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Rotkreuz-Präsidentin: Gerda Hasselfeldt: "Sind für Extremfälle nicht gewappnet"

Rotkreuz-Präsidentin

Gerda Hasselfeldt: "Sind für Extremfälle nicht gewappnet"

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    Will junge Menschen zu freiwilligen Hilfsdiensten ermuntern: Rotkreuz-Präsidentin Gerda Hasselfeldt.
    Will junge Menschen zu freiwilligen Hilfsdiensten ermuntern: Rotkreuz-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Gerda Hasselfeldt kommt mit dem Rad. Zur Hanns-Seidel-Stiftung in München, deren Klubraum sie als Treffpunkt vorgeschlagen hat, braucht sie von zu Hause aus nur ein paar Minuten. Bis zur Bundestagswahl war die 67-Jährige als Vorsitzende der CSU-Landesgruppe die vielleicht mächtigste Frau in der Union nach der Kanzlerin und im Zweitberuf auch eine Art Pendeldiplomatin zwischen den Paralleluniversen von Horst Seehofer und Angela Merkel. Heute ist sie Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes.

    Frau Hasselfeldt, wenn Sie sehen, wie es gerade kracht zwischen CDU und CSU – müssen Sie da nicht als Vermittlerin zurück nach Berlin? Sie waren in beiden Parteien als ausgleichendes Element geschätzt.

    Gerda Hasselfeldt: Ich habe mich aus freien Stücken entschieden, nicht noch einmal zu kandidieren. Aber natürlich verfolge ich das aktuelle Geschehen intensiv. Ich bin mir sicher, dass beide an einem guten Ergebnis interessiert sind, Horst Seehofer wie Angela Merkel. Nichtsdestotrotz ist die Lage sehr, sehr schwierig.

    Jetzt sind Sie Präsidentin des Roten Kreuzes. Wollten Sie nach Ihrem Abschied aus der aktiven Politik nicht Ihr Klavierspiel verbessern?

    Hasselfeldt: Daran arbeite ich in der Tat, auch wenn ich im Moment nicht so häufig zum Spielen komme, wie ich es ursprünglich vorhatte. Im letzten Sommer bin ich gebeten worden, die Präsidentschaft des Deutschen Roten Kreuzes zu übernehmen und dort meine Erfahrung und meine politischen Kontakte aus 30 Jahren im Parlament einzubringen. Nachdem ich jahrzehntelang immer wieder dafür geworben hatte, sich ehrenamtlich zu engagieren, konnte ich mich diesem Ehrenamt schlecht verweigern…

    Die Flüchtlingskrise hat nicht nur die Politik herausgefordert, sondern auch das Rote Kreuz. Wo klemmt es im Moment am meisten?

    Hasselfeldt: Am Anfang haben wir vor allem bei der Aufnahme und der Unterbringung geholfen und bundesweit zeitweilig 490 Notunterkünfte und in Bayern zusätzlich noch die beiden großen Warteräume in Erding und in Feldkirchen betreut. Jetzt stehen wir vor der großen Herausforderung, die Menschen zu integrieren, die eine Bleibeperspektive haben.

    Bietet das Rote Kreuz jetzt Deutschkurse und Integrationsseminare an?

    Hasselfeldt: Zur Integration gehören ja nicht nur Sprachkurse. Ich war gerade erst in Oldenburg, wo Mitarbeiter des Roten Kreuzes und viele Ehrenamtliche eine Migrationsberatungsstelle und ein Begegnungszentrum betreiben. Dort gibt es Gesprächskreise für Alleinerziehende, viele Begegnungen zwischen den Kulturen – und eine syrische Lehrerin bringt syrischen Kindern die arabische Schrift bei, damit die Kinder auch ihren Großeltern zu Hause schreiben können.

    Als Tag für Tag zigtausende von Flüchtlingen kamen, waren nicht nur Betten und Decken knapp. Haben Sie deshalb für das Innenministerium ein Konzept entworfen, wie der Staat Vorräte für unruhige Zeiten bunkern kann?

    Hasselfeldt: Während des Kalten Krieges gab es über ganz Deutschland verteilt Lager für Medikamente, Betten oder Lebensmittel – die sogenannte Bundesvorhaltung. Mitte der neunziger Jahre hat man sich dann entschieden, sie aufzulösen, weil man dachte, dies sei nicht mehr notwendig. Heute wissen wir, dass wir weiterhin für unvorhergesehene Ereignisse wie Naturkatastrophen oder Epidemien gerüstet sein müssen. Deshalb wollen wir gemeinsam mit den anderen Hilfsorganisationen wieder zehn solcher Materiallager anlegen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise mussten wir Decken und Zelte teilweise aus Kanada und den USA einfliegen, weil der Markt in Europa wie leergefegt war.

    Aber ist das nicht die Aufgabe des Bundes und der Länder, für kritische Zeiten vorzusorgen?

    Hasselfeldt: Das ist richtig. Und das tut der Bund ja auch. Das Rote Kreuz und die anderen Hilfsorganisationen sollen diese Lager später allerdings betreuen, in Schuss halten und beispielsweise darauf achten, dass abgelaufene Medikamente regelmäßig durch neue ersetzt werden. Alles in allem wollen wir Zelte, Feldbetten, Kleidung, Medikamente und Lebensmittel für insgesamt 50.000 Menschen einlagern.

    Haben Sie auch ausrechnen lassen, was das kostet?

    Hasselfeldt: Wir gehen davon aus, dass dafür anfänglich etwa 100 Millionen Euro nötig sind.

    Das heißt, im Moment ist Deutschland auf eine Naturkatastrophe oder einen großen Terroranschlag nicht ausreichend vorbereitet?

    Hasselfeldt: Einige Länder haben noch Material gebunkert, aber eben nicht alle und nicht genug. Ich möchte keine großen Schreckensszenarien entwerfen – für Extremfälle allerdings sind wir noch nicht ausreichend gewappnet. Außerdem gibt es inzwischen ganz neue Risiken, zum Beispiel das eines Cyberangriffs auf Krankenhäuser oder Stromversorger.

    Auch die Zahl der Blutspenden geht zurück. Droht da noch ein Engpass bei der Versorgung?

    Hasselfeldt: Die Bereitschaft, Blut zu spenden, ist nach wie vor groß, wenn auch mit saisonalen Schwankungen. Wenn eine Grippewelle kommt, dürfen viele überhaupt nicht spenden, in der Urlaubszeit wird ohnehin weniger gespendet. Dabei sollte jeder wissen, dass Blutspenden jeden Tag Leben retten.

    Als Präsidentin des Roten Kreuzes wirbt Hasselfeldt auch dafür, Blut zu spenden. Das könne jeden Tag Leben.
    Als Präsidentin des Roten Kreuzes wirbt Hasselfeldt auch dafür, Blut zu spenden. Das könne jeden Tag Leben. Foto: Jan Woitas, dpa

    Sie könnten Spender bezahlen, wie es viele Kliniken inzwischen tun.

    Hasselfeldt: Ich glaube nicht, dass wir dadurch die Spendebereitschaft erhöhen. 70 Prozent aller Blutspenden in Deutschland werden beim Deutschen Roten Kreuz abgegeben, ohne dass wir dafür Geld bezahlen. Sein Blut für andere zu spenden – das ist auch ein Stück gelebte Solidarität, das können Sie mit Geld nicht aufwiegen.

    Als Präsidentin des Roten Kreuzes müssen Sie über den deutschen Tellerrand hinaus sehen. Wie groß ist die Not in Ländern wie Syrien oder dem Jemen – und woran fehlt es vor allem?

    Hasselfeldt: Wir engagieren uns weltweit in etwa 50 Ländern, in Asien, Lateinamerika und Afrika, aber eben auch in Syrien und im Jemen, wo mitten im Krieg im vergangenen Jahr auch noch die Cholera ausgebrochen ist. Im Jemen ist die Lage inzwischen so dramatisch, dass von 29 Millionen Einwohnern 22 Millionen täglich auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Hinzu kommt, dass humanitäre Helfer angegriffen und bedroht werden. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat wegen fehlender Sicherheitsgarantien der Konfliktparteien einen Teil seiner Mitarbeiter abgezogen. Für das Rote Kreuz bedeutet dies derzeit eine Beschränkung auf lebensrettende Nothilfemaßnahmen in der Gesundheitsversorgung. Hier darf die Welt nicht einfach zusehen, und deswegen bin ich auch für jede einzelne Spende dankbar, damit wir den Menschen dort helfen können.

    Heißt das, dass die Deutschen zu wenig spenden?

    Hasselfeldt: Nein, unser Spendenaufkommen ist zuletzt sogar leicht gestiegen. Allerdings werden Spenden häufig zweckgebunden vergeben und von uns natürlich auch zweckgebunden verwendet, wenn die Medien beispielsweise über ein schweres Erdbeben oder eine andere Katastrophe berichten. Der Jemen allerdings gehört zu den Konfliktregionen, von denen kaum jemand Notiz nimmt.

    Ein anderes Thema. Das Rote Kreuz betreibt auch Kliniken und Pflegeheime. Hier wie dort fehlt Personal. Ist der Pflegekollaps noch aufzuhalten?

    Hasselfeldt: Die letzte Bundesregierung hat mit der Reform der Ausbildung und einer Reihe weiterer Maßnahmen zur Stärkung der Pflege den richtigen Weg beschritten. Die Pflegeschulen allerdings warten immer noch auf den Rahmenlehrplan, den sie benötigen, um die neuen Lehrpläne erstellen zu können. Aber: Nur weil wir unsere Pflegekräfte künftig anders ausbilden, heißt das noch nicht, dass wir am Ende auch mehr Pflegekräfte bekommen.

    Sie waren selbst einmal Gesundheitsministerin. Wie kann die Politik den Pflegeberuf attraktiver machen? Die Gehälter sind niedrig, dazu kommen der ständige Schichtdienst und eine extrem hohe Arbeitsbelastung.

    Hasselfeldt: Ich wünsche mir eine Konzertierte Aktion zur Stärkung der Pflege, bei der alle Beteiligten an einem Tisch sitzen: Politiker, Sozialverbände, Gewerkschaften, Kliniken, Heimbetreiber, ambulante Dienste und die Pflegenden selbst. Natürlich müssen die Gehälter steigen, hier sind vor allem die Tarifparteien gefordert. Aber das ist längst nicht alles, unter anderem müssen wir auch die Betreuungsschlüssel ändern, damit wir mehr Pfleger auf den Stationen haben und jeder Einzelne mehr Zeit für seine Patienten hat.

    Jens Spahn, der Gesundheitsminister, hat 13.000 neue Stellen in der Pflege versprochen. Wo sollen diese Pfleger eigentlich herkommen? Aus Polen? Aus Asien? Bis die geplanten Reformen wirken, werden Jahre vergehen.

    Hasselfeldt: Kurzfristig wird es sicher nicht ohne ausländische Pflegekräfte gehen. Wir beim Roten Kreuz sind in der glücklichen Lage, dass wir sehr viele Pflegerinnen und Pfleger selbst ausbilden. Trotzdem müssen auch wir uns anstrengen, dass diese Leute dann auch bei uns bleiben oder nach einer Familienpause wieder zurückkommen.

    War es ein Fehler, die Wehrpflicht und mit ihr den Zivildienst abzuschaffen?

    Hasselfeldt: Wir können das Rad nicht mehr zurückdrehen, deshalb plädiere ich für einen Ausbau der Plätze in den Freiwilligendiensten vom Freiwilligen Sozialen Jahr bis zum Bundesfreiwilligendienst. Alleine beim Roten Kreuz haben wir für jeden Platz in den Freiwilligendiensten zwei- bis dreimal so viele Interessenten. Mit rund 12.000 Plätzen sind wir der größte Anbieter im Freiwilligen Sozialen Jahr. Insgesamt engagieren sich jährlich etwa 15.000 vorwiegend junge Menschen in den DRK-Freiwilligendiensten. Die Erfahrung lehrt, dass diese Tätigkeit der Einstieg in einen sozialen Beruf oder in ein ehrenamtliches Engagement sein kann. Schließlich brauchen wir beides: mehr Pflegekräfte und mehr Ehrenamtliche.

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