Berlin Tücher werden bei einer Operation im Bauch vergessen, ein Herzinfarkt bleibt unentdeckt: Jährlich sterben in Deutschland tausende an den Folgen von medizinischen Behandlungsfehlern. Dagegen will die Bundesregierung jetzt vorgehen. Das Kabinett hat ein Gesetz von Gesundheitsminister Daniel Bahr und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (beide FDP) auf den Weg gebracht, das die Rechte von Patienten stärken und bündeln soll. Patientenschützern und der Opposition geht dies nicht weit genug. Sie kritisieren die Pläne als enttäuschenden Ausdruck von Lobbypolitik nach dem Geschmack der Ärzte.
Leutheusser-Schnarrenberger verteidigte den Entwurf gestern: Mit dem Gesetz, das 2013 in Kraft treten soll, seien die Rechte der Patienten nach jahrelangen Diskussionen endlich klar niedergelegt, sagte die Ministerin bei der Vorstellung des Entwurfes. Es helfe Patienten, „ihre Rechte zu kennen und besser durchsetzen zu können“.
Die Vorlage für das sogenannte Patientenrechtegesetz sieht vor, dass Ärzte künftig ihre Patienten vor Eingriffen verständlich und umfassend in einem persönlichen Gespräch über die Behandlung und deren mögliche Risiken informieren müssen. Zudem sollen Ärzte ihre Patienten schriftlich über die Kosten von Leistungen aufklären, die sie selbst bezahlen müssen. Nach dem Wunsch der beiden Minister soll außerdem festgelegt werden, dass Behandlungen umfassend dokumentiert werden müssen. Patienten sollen künftig auch das Recht haben, ihre Akte einzusehen.
Zudem sind Krankenkassen bei Behandlungsfehlern künftig verpflichtet, ihre Versicherten bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen zu unterstützen. Die Patienten sollen sich darüber hinaus ihnen zustehende Leistungen leichter beschaffen können. Wenn eine Kasse etwa über einen Antrag auf ein Hörgerät nicht spätestens binnen fünf Wochen entscheidet, kann sich der Betroffene das Gerät auf Kassenkosten kaufen.
Beweislast bleibt beim Patienten
Bei groben Behandlungsfehlern muss der Patient künftig nur noch darlegen, dass er grob falsch behandelt wurde. Der Arzt muss hingegen beweisen, dass der Fehler nicht zu dem eingetretenen Schaden geführt habe. Bei der überwiegenden Anzahl von Behandlungsfehlern liegt die Beweislast wie bisher jedoch komplett beim Patienten. Das kritisieren Patientenschützer und Politiker von SPD, Grünen und Linken. Sie fordern, dass auch hier die Beweislast auf den Arzt übergehen soll.
„Man merkt dem Entwurf an, dass man den Ärzten damit nicht besonders wehtun wollte“, sagte der Allgäuer Jurist und Vorstand der Alexandra-Lang-Stiftung für Patientenrechte, Hansjörg Geiger, unserer Zeitung. Er bedauert, dass nur die bestehende Rechtsprechung in das Gesetz übernommen werden soll. Der ehemalige Justizstaatssekretär plädiert dafür, die Beweislast vom Patienten zu nehmen, wenn dieser einen möglichen Behandlungsfehler selbst überhaupt nicht mitbekommen hat – zum Beispiel während einer Narkose. „Dies ist notwendig, damit sich Patient und Arzt auf gleicher Augenhöhe befinden“, sagte Geiger. Eine Art Patientenanwalt könne zudem in Konflikten zwischen Ärzten und Patienten vermitteln.
Der Jurist vermisst im Gesetzentwurf außerdem einen Entschädigungsfonds ähnlich wie in Österreich, der bei Behandlungsfehlern die Patienten finanziell unterstützt. „Damit könnte so manches lange Gerichtsverfahren vermieden werden“, sagte er. Einen solchen Fonds lehnt der Gesundheitsminister ab: „Ich habe die Sorge, dass dadurch eine enorme Bürokratie entsteht.“