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Gespräch Erzbischof Robert Zollitsch: „Hier kommt nicht ein Kirchenfürst“

Gespräch Erzbischof Robert Zollitsch

„Hier kommt nicht ein Kirchenfürst“

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    Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch. (Archivbild)
    Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch. (Archivbild) Foto: dpa

    Papst Benedikt XVI. besucht vom 22. bis 25. September Deutschland. Seine 21. Auslandsreise führt ihn nach Berlin und Erfurt sowie nach Freiburg – in das Erzbistum von Robert Zollitsch. Ein Gespräch mit dem Erzbischof und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz.

    Herr Erzbischof, in welches Land kommt Papst Benedikt XVI., wenn er das Deutschland des Jahres 2011 bereist?

    Zollitsch: Er kommt in seine Heimat. Und er kommt, um Mut zu machen und Orientierung zu geben. Der Papstbesuch hat das Motto „Wo Gott ist, da ist Zukunft“. Die Zukunft des Glaubens in Deutschland und besonders die Zukunft der Jugend sind dem Papst ein großes Anliegen.

    Als er im September 2006 Deutschland besuchte – seine bayerische Heimat – da schien Deutschland ein Land ohne Probleme zu sein. Die Fußballweltmeisterschaft im Juli war ein „Sommermärchen“ und die Stimmung spürbar gut. Kein Vergleich zu diesem Jahr.

    Zollitsch: Sie haben Recht: Bayern war ein Heimspiel. Und es gab diese Begeisterung: Wir sind Papst! Benedikt spürt jetzt deutlicher, dass die geistige Entwicklung schon des Längeren weitergegangen ist. Er spürt ganz deutlich: Die Säkularisierung ist vorangeschritten. Wir leben in einem säkularen Staat und die Gottesfrage ist nicht mehr selbstverständlich. Und wir haben Muslime und auch Buddhisten unter uns – da ist eine Gesellschaft anders geworden. Das ist eine andere Welt, als die, die er als Jugendlicher oder Professor oder auch noch als Bischof erlebt hat.

    Weshalb ist Freiburg ein Ziel des Papstes und nicht Hamburg oder Dresden?

    Zollitsch: Als ich meinen Antrittsbesuch bei Papst Johannes Paul II. machte, hat der gesagt: „Ach, in Freiburg, da war ich noch nicht.“ Das habe ich Papst Benedikt XVI. erzählt. Er lachte und meinte: „Da muss ich also einiges nachholen.“ Zum ersten Mal in der fast 1600-jährigen Geschichte des Christentums am Oberrhein kommt nun ein Papst nach Freiburg. Augsburg war ja da schon besser dran.

    Johannes Paul II. war 1987 in Augsburg – und betonte die Gemeinsamkeiten der katholischen und der evangelischen Kirche. Auch der Besuch Benedikts steht im Zeichen der Ökumene.

    Zollitsch: Er wird in Erfurt ein ökumenisches Zeichen setzen: Sein Besuch im Augustinerkloster allein ist schon ein solches Zeichen.

    Welches Zeichen wird das sein?

    Zollitsch: Ich möchte den Papst nicht festlegen und nichts vorwegnehmen. Er sagte mir: „Man wird darauf achten, was ich in Erfurt sage und was ich dort tue.“

    Er kommt dort mit Vertretern des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammen. Das Treffen findet in dem Augustinerkloster statt, in dem Martin Luther als – katholischer – Mönch lebte.

    Zollitsch: Ich gehe davon aus, dass er die richtigen Worte finden wird zu Martin Luther, und auch dazu, was wir als katholische Kirche aus der Reformation gelernt haben. Möglicherweise gibt es einen Auftrag für uns als katholische Kirche, einige theologische Fragen mit der EKD vertieft zu behandeln. Papst Johannes Paul II. regte 1980 bei seinem ersten Deutschlandbesuch an: „Schauen Sie gemeinsam die Rechtfertigungsfrage an“ (bei der es darum geht, wie der sündige Mensch mit Gott ins Reine kommt, die Red.). Das war eine lohnende Sache. Wir stellten fest, dass wir so nahe beieinander sind, dass die Rechtfertigungslehre nichts Trennendes mehr ist. Wie gesagt: Schon der Besuch des Papstes im Augustinerkloster wird ein wichtiges Zeichen für die Ökumene und für die nächsten Jahre bedeuten.

    Trennendes gibt es auch innerhalb der deutschen katholischen Kirche. Man hat das Gefühl, dass sie gespaltener ist denn je – in ein konservativ-katholisches und in ein liberal-katholisches Lager.

    Zollitsch: Wir haben eine gewisse Bandbreite an Meinungen. Die hat es immer schon gegeben. Wir in der Bischofskonferenz suchen einen gemeinsamen Weg in die Zukunft. Wir versuchen, möglichst vieles aus dieser Bandbreite zu integrieren. Ich erlebe unsere Kirche nicht als gespalten. Es gibt aber auch kämpferische Gruppen in der Kirche, die meinen allein zu wissen, was richtig ist. Da muss man fragen, ob sie die Wirklichkeit und die Theologie in ihrer ganzen Breite wahrnehmen. Und noch etwas: Unsere Kirche zählt über eine Milliarde Mitglieder. Dass es da zu Diskussionen kommt, ist klar. Aber wir müssen uns immer wieder darauf zurück besinnen: Wir sind eine Kirche.

    Die Kirche soll sich also nicht „gesund schrumpfen“?

    Zollitsch: Ganz und gar nicht. Es werden immer unterschiedlich starke Bindungen an die Kirche bestehen: Die einen engagieren sich tatkräftig, andere weniger. Das ist Chance und Last zugleich, weil wir stets darauf achten müssen, wie wir möglichst viele mitnehmen.

    Ist der Papst besorgt über den Zustand der deutschen katholischen Kirche?

    Zollitsch: Er kennt die aktuellen Debatten. Er kennt die heißen Eisen. Als Deutscher verfolgt er, was in Deutschland geschieht, mit großer Aufmerksamkeit. Es ist nicht so, dass er sagt: Lasst die Deutschen mal machen.

    Sie haben ihn erst vor Kurzem zusammen mit drei Bischofskollegen drei Stunden lang über den sogenannten Dialogprozess unterrichtet. Bei einer Auftaktveranstaltung dazu hatten zuvor in Mannheim 300 Kirchenvertreter und Laien über die Zukunft der deutschen katholischen Kirche diskutiert.

    Zollitsch: Ich habe gestaunt, wie sehr der Papst an den Details interessiert ist. Er wollte wissen, wie es in den Kleingruppen, in denen in Mannheim diskutiert wurde, zu Entscheidungen kam. Er war überrascht, wie gut sich 300 Menschen austauschen können und nicht in unversöhnliche Blöcke zerfallen sind.

    Wiederverheiratete Geschiedene dürfen nicht die Kommunion empfangen, weil dies dem Gesetz Gottes widerspreche. Sie wurden kürzlich mit dem Satz zitiert: „Ich glaube aber, dass wir in der Frage der wiederverheirateten Geschiedenen weiterkommen werden – zu meinen Lebzeiten.“ Das brachte Ihnen scharfe Kritik von konservativer Seite ein. Die Befürchtung ist, dass der katholische Glaube durch eine Anpassung an den Zeitgeist verwässert wird. Fühlen Sie sich missverstanden?

    Zollitsch: Was ich will, ist ganz einfach: Ich bin fest überzeugt von der Unauflöslichkeit der Ehe und von ihrem Charakter als Sakrament. Und doch müssen wir erleben, dass Ehen scheitern, dass Ehepartner vom anderen verlassen werden. Die Situation dieser Menschen gilt es wahr und ernst zu nehmen. Denn wenn Menschen, die gültig verheiratet sind, zivil geschieden werden und wieder zivil heiraten, dann leben sie in den Augen der Kirche nicht in geordneten Verhältnissen. Umso mehr bleibt die Frage, ob und unter welchen Umständen man sagen darf, dass sie nicht mehr in Sünde leben und deshalb auch wieder die Kommunion empfangen dürfen. Diese Frage gilt es theologisch zu durchdringen und pastoral zu durchdenken.

    Die Laien wollen ein stärkeres Mitspracherecht in den Gemeinden, sie fordern die Lockerung des Zölibats und die Frauenordination. Das Bedürfnis nach Reformen scheint überwältigend zu sein. In den Niederlanden und Österreich wurde bereits ein ähnlicher Dialog geführt – und scheiterte.

    Zollitsch: Ich weiß, dass es für manche schwierig ist, einen langen Atem zu haben. Aber wir müssen den Dingen und uns Zeit lassen, damit sich viele einbringen können. Sie merken es an den politischen Parteien: Nicht alle schnellen Beschlüsse eines Parteivorstands sind an der Parteibasis angekommen. So ein Dialogprozess ist natürlich mühsamer, als wenn man von oben herab verkündigen kann: Ihr habt das jetzt alle zu machen. Doch dies scheint mir heute nicht mehr der Weg, auch nicht unbedingt der christliche Weg, zu sein. Wir wollen Menschen überzeugen. Da steht die Frage der Gemeinsamkeit, aber nicht die nach starrer Geschlossenheit an erster Stelle.

    Sie sprachen von Parteipolitik. Wie christlich ist die CDU/CSU noch?

    Zollitsch: Ich bin froh, dass es Parteien gibt, die das C im Namen tragen. Das ist eine Verpflichtung für sie. Und, ich sage das ganz offen, für uns liegt eine Chance darin, denn man kann die Parteien auf ihr Profil ansprechen. Wir versuchen, die Werte und Überzeugungen einzubringen, die der Kirche wichtig sind. Ich erlebe aber natürlich auch, dass es engagierte Christen auch in anderen Parteien gibt.

    Hat es Sie enttäuscht, dass Bundestagsabgeordnete der Union für eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in bestimmten Grenzen gestimmt haben?

    Zollitsch: Ich hätte mir gewünscht, dass es uns gelungen wäre, unsere Ablehnung der PID zu größerer Überzeugung in den Parteien kommen zu lassen. Dass allerdings einige Vertreter der EKD Öffnungsklauseln vorsahen, machte die Lage für uns schwieriger. Uns, der katholischen und der evangelischen Kirche, ist es bis zur Abstimmung im Bundestag nicht gelungen, mit einer Stimme zu sprechen.

    Der Papst wird im Bundestag eine Rede halten. Es ist ein historisches Ereignis.

    Zollitsch: Papst Johannes Paul II. hat zwei Mal vor einem Parlament gesprochen, in Warschau und in Rom. Der Bundestagspräsident hat nun Papst Benedikt XVI. eingeladen, und der Papst nahm diese Einladung gerne an. Er hat damit die Chance, in die Gesellschaft hinein zu wirken und nicht nur im unmittelbar religiösen Kontext etwas zu sagen.

    Er könnte etwas zum Zustand Europas sagen.

    Zollitsch: Europa ist ihm ein Anliegen. Die Werte, aus denen Europa gewachsen ist, sind für ihn sehr bedeutsam.

    Abgeordnete, etwa der SPD, wollen die Rede boykottieren. Der Papst trage wegen seiner Einstellung zu Frauenrechten und Empfängnisverhütung eine Mitschuld an der Aids-Epidemie sowie an der Unterdrückung von Millionen Menschen.

    Zollitsch: Ich bedauere das. Es ist eine Frage des guten Stils, der Rede des Papstes nicht fernzubleiben.

    Auch auf den Straßen wird es Proteste geben. Das Papamobil von Johannes Paul II. wurde einst mit Tomaten und Eiern beworfen.

    Zollitsch: Wir leben in einem Land der Meinungsfreiheit. Ich hoffe nur, dass bei den Demonstrationen nicht Krawallmacher die Führung übernehmen. Dass es Gegner des Papstes oder des Christentums gibt, das ist in einer offenen Gesellschaft zur Kenntnis zu nehmen.

    Kritik wird ebenfalls laut an den Kosten des Papstbesuchs. Der sei eine pompöse Veranstaltung.

    Zollitsch: Das ist doch mehr als überzogen. Wir wollen möglichst vielen Menschen ermöglichen, dem Papst zu begegnen. Unter anderem durch die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen und infrastrukturellen Maßnahmen entstehen Kosten. Doch ich glaube, wenn der Papst nach Deutschland kommt, dann darf uns das auch etwas kosten. Eine gewisse Feierlichkeit gehört zu einem Papstbesuch dazu. Es darf nur nicht der Eindruck entstehen, dass wir uns selber feiern würden. Denn wir feiern zur Ehre Gottes – und das mit über 230 000 angemeldeten Gläubigen.

    In Freiburg wird sich der Papst mit Altkanzler Helmut Kohl treffen. Wie kam es dazu?

    Zollitsch: Es war der Wunsch des Papstes, Helmut Kohl zu treffen. Das ist eine Geste der Wertschätzung des Papstes an den Kanzler der Einheit.

    Was muss geschehen, damit der Papstbesuch nicht nur ein Event wird, sondern dass von ihm nachhaltige kirchliche und gesellschaftspolitische Impulse ausgehen?

    Zollitsch: Wir haben bei seinem Englandbesuch erlebt, dass das schlichte persönliche Auftreten von Papst Benedikt XVI. viele Menschen anspricht. In England ist am zweiten Tag die Stimmung zu seinen Gunsten umgeschlagen. Das hätte niemand von den Bischöfen vorauszusagen gewagt. Der Papst signalisierte: Hier kommt nicht ein Kirchenfürst, hier kommt jemand, der versucht, den Menschen den Glauben zu verkünden – und zwar so, dass sie ihn verstehen. Ob Impulse von seinem Besuch ausgehen werden, kann ich nicht sagen. Ich kann allenfalls Hoffnungen und Wünsche äußern.

    Dann wünschen Sie sich doch etwas.

    Zollitsch: Ich wünsche mir, dass der Papst uns Mut macht, in die Zukunft zu gehen.

    Die Glaubwürdigkeit der Kirche hat im vergangenen Jahr stark gelitten: Was hat der Missbrauchsskandal an Ihrem Bild von Kirche verändert?

    Zollitsch: Wir haben immer gewusst, dass die Kirche beständig reformiert werden muss. Und dass sie eine Kirche von Sündern und von Heiligen ist. Wir sind erschrocken über die Breite des Missbrauchs. Als die ersten Fälle bekannt wurden, haben wir das Ausmaß noch nicht erkannt. Aber es gibt heute wohl keine Institution, die in einer gleich intensiven und entschiedenen Weise Missbrauchsfälle aufarbeitet. Wir stellen uns unserer Verantwortung. Denn wir leiden daran, dass sich das Bild der Kirche getrübt hat. Wir lassen von unabhängigen Wissenschaftlern auch ein Forschungsprojekt durchführen, weil wir den Ursachen, die zu den Missbrauchsfällen führten, wirklich auf den Grund gehen wollen.

    Für die Aufarbeitung werden Personalakten herangezogen. Einige Priester fühlen sich daher einem Generalverdacht ausgesetzt.

    Zollitsch: Es ist nicht so, dass wir die Personalakten der Geistlichen herausgeben. Aber sie werden in jedem Ordinariat unter Verantwortung des Generalvikars durchgesehen und die entsprechenden Fakten anonymisiert weitergegeben. Ich glaube, das ist objektiv und gut. Es ist doch ganz klar, dass Personalakten streng vertraulich behandelt werden.

    Sie sind seit 2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und für sechs Jahre gewählt. Wie fällt Ihre Halbzeitbilanz aus?

    Zollitsch: Ich habe versucht, meine Aufgabe als Moderator im Bischofskollegium auszufüllen und Brückenbauer zu sein. Das ist nach wie vor meine Aufgabe.

    Das Gespräch führte Daniel Wirsching.

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