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Gesellschaft: Die "German Angst" - mutlos, zögerlich, große Zukunftssorgen

Gesellschaft

Die "German Angst" - mutlos, zögerlich, große Zukunftssorgen

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    Wie große Zukunftssorgen und extremes Sicherheitsbedürfnis zur "German Angst" führen.
    Wie große Zukunftssorgen und extremes Sicherheitsbedürfnis zur "German Angst" führen. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

    Wenn die Angst wie ein Virus ist, das immer in uns nistet, etwas, das erstarkt und sich ausbreitet, sobald das Klima günstig ist – dann gilt wohl auch, dass es Typen gibt, die anfälliger sind als andere. Sind wir das?

    Das Klima jedenfalls ist günstig, Nahrung reichlich vorhanden. Die Innere Sicherheit und die äußeren Grenzen bereiten Sorgen; Terrordrohung und Amokalarm; TTIP und Glyphosat; EU- und Flüchtlingskrisen; drohende Altersarmut und Jobunsicherheit; Datenunsicherheit und Klimaveränderungen … Und hat, wer sorglos am Kühlregal einkauft, die Nachricht vom nächsten Lebensmittelskandal bloß noch nicht erhalten?

    Haben Sie Angst? Haben wir Deutschen Angst? Anders als andere? Mehr als andere? Es gibt einen Begriff, der das nahelegt, eine „deutsche Krankheit“, international bekannt als: „German Angst“. Der Begriff ist nicht neu. Er behauptet, dass Sorgen bei uns stärker wirken, weil sie eine Grundunsicherheit über uns selbst verstärken, als Erbe der Geschichte. Und nun, wo das Klima so günstig ist für das Virus, wird die Diagnose wieder oft gestellt. Weil Deutschland inzwischen einen starken Platz in der Welt einnimmt; und darum auch stärker mit deren Krisen konfrontiert ist; und darum eben zurückfällt in die vererbten Muster: Mutlosigkeit und Zögerlichkeit, gepaart mit Zukunftsängsten und einem extremen Sicherheitsbedürfnis.

    Aber stimmt das? Sind wir so? Es wird helfen, einen praxiserfahrenen Experten zu befragen: Angsttherapeut Klaus Bernhardt. Es wird helfen, einem umfassend denkenden Menschen zuzuhören: Philosoph Wilhelm Schmid. Beginnen aber muss die Erkundung mit jener Frau, die Wurzeln und Mechanismen der German Angst erkundet hat.

    Woher kommt die "German Angst"?

    Berlin, Prenzlauer Berg, früherer Osten, inzwischen längst Zentrum des neuen, hippen Wohlstandsbürgertums. Sabine Bode hat hier Kollegen eines internationalen Netzwerks getroffen, der „Memory Workers“. Menschen also, die ein Bewusstsein über die Folgen der Vergangenheit für unser heutiges Tun schaffen wollen. Bode hat eine ganze Buchreihe über die gesellschaftlichen Folgen des Zweiten Weltkriegs geschrieben – und das aktuellste Werk ist dabei unversehens zu einem Spiegel der vergangenen Jahre geworden. 2006, als es erschien, „hatten die Deutschen gerade wochenlang das Sommermärchen der Fußballweltmeisterschaft gefeiert. Zur großen Überraschung aller herrschte nach vielen Jahren der Griesgrämigkeit zum ersten Mal wieder gute Stimmung im Land.“ So steht es im Vorwort zur aktuellen Neuauflage. Aber gerade hier setzt die Ironie der Geschichte ein.

    Im Gespräch sagt Sabine Bode: „Als ich mich im Frühling 2015 an die Überarbeitung setzte, war ich der Überzeugung, die German Angst ist weg. Es gibt sie nicht mehr.“ In den zehn Jahren habe sie den Eindruck gewonnen, Deutschland habe sich mit sich versöhnt und gehe mit Zuversicht in die Zukunft. Da war noch unvorstellbar, wie passend die Veröffentlichung im Sommer 2016 wirken könnte. Nun also: Ist die deutsche Krankheit der German Angst zurückgekehrt, Frau Bode? Sie sagt: „Ja.“ Und: „Aber …“ Denn wer denke, dass sich der Kreis der Geschichte so einfach schließen lasse, weil jetzt Deutsche aus Sorge vor der Zuwanderung auf die Straße gingen und rechte Strömungen wieder erstarkten, der irre. Laut Bode wurzelt die Angst tiefer und wirkt breiter.

    1. „Die, die da ihre Sorgen formulieren, sind in großer Mehrheit ja nicht fremdenfeindlich. Ihre Verunsicherung zeigt vielmehr, dass die Globalisierung jetzt bei allen angekommen ist. Mit all den unkontrollierbaren Gefahren.“ Den Deutschen gehe es ja gut – aber mit den wieder aufkeimenden Zukunftssorgen fühlten sie ihre Sicherheit in Gefahr. Wie die Unaufgeregtheit von Angela Merkel in den Jahren zuvor zur Entspannung beigetragen habe – so wirke sie jetzt, unter den neuen Vorzeichen, genau gegenteilig.

    2. Es gibt auch eine Angst der Eliten vor dem eigenen Volk, die sich aus der Geschichte speist. Deutschland habe das Problem, dass es sich nicht auf eine positive Tradition des Patriotismus stützen könne, die das nun so wichtige Gemeinschaftsgefühl tragen könnte. Stattdessen, so Bode, herrsche eine „Polarisierung durch Reflexe“, die die Gesellschaft spalte.

    3. Bis zu den Helfern in Flüchtlingsunterkünften, so Bode: „Wir haben Angst, die Zugewanderten falsch zu behandeln. Was dürfen wir auch von ihnen verlangen?“ Eingeschrieben in viele Familien sei die Scham über den damaligen Umgang mit Zwangsarbeitern. Auch hier gelte es, aus der Aufarbeitung der Geschichte die Verhältnismäßigkeit für unser Tun heute zu finden.

    Was Sabine Bode zuversichtlich in die Zukunft blicken lässt: dass es für junge Menschen heute viel leichter sei, „ein positives Nationalgefühl zu entwickeln“. In aller Welt träfen sie auf deutlich mehr Sympathie für Deutschland als früher. Berlin etwa sei heute „die beliebteste Stadt der Welt bei jungen Menschen“.

    Wie sich die "German Angst" auswirkt

    Durch Berlins Mitte geht es, vorbei am Holocaust-Mahnmal und am Reichstag, in dem mal wieder über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren bei Terrorgefahr diskutiert wird, hinein in den Westen, zum Kurfürstendamm, zur Praxis des Therapeuten Klaus Bernhardt. Der ist spezialisiert auf Angsterkrankungen, hält aber nichts vom Wühlen in der Vergangenheit. Er nennt erst mal Zahlen: „Jeder Sechste in Deutschland leidet an einer diagnostizierten Angsterkrankung, das sind etwa zwölf Millionen Menschen, Tendenz über die letzten Jahre hinweg: steigend.“ Damit rage unsere Gesellschaft aber nicht heraus, sie liege vielmehr im Mittelfeld, etwa im Bereich der USA. Speziell seien die Deutschen im Vergleich aber im Umgang mit der Angst.

    Während anderswo Prinzipien der Eigenleistung und Eigenverantwortlichkeit betont würden, seien wir es gewohnt, „zu sehr gepampert zu werden“, uns zufriedenzugeben, betont unpersönlich zu sagen: „Da kann man nichts machen.“ Wer aber sonst für nichts brenne, der sei nicht nur anfälliger für Ängste, sondern vor allem schwerer fähig, aus ihnen herauszufinden. Bernhardt: „Menschen ändern sich nur aus zwei Gründen: große Schmerzen oder große Ziele.“ Wir bräuchten offenbar den Schmerz. Und dabei sei die Veränderung das einzig Konstante im Leben. Wer Veränderung aber nur durch Schmerz zulasse – kein Wunder, dass bei dem Angst vor Veränderung herrsche. Eine deutsche Mentalitätssache?

    Der Therapeut erklärt, dass es sich bei Ängsten immer um erlerntes Verhalten handle, das sich darum in der Gesellschaft auch verstärke: „Du bist die Summe der fünf Menschen, mit denen du dich am meisten umgibst.“ Und da geht es meist mehr um das Lamentieren über die allgemeinen Zustände als um persönlich Aktivierendes. Hinzu kämen Wirklichkeitsfilter. Mit Angst werde viel Geld verdient, darum werde sie von vielen Branchen betont. Das hätten, in Zeiten, „in denen wir ohnehin längst im Dauerfeuer der Nachrichten stehen“, auch Medien verinnerlicht. Klaus Bernhardt vergleicht: „Wer jeden Tag einen Burger frisst, braucht sich nicht zu wundern, wenn er fett wird.“ Wir müssten aufpassen, die Ängste nicht auch noch wie in einem Ritual zu nähren, nachdem sich der Deutsche ohnehin so gern sorgt, ohne deshalb Verantwortung zu übernehmen.

    Der Therapeut arbeitet mit den Patienten an einem Aufbrechen der Angststrukturen. Durch aktivierende Sätze etwa, positiv in die Zukunft gerichtet. Sätze wie „Wir schaffen das“? Bernhardt: „Ja, eigentlich ein guter Satz – aber von der falschen Person mit geradezu gegenteiliger Körpersprache vorgetragen.“ Aber es würde dem Einzelnen wie auch der Gesellschaft helfen, die anstehenden Veränderungen als Ziel statt als Auslöser von Schmerz zu sehen. Dann schwindet die Angst …

    "Die Angst ist immer der Anfang – auf dem Weg zur Klugheit.“

    Von Klaus Bernhardts Praxis ist es nicht weit nach Charlottenburg, wo einige der in Berlin gelandeten Flüchtlinge untergebracht sind – hier lebt der Lebenskunst-Philosoph Wilhelm Schmid. Es ist nicht weit und doch ein großer Sprung. Gleich der erste Satz des Denkers lautet: „Die Angst zeichnet uns aus. So wie jede Nation etwas anderes für die Welt beizutragen hat, haben wir unter anderem die Angst beizutragen.“ Die German Angst als deutsche Tugend? Schmid erklärt: „Die Angst ist immer der Anfang – auf dem Weg zur Klugheit.“ Der Philosoph wählt das Bild eines Kindes, das durch die Angst davon abgehalten wird, auf eine Straße zu rennen – um dann nach und nach zu lernen, wie es sicher rüberkommt. Und er verweist damit auf die Furcht der Deutschen etwa vor der Datenunsicherheit, die Firmen wie Apple und Google erst gezeigt hätten, dass es da wohl doch Probleme zu berücksichtigen gelte. Wilhelm Schmid sagt also: „Ich bin froh über die Angst.“

    Wilhelm Schmid gilt als einer der bekanntesten deutschen Philosophen.
    Wilhelm Schmid gilt als einer der bekanntesten deutschen Philosophen. Foto: Bernhard Weizenegger/Archiv

    Er meint das in vielerlei Hinsicht. Ihm selbst habe Angst gemacht, wie sich das Leben vieler immer mehr darum zu drehen schien, das Maximum an Glück für sich herausholen zu können. Auch aus dem Gefühl der absoluten Sicherheit heraus. Das aber seien keine angemessenen Maßstäbe für das Leben und die Welt. Vielmehr vermittle die nun aufkommende Angst wieder grundlegende Einsichten, etwa: „dass die Demokratie immer etwas Bedrohtes ist“ und, „dass es eine der wesentlichen Aufgaben der Politik ist, Bürgerkrieg zu vermeiden“.

    Auslöser der aktuellen Unsicherheit seien auch keine Ängste des niederen Volkes, die Eliten arrogant unter den Teppich kehren dürften. Es gehe vielmehr um dramatische Umwälzungen der Lebensumstände der vergangenen Jahrzehnte, die jetzt sichtbar würden. In der Theorie sei das ja nichts Neues – aber, so Schmid: „Wir brauchen offenbar immer erst die Erfahrung, erst dann reagieren wir.“ Und so sei die Angst auch „Anlass, etwas zu ändern“. Einzig das Verharren in ihr sei gefährlich, weil es den Boden bereite für jene, die einfache Lösungen versprächen. Darum, so Schmid, müsse die weitverbreitete Besorgnis ein Signal dafür sein, die sicher Jahre dauernden Prozesse jetzt anzugehen: „Weil wir es können.“ Allerdings mit deutlich niedrigeren Maßstäben als Glück und Frieden.

    Eine Angst aber ist dem Philosophen noch nicht groß genug, die vor der „ökologischen Katastrophe“, die da auf uns zukomme. Diese Gefahr sei flächendeckend – und unsere bisherigen Erfahrungen reichten offenbar noch nicht aus, dass wir reagieren. Wilhelm Schmid: „Aber wenn das kommt, dann können wir alle unsere Kriege vergessen, dann geht es ums nackte Überleben …“

    Wenn die Angst wie eine Entzündung ist, eine Infektion an der Umwelt – dann reagieren wir wohl besonders empfindlich. Ob das nun Tugend oder Bürde ist: Eine Herausforderung, die richtige Behandlung zu finden, ist es allemal.

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