewiesen, so bald wie möglich auf Sormas umzustellen, und ich sehe uns hier auf einem guten Weg zu einer flächendeckenden Anwendung.“ Klar sei aber: Auch der Bund müsse liefern. „Wir brauchen dringend die Schnittstelle von Sormas zur Meldesoftware, damit in den Gesundheitsämtern die Arbeitsbelastung durch Doppeleingaben entfällt“, macht Holetschek deutlich.

    Augsburg will mit der Umstellung auf Sormas noch warten

    In Augsburg sind die Vorbereitungen abgeschlossen, um Sormas-X mit der Schnittstelle zu SurvNet – die Software des RKI – einzusetzen. „Da es bundesweit noch zu Schnittstellenprobleme bei der Software gibt, kann sich der Start noch verzögern“, meint Reiner Erben, der Gesundheitsreferent der Stadt Augsburg. Er spricht derzeit von Mitte Februar. „Unsere hauseigene Augsburger Software Cortrac funktioniert sehr gut, unsere Prozesse sind darauf abgestellt. Solange Sormas nicht die gleiche Leistung anbietet, besteht kein Grund für einen Wechsel“, macht Erben deutlich.

    Doch auch in Augsburg ist in den vergangenen Monaten nicht alles glatt gelaufen. Im Dezember wurden massive Probleme bei der Kontaktnachverfolgung sichtbar. Ministerpräsident Markus Söder sei, so hieß es damals aus Regierungskreisen, ziemlich sauer darüber gewesen, dass die Augsburg und auch andere Städte länger gezögert hatten, die Bundeswehr als Hilfe zu holen. Die Soldaten seien erst angefordert worden, als die Neuinfektionen schon in die Höhe schossen – und das Gesundheitsamt bei der Kontaktverfolgung von Corona-Fällen mehrere Tage hinterherhinkte. Die Stadt reagierte, das Gesundheitsamt wurde personell aufgestockt – und Fälle, über die der Überblick verloren gegangen war, konnten abgearbeitet werden. Bei rund 650 Corona-Infizierten war etwa unklar, ob sie zu Recht noch in Quarantäne saßen oder ob man sie schon längst hätte entlassen müssen.

    Christian Drosten spricht von 100.000 Neuinfektionen pro Tag im Sommer

    Bayernweit scheint sich die Situation nun zu entspanne. Die Zahlen, die das Robert-Koch-Institut derzeit veröffentlicht, zeigen, dass die Welle derzeit ein wenig abflacht. In Bayern etwa liegt die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner nur noch bei 97 (Stand Mittwoch) – sogar unter dem Bundesdurchschnitt von 101. Nur: Wie geht es weiter? Was wird der Frühling bringen, was der Sommer? Werden wir ähnlich glimpflich davonkommen wie im vergangenen Jahr? Werden in den kommenden Monaten genügend Menschen geimpft, um dem Virus den Wind aus den Segeln zu nehmen?

    Der Berliner Virologe Christian Drosten warnt vor einem verfrühten Ende der Corona-Maßnahmen.
    Der Berliner Virologe Christian Drosten warnt vor einem verfrühten Ende der Corona-Maßnahmen. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

    Vor wenigen Tagen in der Bundespressekonferenz in Berlin. Christian Drosten, der Mann, der den Menschen seit vielen Monaten Begriffe wie R-Wert, Sequenzierung oder Amplifikation erklärt, sagt einen Satz, den viele nicht hören wollen: Pro Tag könnten sich im Sommer in Deutschland 100.000 Menschen infizieren. „Das ist ein Szenario. Das ist keine Berechnung, sondern etwas, das man auch in anderen Ländern beobachten kann“, sagt Drosten. „Wenn in den nächsten Wochen und Monaten die Risikogruppen durch eine Impfung abgeschirmt sind, dann wird natürlich der Druck entstehen, wieder Maßnahmen zu beenden und dann wird es sicherlich bei unserer dichten Bevölkerung, bei unserer Bevölkerungszahl zu solchen Zahlen kommen.“ Man müsse sich klarmachen, dass man in so ein Szenario reinlaufen könnte.

    100.000 Neuinfizierte also. An einem einzigen Tag. Dieses Szenario, von dem Deutschlands bekanntester Virologe spricht, will auch die Leiterin des Dillinger Gesundheitsamtes nicht ausschließen. „Möglich ist das schon. Und dann würde sich das Virus unkontrolliert ausbreiten“, sagt Uta-Maria Kastner. Ihr Blick ist ernst. Es scheint, als würde sie sich noch lange durch diesen zähen, schlammigen Morast kämpfen müssen, begleitet von der Angst, irgendwann stecken zu bleiben.

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